egenfamilie Nach
dem Haus, in dem ich raste, steigt die Straße sanft, aber lange an, und ich
vermute, daß der eigentümliche Regenklang von der ruhigen Gebirgsluft noch gedämpft
wird. Hinter dem Nebel, der aus dem Tal hochsteigt, dürften schroffe Berge hochragen,
ich glaube, ihre Umrisse zu erkennen, es könnten aber auch andersfarbige Wolken
sein. Wenn es Berge wären, könnte ich sie niemals überschreiten, meine Aufgabe
ist es aber, wenn es nicht regnet, auf dieser Straße weiterzugehen, sonst nichts.
Nach zehn Minuten Regen beschließe ich zu wissen, daß
das Haus mir gehört. Ich mache es mir auf dem knarrenden, rustikalen Sitz bequem
und lasse meine Hände seitlich der Knie hinuntersinken. Solange der Regen dauert,
bin ich also angekommen. Natürlich bin ich nicht in der Lage festzustellen,
wie lange er etwa dauern könnte, aber so ein feiner Regen kann auch bis in die
Nacht hinein, vielleicht bis zum Morgengrauen dauern. Wenn ich angekommen bin,
kann ich meinen Koffer auspacken. Da ich selbstverständlich kein Gepäck habe,
packe ich im Kopf aus und verteile meine Wäsche, meinen zweiten Anzug und die
zwei Krawatten in die verschiedenen Schränke des Hauses. Ich werde meine Frau
bitten, meine Kleidungsstücke in die Schubladen zu legen und meine Jacke zu
bügeln. Selbstverständlich gibt es meine Frau nicht, aber solange es regnet,
brauche ich das nicht zu wissen. Wenn ich zerstreut und zugleich intensiv hinhorche,
vernehme ich hinter mir Geräusche, sicherlich das
Knarren des Holzes und der angelehnten, vom Wind bewegten Fenster. Trotzdem
hindert mich nichts daran, diese Geräusche als Anzeichen für das geschäftige
und gehorsame Dasein meiner Frau zu betrachten. Sooft mich der Regen gezwungen
hat, Rast zu machen, habe ich immer diese Geräusche vernommen: keine anderen.
Ich muß zugeben, daß meine Frau - wahrscheinlich bei jeder Etappe eine andere
- immer vollkommenes Schweigen bewahrt. Es ist mir nicht bekannt, ob sie mir
nichts zu sagen hat, wie es bei alten Eheleuten vorkommt, oder ob ihr das Privileg
liebgeworden ist, das Kissen dieses Schweigens zu hegen und zu pflegen, damit
sich jeder von uns behaglich hineinkuscheln kann. Jetzt, da der Regen ein wenig
dichter geworden ist und mir den Besitz dieses Etappenhauses einige Stunden
lang garantiert, kann ich mir auch zumindest einen Sohn gestatten. Nein, ich
glaube, eine Tochter wäre mir auf jeden Fall lieber. Ich weiß, ich bin ein wortkarger
Mann, und möchte keinen unruhigen Sohn - was sollte ich denn auf seine Fragen
antworten? -, und eine Tochter, glaube ich, könnte meiner schweigsamen Gattin
ein wenig Gesellschaft leisten. Trotzdem wäre es wohl vernünftiger, einen alten
Menschen zu wählen, wenn ich nicht dessen unvorsichtige Redeweise fürchten würde.
Wenn der Vater meiner Frau bei uns lebte, wäre ich äußerst besorgt, denn ich
meine, es könnte indiskret sein, die Pfeife zu rauchen und wegen seiner Schwerhörigkeit
zu laut zu reden. In Wirklichkeit hat noch nie bei einer Rast jemand das Wort
an mich gerichtet, ich habe noch nie jemanden gesehen, und das erfüllt mich,
wo nicht mit Glücksgefühl, so doch mit gelassener Fröhlichkeit wie einen, der
mit Steinchen spielt. Anders gesagt, es wandelt sich die Beschaffenheit der
Geräusche: würde es nicht regnen; dann wüßte ich, was der Grund dafür ist; aber
es regnet, und die Geräusche zeichnen Gesichter, Körper, Personen und ein geschäftiges
häusliches Leben, das sich Menschen angelegen sein lassen, denen meine gute
Laune am Herzen liegt. Wenn ein Zeitungsstand in der Nähe wäre, könnte ich meine
Tochter oder meinen Sohn um die Zeitung schicken; aber natürlich gibt es hier
keinerlei Zeitungen zu holen, und ich habe einen Grund weniger, jene schwachen
Geräusche auf die Probe zu stellen. - Giorgio Manganelli, Reisenotizen.
In: (
irrt
)
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