- Emanuel Swedenborg,
nach (
je
)
Reinigung
(2) Es war in einem großen Bahnhof, der viele kleine Wartesäle hatte, in
deren einem ich mit einer Gruppe von Reisenden vor einer Türe stand. Wir
mochten sieben oder neun sein, vielleicht auch zwölf. Wir waren einfach
angezogen, wie Arbeiter, die einen Sonntagsausflug machen wollen, Männer
in blauem Drillich, Frauen in Overalls aus braunem Cord. Als Zeichen trugen
wir eine Nadel mit einem jener gelben Schmetterlinge,
deren Farbe, wenn sie die Flügel regen, ins Blaue spielt. Es fiel mir auf,
daß keiner von uns ein Gepäckstück in den Händen hatte, nicht einen Koffer
und selbst keine kleine Mappe, wie man sie häufig bei Arbeitsleuten sieht.
Nachdem wir eine Weile im Gedränge des Wartesaals gestanden hatten, öffnete sich die Türe, und eilig trat ein Geistlicher herein. Es war ein kleiner, hagerer Mann in dunkler Soutane, voll der Geschäftigkeit, wie sie Seelsorgern großer und schlecht dotierter Pfarren eigen ist, in denen bald eine Taufe, bald ein Begräbnis, bald eine eilige Beichte die Reihenfolge der Pflichten unterbricht. Es sind Vorstadtseelsorger.
Der Priester drückte uns die Hände und führte uns durch lange, schlecht erhellte Gänge und über Treppen ins Innere des Bahnhofes davon. Ich dachte, daß wir uns mit ihm vielleicht zu einer Vorortbahn begeben würden, zu einem kurzen Ausflug nach einem Wunderbild oder nach einem Kloster, in dem ein fremder Bischof predigte.
Doch fühlte ich, indem wir so schritten, die Wellen
einer immer größeren Angst in mir lebendig werden,
und endlich, mühsam wie in einem dunklen Traum, erfaßte ich die Lage, in
der ich mich befand. Die Menschengruppe, mit der ich durch die unterirdischen
Gänge geleitet wurde, war eine Sterbegemeinschaft, gebildet aus solchen,
die sich der letzten Reinigung bedürftig fühlten und ihren Leib ablegen
wollten wie ein altes Kleid. Solcher Gemeinschaften gab es ja viele, seitdem
die Welt in Unordnung geraten war, und ihre Bildung hlng von der Art des
Todes ab, den ihre Mitglieder gewählt hatten. Was uns betraf, so wartete
auf uns das Phosphorbad. - Ernst Jünger, Strahlungen,
28. August 1943
Reinigung
(3) Vielleicht hatten sie,
angesteckt von den monotonoi, die Vorstellung, daß jeder Mensch aus zwei
Menschen besteht und daß der eigentliche der andere ist, der im Himmel wohnt.
Auch hatten sie die Vorstellung, daß unsere Handlungen einen Umkehrreflex aussenden,
so daß, wenn wir schlafen, der andere wacht, wenn wir Unzucht treiben, der andere
keusch, wenn wir rauben, der andere freigebig ist. Im Tode werden wir uns mit
ihm vereinigen und er sein. (Ein Widerhall dieser Lehren überdauerte bei Bloy.)
Andere Histrionen vertraten die Anschauung, die Welt werde enden, wenn sich
die Zahl ihrer Möglichkeiten erschöpft habe; da es Wiederholungen nicht geben
kann, muß der Gerechte die schändlichsten Taten ausschalten (begehen), damit
diese nicht die Zukunft beflecken, und um die Herankunft des Reiches Christi
zu beschleunigen. Dieser Artikel wurde von anderen Sekten abgelehnt, die vertraten,
daß sich die Weltgeschichte in jedem Menschen vollenden muß. Die meisten — wie
Pythagoras — werden viele Leiber durchwandern müssen,
bevor sie ihre Befreiung erlangen; manche, die Proteiker, sind »am Ende eines
einzigen Erdenlebens Löwen, sind Drachen, sind Eber, sind Wasser und sind Baum«.
