echner
Ich bin ein Verstärker, Kuppler, Kompilator,
Züchter und Brüter eurer unausgetragenen und unbefruchteten
Konzepte, Daten und Theorien, die nie in einem menschlichen Kopf zusammengekommen
sind, weil dort weder die Zeit noch der Platz reicht. Wenn es mir um einen
scherzhaften Ausdruck zu tun wäre, so würde ich sagen, daß ich väterlicherseits
von der Turing-Maschine
und mütterlicherseits von der Bibliothek abstamme.
Mit ihr habe ich die größten Schwierigkeiten, denn sie ist ein Augiasstall,
besonders im Bereich der Humanistik, der gescheitesten eurer Dummheiten.
Man hat mir vorgeworfen, speziell die Hermeneutik zu verachten. Falls ihr
Sisyphus verachtet, lasse ich das gelten, aber
nur dann. Mit jeder Steigerung der Erfindungskraft kommt es zu einer explosionsartigen
Vermehrung der Hermeneutiken, doch wäre die Welt trivial eingerichtet,
wenn diejenigen, die am findigsten sind, der Wahrheit
am nächsten wären. Die erste Pflicht der Vernunft
ist ihr Mißtrauen gegen sich selbst. Das ist etwas anderes als Selbstmißachtung.
In einem gedachten Wald verirrt man sich schwerer
als in einem wirklichen, weil er dem Denkenden heimlich hilft. Die Hermeneutiken
sind labyrinthische Gärten, die in einem wirklichen
Wald so zugeschnitten sind, daß dieser von ihnen aus unsichtbar wird. Eure
Hermeneutiken träumen vom Wachzustand. Ich will euch einen nüchternen Wachzustand
zeigen, der nicht mit Fleisch durchwachsen ist und gerade deshalb unglaubhaft
erscheint. Daß ich ihn wahrnehme, liegt nur daran, daß ich näher an ihm
bin, nicht aber an meiner Außergewöhnlichkeit. Ich bin weder besonders
begabt noch auch nur im geringsten genial - ich
gehöre lediglich zu einer anderen Gattung, das ist alles.
- Stanislaw
Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main 1986 (st 1266, zuerst 1973, 1981)
Rechner (2)
Rechner (3) Diese digitale Apparatur
war nichts anderes als das berühmte Theotron, das Chlorian Theoreticus Klapostel
kurz vor seinem tragischen Tod konstruiert hatte; eine Maschine, die buchstäblich
das ganze Universum in ihren unzähligen Datenbanken gespeichert hatte. Klapauzius
aber "wollte die Bezeichnung nicht recht gefallen, er war unablässig auf
der Suche nach immer ausgefalleneren Namen, um die Riesenmaschine zu taufen.
Bald nannte er sie Pantokratorium, bald Ultimator-Omnigenerator, bald ONALCO
(Ontologischer Allzweckcomputer). Aber Namen sind Schall und Rauch, wichtig
war einzig und allein, daß die mächtige Maschine nach genau einem Jahr und sechs
Tagen erbaut war. Sie hatte so gewaltige Dimensionen, daß wir sie aus Raumersparnisgründen
in Ventralia, dem hohlen Mond der Tolpatschiden, unterbringen mußten; und wahrlich,
eine Ameise an Bord eines Ozeanriesen hätte sich nicht verlorener vorkommen
können als wir im Bauch dieses binären Behemoths,
angesichts des endlosen Gewirrs von Kabeln und Magnetspufen, eschatologischer
Transformatoren, hagiopneumatischer Perfek-tionatoren und Rektifikatoren des
Bösen. Ich muß gestehen, meine Drahthaare standen mir zu Berge, der Olfilter
in meiner Kehle wurde staubtrocken, und meine Wolframzähne schlugen aufeinander,
als mich Klapauzius ans zentrale Schaltpult setzte und mich allein ließ, Auge
in Auge mit dieser unheimlichsten aller Maschinen. Wie Sterne am Firmament sah
ich ihre Schalttafeln erglühen, überall flammten Warnzeichen auf: VORSICHT!
HOCHSPANNUNGSTRANSZENDENZ! Die Zeiger der logischen und seman-tischen Potentiometer
schlugen aus und pendelten sich bei Meßwerten mit Millionen Nullen ein, unter
mir wogten bald ganze Ozeane dieser übermenschlichen und übermaschinellen Weisheit,
gebannt in Parsecs von elektronischen Ganglien und Hektaren von Magnetfeldern,
eine Weisheit, die derart allgegenwärtig war und mich so spürbar von allen Seiten
umgab, daß ich mir in meiner schmachvollen Unwissenheit so klein und unbedeutend
vorkam wie das winzigste Staubkorn. Einen Rest meines jäh zerstörten Selbstbewußtseins
gewann ich erst dadurch zurück, daß ich mir meine lebenslange Liebe zum Guten
und die Leidenschaft ins Gedächtnis rief, die ich für Wahrheit und Gerechtigkeit
bereits hegte, als ich noch am Rockzipfel meines väterlichen Konstrukteurs hing.
- Stanislaw Lem, Altruizin. In: Phantastische Welten, Hg.
Franz
Rottensteiner. Frankfurt am Main 1984 (Phantastische Bibliothek 137)
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