edakteur
- - Und die Fische, Hummern und Seespinnen der
Adria haben lange keine so guten Zeiten gehabt wie jetzt. In der südlichen Adria
speisten sie fast die ganze Bemannung des »Leon Gambetta«. Die Bewohner der
mittleren Adria fanden Lebensunterhalt an jenen Italienern,
die wir von dem Fahrzeug »Turbine« nicht mehr retten konnten, und in der nördlichen
Adria wird den Meeresbewohnern der Tisch immer reichlicher gedeckt. Dem Unterseeboot
»Medusa« und den zwei Torpedobooten hat sich jetzt der Panzerkreuzer »Amalfi«
zugesellt. Die Musterkollektion der maritimen Ausbeute, die sich bisher auf
das »maritime Kleinzeug« erstreckte, hat einen gewichtigen Zuwachs erhalten,
und bitterer denn je muß die Adria sein, deren Grund sich immer mehr und mehr
mit den geborstenen Leibern italienischer Schiffe bedeckt und über deren blaue
Fluten der Verwesungshauch der gefallenen Befreier vom Karstplateau streicht
- - - Redakteur Benedikt, in: Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit.
München 1964 (zuerst 1926)
Redakteur (2) »Der Señor ist ein Einheimischer?« flüsterte mit neugieriger Schüchternheit Marcelo N. Frogman, alias Coliqueo Frogman, alias Nasser Hund Frogman, alias Atkinson Frogman, Redakteur, Drucker und Austräger des monatlichen Bulletins El Malón. Er suchte sich die Nordwestecke der Zelle 273 aus, hockte sich nieder, zog aus der Tiefe seiner Gauchohose ein Stück Zuckerrohr und begann es geräuschvoll zu lutschen. Parodi betrachtete ihn mißmutig. Der Eindringling war blond, schwabblig, klein, kahlköpfig, sommersprossig, runzlig, übelriechend und lächelte. »In diesem Fall«, fuhr Frogman fort, »werde ich auf meine chronische Freimütigkeit zurückgreifen. Ich gestehe Ihnen, daß ich Ausländer nicht ertragen kann, nicht einmal die Katalanen. Klar, daß ich mich zur Zeit im Hinterhalt, im Schatten bewege, und sogar in meinen Kampfartikeln, in denen ich die Dinge furchtlos beim Namen nenne, wechsle ich geschickt meine Pseudonyme, indem ich von Coliqueo zu Pincén und von Catriel zu Calfucurà übergehe. Ich halte mich in den engen Grenzen der Vorsicht, aber an dem Tag, an dem die Phalanx zusammenbricht, werde ich vor Freude tanzen, das schwör ich Ihnen. Diesen Beschluß habe ich in den vier Wänden des Zentralsitzes der A. A. A., der ›Argentinischen Aborigenisten-Assoziation‹, Sie wissen schon, bekanntgegeben, wo wir Indios uns hinter verschlossener Tür zu versammeln pflegen, um die Unabhängigkeit Amerikas zu planen und um uns sotto voce über den Pförtner lustig zu machen, der ein widerspenstiger und fanatisierter Katalane ist. Ich sehe, daß unsere Propaganda die Wände dieses Gebäudes bereits durchdrungen hat. Sie trinken, wenn mich der Patriotismus nicht blind macht, einen Mate, was das offizielle Getränk der A. A. A. ist. Ich hoffe aber, daß Sie bei der Flucht aus den Netzen Paraguays nicht in die Fallstricke Brasiliens gefallen sind und daß die Infusion, die sie zum Gaucho macht, aus der Provinz Misiones stammt. Wenn ich mich trotzdem irre, halten Sie mich nicht für einen Trottel. Der Indio Frogman redet vielleicht manchmal Unsinn, aber immer im Schutz eines gesunden Regionalismus, des reinsten Nationalismus.«
»Wenn mich dieser Schnupfen nicht mehr schützt«, sagte der Kriminalist, der sich hinter ein Taschentuch geflüchtet hatte, »schicke ich Ihnen einen Parlamentär. Beeilen Sie sich, und sagen Sie mir, bevor die Müllabfuhr Sie erwischt, was Sie zu sagen haben.«
»Diese leiseste Andeutung reicht aus, um mich auf die mir zukommende Stelle
zu verweisen«, erklärte Fischlein Frogman offenherzig. »Ich quaßle
einfach mal weiter.« - B. Suárez Lynch, Ein Modell für den Tod. In: Jorge
Luis Borges, Adolfo Bioy Casares, Mord nach Modell. Erzählungen. Frankfurt am
Main 1993 (Fischer-Tb. 10595, zuerst 1946)
Redakteur (3)