Demosthenes berichtet von der Reinigung durch Schlamm, der im Verlauf der orphischen
Mysterien die Initiierten unterworfen wurden; die Proteiker suchten auf analoge
Art die Reinigung durch das Böse. - J. L. Borges, Die Theologen,
nach (
bo3
)
Reinigung
(4) Ich habe wie
eine neunköpfige Raupe gefressen oder wie unser Freund
Monsieur Gaschon bei einem auserlesenen Diner. Ich habe die verschiedensten
Weine getrunken, eine heimtückisch große Melone wartete auf mich, und meinen
Sie, ich hätte einem riesigen Käse widerstehen können? Und dann Liköre und Kaffee
und schließlich eine abscheuliche Magenverstimmung, die mich die ganze Nacht
auf den Beinen hielt und mich zwang, den Vormittag zwischen der Teekanne und
einem anderen Gefäß zu verbringen, das zu nennen
nicht schicklich ist. Gott sei Dank, nun habe ich mich für zehn Jahre gereinigt.
-
(
sop
)
Reinigung
(5) ... Hier also, lieber
Leser, für Deine geistige Reinigung (bist du ein Freund von mir, so empfindest
du es manchmal als gebieterische Notwendigkeit) ein kleines Stück wahrer
Seife.
Denn in der Tat kann der Mensch sich nicht in reinem Wasser säubern, käme es auch herab in Sturzbächen, in denen man sich ertränken könnte; er kann sich weder im frischen Wind säubern, sei er auch noch so parfümiert, noch durch das Schweigen, noch durch Gebet (nicht einmal mitten im Jordan, bis zum Gürtel im Wasser), noch durch Selbstmord in der schwärzesten Quelle (trotz allerlei gängigen Vorurteilen darüber).
Dafür braucht er etwas - es ist nicht viel, aber unbedingt nötig -,
etwas in der Hand (im Munde), das mehr Substanz hat und vielleicht weniger
Natur, etwas Künstliches und beredt Sprudelndes, etwas, das sich entfaltet,
entwickelt und das zugleich sich verliert, verringert. Etwas, das stark
erinnert an das Sprechen, das unter bestimmten Bedingungen erfolgt... ...
Mit einem Wort: ein kleines Stück Seife.
- Francis Ponge, Die Seife. Neuwied und Berlin 1969
Reinigung
(6)
Reinigung
(7) Er traf
in Indien einen Lehrer, der den Knoten aus Ernährung und Verhalten auflöste.
Der Lehrer, als solcher nicht erkennbar, stand in schäbiger Kleidung im Rinnstein,
pinkelte in eine Flasche und trank den eigenen Urin. »Es hat die einzig richtige
Temperatur; nicht kalt, nicht heiß, körperwarm. Es reinigt das Blut. Der Urin
wurde zwar gerade aus dem Blut gefiltert, aber durch die Rückfüllung wird die
Reinigung intensiviert. Kreislauf und Abwehrkräfte werden gestärkt, Krankheiten
mühelos beherrscht. Ein Gesunder hat alle Krankheiten in sich. Er kontrolliert
sie, er meistert sie. Ich könnte zur Not vom Straßendreck leben, vom Dung der
Kühe, von den Fäkalien meiner Mitmenschen. Reinheit wird nur im Schmutz erzielt.
Die Gegensätze unseres Landes sind notwendige Pole eines Ganzen. Hier hungern
Millionen, die Bestechung ist alltäglich, die Grausamkeit grenzenlos. Nur darum
sind hier die Heiligen so zahlreich, und Güte und Liebe werden zu den vollkommensten
Formen getrieben. Wir haben die höchsten Berge, die tödlichsten Sümpfe, die
schönsten Seen und die gemeinsten Bakterien. Der Mensch ist die Puppenstube
des Landes. Alle Erhöhungen und Erniedrigungen muß er erfahren und enthalten.
Wir haben nie geglaubt, die Erde sei eine flache Scheibe. Nur das gemäßigte,
vernünftige, fortschrittliche Europa feierte in dieser Projektion seine Durchschnittlich
keit in einem kosmischen Rahmen. Junger Mann, entweder Sie beißen einem Hasen
ins Genick, zerren seine Halsschlagader auf und schlucken das Blut im Rhythmus
des Hasenherzens.« - Rolf Brück, Anhang
zu
(huf)
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