Jedoch nach einigem Zögern langte ich mechanisch den Schirm des Kubaners aus dem Ständer und schickte mich an, die Treppe hinabzugehen. Moras Schirm war aus gewöhnlicher Halbseide, aber sehr fest gerollt; der Griff war geierschnabelartig gekrümmt und bestand aus einem glänzend schwarzen, mir völlig unbekannten Material. Verstimmt und schwindelnd schritt ich die Stufen hinunter.
Ich trat mit einem Gefühl der Befreiung auf die Straße. Es mochte nahe an Mitternacht sein; aber hier war noch regsames, frisches Leben, die Omnibusse machten trapptrapp, Autos tuteten, die Straßenbahn sauste.
Bald jedoch fühlte ich wieder das tiefe Unbehagen, das ich beim Ergreifen des fremden Regenschirmes empfunden hatte.
Ich schritt rüstig aus, hoffte, bald die Nachwirkungen jener unerfreulichen Sitzung überwunden zu haben. Plötzlich fiel mein Blick auf meine Handschuhe. Sie waren grüngrau, nicht sang de boeuf; es mußten die Handschuhe jenes verdammten Mora sein. Jetzt senkte ich mein Auge auf die Fußspitzen. Ich hatte gelbe Schuhe getragen, jetzt trug ich schwarze! Da packte mich eine tolle Angst, eine wahnsinnige Ratlosigkeit! Ich blickte rasch in eine jener Geschäftsauslagen, die während der ganzen Nacht erleuchtet sind. Der dort ging — der dort stand — das war nicht ich! Dieser Mann mit dem schnabelkrückigen Regenschirm, dem olivenfarbenen, exotischen Gesichte — es war der Kubaner, es war Senor Mora!
Die Häuser, die Bäume, die
Vorübergehenden, alles drehte sich wie im Wirbel um mich. Nein, es konnte ja
nicht wahr sein! Ich war doch ich! Aber nein, nein — mein Spiegelbild sagte
mir ja, daß ich jetzt der widerwältige Spaniole Mora sei! Kennen Sie die Legende
von jenem ostindischen Käfer, der vor der großen, schwarzen Schabe, dem Cockroach,
einen solchen Widerwillen empfindet, daß er — nach dem Glauben des Eingeborenen
wenigstens — sich vor lauter Ekel in die Gestalt
seines gefürchteten Feindes verwandelt,
selbst zur schwarzen Schabe wird? So war es auch mir ergangen! - Bodo
Wildberg, Vertauscht.
In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Hg.
Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990 (st 1595, zuerst 1911)
»Er geht nicht auf. Versuch mal.«
Wir versuchten beide, und plötzlich bauschte sich der Regenschirm auf, die
Speichen brachen durch den triefenden Bezug, der Wind ließ die Fetzen auftanzen;
das Wrack wand sich über uns im Wind wie ein vertilgter mathematischer Vogel.
Wir versuchten, ihn zusammenzufalten, aber eine bis dahin unsichtbare Speiche
sprang aus seinen zerfetzten Rippen hervor. Leslie schleifte ihn hinter sich
her über den Gehsteig, als hätte er ihn totgeschossen. - Dylan
Thomas, nach: Vom Geheimnis der alltäglichen Dinge. Hg. Johannes Werner. Frankfurt
am Main 1998
»Es ist ja offen«, rief es von innen, und Karl öffnete mit ehrlichem Aufatmen
die Tür. »Warum schlagen Sie so verrückt auf die Tür ?« fragte ein riesiger
Mann, kaum daß er nach Karl hinsah. Durch irgendeine Oberlichtluke fiel ein
trübes, oben im Schiff längst abgebrauchtes Licht in die klägliche Kabine, in
welcher ein Bett, ein Schrank, ein Sessel und der Mann knapp nebeneinander,
wie eingelagert, standen. »Ich habe mich verirrt«, sagte Karl, »ich habe es
während der Fahrt gar nicht so bemerkt, aber es ist ein schrecklich großes Schiff.«
»Ja, da haben Sie recht«, sagte der Mann mit einigem Stolz und hörte nicht auf,
an dem Schloß eines kleinen Koffers zu hantieren, den er mit beiden Händen immer
wieder zudrückte, um das Einschnappen des Riegels zu behorchen. »Aber kommen
Sie doch herein!«sagte der Mann weiter, »Sie werden doch nicht draußen stehn!«
»Störe ich nicht?« fragte Karl. - Franz Kafka, Amerika
In den Hof? Aber wenn du mich gut festhieltest, ginge es vielleicht ohne Schirm. Ich habe keinen. Regenwasser macht schön.
Ohne Schirm? Ich wußte nicht, daß du eine Hexe bist. Mir war schon immer, als hätte ich deine Personalbeschreibung in den Annalen der Inquisition gelesen. Im Archive de Sevilla.
Schwindler, sagt lsabel. Du warst nie in Sevilla. Aber halt den Mund von
solchen Sachen. Ich kann so was nicht hören. Arlecq sah sie an. Sie war blaß
geworden. Bei uns in der Familie erzählten sie immer von einem Vorfahren, der
verbrannt worden war, weil er Löcher in Hostien
bohrte. - Fritz Rudolf Fries, Der Weg nach Oobliadooh. Leipzig
1993 (zuerst 1975)
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