edemühle  Eines Samstagabends  brachte N'aqu'un-Œil eine schmächtige kleine Kreatur mit, lebhaft, zappelig, mit einem Mundwerk voll von Ulk, wie es die männlichen und weiblichen Sprößlinge des Pariser Pflasters, die titis, an Geistes Statt haben. Sie war keß, nicht hübsch, die Skizze einer Frau, bei der alles möglich ist, eine der Silhouetten, die der Zeichner abends im Café, zwischen einem Glas Branntwein und einer Zigarette, mit drei Strichen aufs Tischtuch setzt. Manchmal macht es die Natur ebenso.

Am ersten Abend erstaunte und amüsierte sie uns, aber wir hatten keine Meinung, so unerwartet war sie. In ein Nest von Männern gefallen, zu allen Verrücktheiten bereit, wurde sie sehr schnell Herrin der Lage und hatte uns tags darauf bereits erobert.

Sie war übrigens völlig verdreht, geboren mit einem Glas Absinth im Bauch, den ihre Mutter im Augenblick der Niederkunft getrunken haben muß, und seitdem nie mehr nüchtern geworden, denn ihre Amme, behauptete sie, erfrischte sich das Blut mit Rum; und sie selbst nannte die Flaschenreihe hinterm Zahltisch der Weinhändler stets nur »meine heilige Familie«.

Ich weiß nicht mehr, wer von uns sie »Mouche« (Fliege) getauft hat, noch weiß ich, warum sie den Namen bekam, aber er paßte und blieb ihr. Und unser Boot, das »Feuille-à-l'Envers« (Verkehrtes Blatt) hieß, trug nun jede Woche fünf vergnügte und kräftige Burschen über die Seine zwischen Asnières und Maisons-Laffitte, die von einer lebhaften, leichtfertigen Person unter einem bunten Papierschirm gesteuert wurden; sie behandelte uns als Sklaven, die sie auf dem Wasser spazierenzufahren hatten, und wir liebten sie sehr.

Wir hebten sie alle sehr, zuerst aus tausend Gründen und dann aus einem einzigen. Im Heck unseres Gefährts war sie so etwas wie eine kleine Redemühle, die im Wind, der übers Wasser strich, schwatzte. Sie schwatzte ohne Ende mit dem anhaltenden, leichten Geräusch einer geflügelten Mechanik, die sich in der Brise dreht; und sie brachte, ohne nachzudenken, die unerwartetsten, ulkigsten, verblüffendsten Sachen heraus. In diesem Kopf, wo eins sowenig zum anderen zu passen schien wie Flicken jeder Art und Farbe, die nicht etwa zusammengenäht, sondern nur geheftet sind, steckten Phantasie wie in einem Märchen, Gauloiserie, Schamlosigkeit, Frechheit, Unverhofftes, Komisches und Luft, Luft und Weite wie auf einer Ballonreise.

Man stellte ihr Fragen, nur um die Antworten zu hören, die sie wer weiß woher nahm. Am häufigsten wurde sie damit geplagt:

»Warum heißt du Mouche?«

Sie erfand derart unwahrscheinliche Gründe, daß wir vor Lachen aufhörten zu rudern.

Sie gefiel uns auch als Frau; und La Toque, der nie ruderte und den ganzen Tag neben ihr auf der Steuerbank saß, antwortete einmal auf die übliche Frage »Warum heißt du Mouche?«:

»Weil sie eine kleine Kantharide ist.«

Ja, eine summende, fiebererregende kleine Kantharide, nicht die klassische giftige Kantharide, die glänzend gepanzert ist, sondern eine kleine Kantharide mit roten Flügeln, die die ganze Mannschaft der »Feuille-à-l'Envers« seltsam durcheinanderzubringen begann. - (nov)

Redemühle (2)  Der Verfasser des Buchs über die Ehe sagt: eine Frau, die nicht spricht, sei dumm. Aber es ist leichter, sein Lobredner als sein Jünger zu sein. Die klügsten Weiber sind oft stumm unter Weibern, und die dümmsten und stummsten sind oft beides unter Männern. Im ganzen gilt vom weiblichen Geschlecht die Bemerkung über das männliche, daß die Menschen am meisten denken, die am wenigsten sprechen, so wie die Frösche aufhören zu quaken, wenn man ein Licht ans Weiher-Ufer stellt. - Übrigens kommt das viele weibliche Sprechen von ihren sitzenden Arbeiten; die sitzenden Handwerker, Schneider, Schuster, Weber, haben mit ihnen nicht nur die hypochondrischen Phantasien, sondern auch das viele Sprechen gemein. - Jean Paul, Siebenkäs

Redemühle (3)  Ich hatte vom Krankenhaus angefangen, um ihr einen neuen Mann vorzuspielen, einen, den sie nicht kannte und auch nicht mehr kennenlernen sollte. Aber dann hatte ich ihr doch wieder imponieren wollen. Das war ein Fehler. Mein Bester. Komm jetzt.

