echenexempel »Erlaube mir, ich möchte eine ernste Frage an dich richten«, begann der Student. »Ich habe jetzt natürlich Spaß gemacht, aber sieh einmal: da ist auf der einen Seite ein dummes, nutzloses, nichtswürdiges, böses, krankes altes Weib, das kein Mensch braucht und das im Gegenteil allen schadet, das selber nicht weiß, wozu es auf der Welt ist, und morgen ohnedies ganz von selbst sterben wird. Verstehst du? Verstehst du?«
»Nun ja«, erwiderte der Offizier, während er den in Hitze geratenen Gefährten aufmerksam betrachtete.
»Hör weiter! Und auf der anderen Seite gibt es junge, unverbrauchte Kräfte,
die ohne Unterstützung nutzlos verkommen, und das zu Tausenden, überall! Da
sind hundert, tausend gute Werke und Unternehmungen, die man mit dem Geld der
Alten beginnen und richtig zu Ende führen könnte, mit dem Geld, das einem Kloster
vermacht ist! Da sind hundert, tausend Existenzen, die vielleicht auf den richtigen
Weg gebracht, Dutzende von Familien, die vor dem Elend, der Zersetzung, dem
Untergang, dem Laster, der Syphilisabteilung eines Krankenhauses gerettet werden
könnten - und all das mit dem Geld dieses Weibes! Bring sie um und nimm ihr
ihr Geld, und dann widme dich mit dessen Hilfe dem Ziel, der ganzen Menschheit
und der gemeinsamen Sache zu dienen - was meinst du: wird dieses eine winzige
Verbrechen nicht durch die Tausende von guten Werken aufgewogen werden? Für
ein Leben tausend Leben, gerettet vor Fäulnis und Untergang; ein Tod und dafür
hundertfaches Leben - das nenne ich ein einfaches Rechenexempel! Und wieviel
ist denn, alles in allem genommen, das Leben dieser schwindsüchtigen, dummen,
bösen alten Frau wert? Nicht, mehr als das Leben einer Laus, einer Küchenschabe,
und nicht einmal das: denn das alte Weib ist schädlich. Sie frißt fremdes
Leben; sie ist böse; unlängst hat sie Lisaweta im Zorn in den Finger gebissen;
beinahe hätte man ihn abschneiden müssen!«
- Fjodor M. Dostojewskij, Schuld und Sühne. München 1987