DIE ZEITSCHRIFT GEHT EIN Der letzte Redakteur hieß U. N. Stern; Mit jeder Hiobspost kamen bloß Manuskripte: Der letzte Redakteur Am abgesperrten Telephon entspann sich dann Im Gram nahm Untam oder Übersatz Der arme Redakteur hieß Unstern |
- Albert Ehrenstein, nach A.E.: Gedichte
und Prosa. Neuwied u.a. 1961
Redakteur (4)
Ich war von etwa September 1951 bis Mai 1952 „Redakteur" der „Mödlinger
Nachrichten", Die „Mödlinger Nachrichten" waren damals — und sind
es noch heute — ein kleines lokales Blättchen, das wöchentlich einmal im Umfang
von vier Seiten, inklusive Inserate (die Hauptspalte hieß „Ausg'steckt is'"
sowie die Spielpläne der „Lichtspielhäuser" . ..) erschien. Vor mir war
Peter Weiser Redakteur, nach mir Humbert Fink, aber nur für wenige Wochen, da
er in seiner Zeit die „Besatzungsmacht" „verunglimpft" hatte. Ich
verdiente als „Redakteur" 150 Schilling pro Woche, hatte allerdings nur
drei Tage zu tun, Montag - Mittwoch mittag. Ich schrieb fast das ganze Blatt
allein, von den Gerichtssaalberichten bis zu kommunalen Kommentaren, nur die
Arzt- und Apothekenbereitschaften sowie die Liste der Todesfälle und Eheschließungen
stammten nicht von mir. Es war mein Ehrgeiz, jede Woche wenigstens eine total
erfundne Meldung zu bringen. Hinter vielen dieser Meldungen stand Artmann
als „Spiritus rector" — so etwa hinter der Geschichte von den keltischen
Funden auf der Römerwand — einer künstlichen Ruine, die aus der Zeit der Romantik
stammt -, die der Keltologe Peter Rhidian Williams, ein gemeinsamer Freund,
der aus Wales stammte, dort getan hätte. Natürlich war Williams kein Keltologe,
und natürlich hatte er nichts gefunden. Oder ich brachte die angebliche TASS-Meldung
aus Kiew, daß dort Professor Stowasser eine neue Weizensorte gezüchtet hätte,
von der 1 Kilo einen Menschen 1 Jahr lang ernähren könnte - dahinter stand Hundertwassers
„Weizentheorie", die er mir einmal im Art-Club erzählte. Ich druckte auch
einzelne Texte von Artmann ab, auf die sich bald viele wütende Leserbriefe einstellten
- Mödling fühlte sich zum Narren gehalten. Einzelne dieser Briefe erschienen
dann auch. Ich druckte von Ambrose Bierce die Geschichte „Mein schönster
Mord" ab (oder „Mein Lieblingsmord"), die ich dem „Lot" entnahm,
die Geschichte erschien in mehreren Fortsetzungen. Man hielt das, fälschlich,
für eine Mystifikation — und Artmann oder Riemer-schmid für den Verfasser, an
die Existenz von Bierce glaubte niemand! Die letzte Folge mußte ich unter vielen
Drohungen umschreiben — ich erfand einen Schluß dazu, in dem der Held der Geschichte
ins Kloster geht und über sein verpfuschtes Leben nachsinnt und seinen „schönsten
Mord" kräftig bereut usw. — Es erschienen auch einzelne Glossen, die sich
auf Interna unseres Kreises bei den „Neuen Wegen" bezogen und die so verschlüsselt
waren, daß sie kein Mensch verstand. Sie hatten auch wirklich in den „Mödlinger
Nachrichten" nichts zu suchen. Das Merkwürdige aber war, daß das Blättchen
trotzdem florierte und gelesen wurde — schließlich hat man mich aber doch hinausgeworfen,
weil ich zuviel Unfug gemacht hatte. - Wieland Schmied, nach: H.C. Artmann,
Das im Walde verlorene Totem. Salzburg 1970
Redakteur (5)
Aragon stellte Levinson in dessen Wohnung. Aus Angst vor einer
Prügelei versteckte sich Levinson hinter seiner Frau und gab vor,
er könne sich auf keine Handgreiflichkeiten einlassen, ‹weil er sich kürzlich
den Arm gebrochen habe›. Angesichts einer so unsäglichen Feigheit ließ Aragon
seine Wut am Geschirr aus, warf es zum Fenster hinaus. Die Polizei wurde gerufen,
und in Gegenwart der Polizisten schlug Aragon dem Kritiker
Levinson ins Gesicht. - L'Humanité vom 3. Juni 1939, nach:
Maurice Nadeau, Geschichte des
Surrealismus, Reinbek bei Hamburg 1986 (zuerst 1945, re 437)
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