Ja, das Leben fordert Helden auf jedem Platz, dachte ich und setzte mich gehorsam neben sie. Wer kümmerte sich von den zwei Milliarden um mich? Wer, außer ein paar Frauen, bestätigte mir, daß ich auch da war? Ich konnte mich der Welt nicht aufdrängen mit Transaktionen, Kanalbauten, pädagogischen Handbüchern, Sprinterlorbeeren oder Vorsitz in holzgetäfelten Sälen, ich war weder Vollkaufmann noch General, mein Platz war im Kinopublikum, zweiter Rang, für wen war ich notwendig? Das ließ sich an einer Hand abzählen. Gut, ich war Konsument, aber sonst? Wer sorgte dafür, daß man nicht verging vor Kläglichkeit, wenn man nach sechsundzwanzig nutzlosen Besuchen unterm feuchtkalten schweren Bettzeug des Kleinstadthotels lag und zur Decke rauchte? Nebenan rauschte ein Bad, auf dem Rand der Wanne saß wer und pfiff und schlug klatschend ins Wasser. Sollte man zur Tür hinaussehen? Aber wenn da lammfellgefütterte schwarze Schnürstiefel standen, oder runde, breitmäulig dumme, elende Männerhalbschuhe? War es nicht besser, liegenzubleiben und sich aus den Geräuschen von nebenan was Hübsches zu basteln? Während Du das noch überlegst, bist Du schon aufgestanden, hast die Türe geöffnet, Dich zum Schein über Deine eigenen häßlichen Schuhe gebückt, braundreckig mault das ausgetretene Leder, ein Blick rasch nach rechts und nach links, überall blinken schwarze Kleckse mit matten Löchern, mißratene Haustiere halten die Wacht vor den Schlafzimmern ihrer Herrn. Aber vor der Türe nebenan führen zwei kühne Bögen von hohen Absatzstäbchen auf den Boden herab, so steil und leicht, nach unten sich so sehr verfeinernd, daß man glaubt, die Schuhspitzen erreichten den Boden nicht mehr. Zwei rote Rassetiere, stumm und spöttisch, erleuchten den trüben Gang. Was nützt es, diese Boten einer schöneren Welt anzustarren und die Tür, hinter der ..,? Und doch gehst Du fröhlicher in die eigene Zelle zurück, die Luft ist keine Last mehr, unter deren Gewicht man ins Bett ächzt, sie ist voller Versprechungen, die man zwar besser nicht buchstabiert, die sich aber doch als eine aus Phantasie gewobene Hand auf unsere Lider legt und unvermerkt schon unseren Traumzügen die Weichen stellt.

Erzähl' noch ein bißchen vom Krankenhaus, sagte sie und legte ihren Kopf so an mich, daß er abwärts abwärts rutschte und auf den Oberschenkeln Hegen blieb. Weißt Du, ich hatte, solange Du weg warst, auch solche Überlegungen mit Gott, das ist komisch, nicht wahr, aber nachdem wir Fräulein auf Frist abgedreht hatten, war ich so, ach den hast Du ja noch gar nicht gesehen, bitte Anselm, Du mußt morgen hinein, läuft seit sechs Wochen im Palast, nicht schlecht, was? Bodo war diesmal unausstehlich, er hat sich nur mit Horst abgegeben. Glaubst Du, er hätte mir eine Betonung gesagt, aber ich habe ihn nicht ein einzigesmal gefragt, Du mußt hinein, ich muß wissen, wie Du mich findest, ganz in eigener Regie, tut das mein Löwenzahn? Und in dem neuen Anouilh hast Du mich auch noch nicht gesehen, Herzchen, ist die Banda schlecht, aber ich kann es ihr einfach nicht sagen, keiner sagt es ihr, das ist gemein, ich weiß, aber sie tut mir leid, ehrlich, sie ist ein so feiner Mensch, übermorgen mußt Du hinein, ich spiele nur noch bis zum 28., dann geht's nach Riva, drei Wochen ohne Dich, Liebster, und Marais ist kein Ersatz für Dich wie Du weißt, trotzdem Jean ist ein feiner Kerl, in der Arbeit, O. W. übrigens auch, ich war überrascht, dann sagst Du mir, wie Du mich findest in dem Anouilh, der nicht so gut ist wie ein neuer Anouilh eigentlich sein sollte, aber schau Dir mal an, was ich daraus gemacht habe, Franz-Peter und ich haben meinen ganzen Text umgeschrieben, richtig auf Schnauze verpaßt, ich bin sehr gespannt auf Dein Urteil, Pfote Du, Edmund sagt, und Du behauptest, der verstünde was, intelligent ist er ja, zum Fürchten intelligent, er sagt, ich sei noch nie so gut gewesen, ich hätte den Anouilh gespielt» als wäre er von Giraudoux, ist doch hübsch, Breitmaul, findest Du nicht? Warum erzählst Du mir denn nicht ein bißchen vom Krankenhaus, schenk' uns noch einmal ein, wir müssen feiern, Deine Auferstehung ist doch auch ein Erfolg, Tatze Duuuu.

Ohne Kleider redete sie nicht halb soviel, hatte keine laute Stimme mehr, und ein anderes Vokabular. - Martin Walser, Halbzeit. München 1971 (zuerst 1960)

Reden Frau Gesprächigkeit
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