Realismus, erhabener    Das älteste aller Frauenlächeln zog über ihr Gesicht. Die verstiegene Verehrung ihres Liebhabers kann eine Frau auf so zarte Weise spaßig finden wie der hinterhältigste Zyniker der Welt. Wenn er von ihrer Schönheit hingerissen ist, so ist das nichts im Vergleich mit der ungeheuren Wohligkeit ihrer Hingabe an ihn. Es gibt Gefühlslagen bei verliebten Frauen, die Männern für immer völlig unerschlossen bleiben. Das imaginative Erkennen von weiblichem Liebreiz, die gierige Lust, der Besitzstolz, das bebende Gespür für den Ausdruck weiblicher Leidenschaft, die Ehrfurcht angesichts eines abgrundtiefen Mysteriums - all diese Empfindungen existieren im Bewußtsein des Mannes merkwürdig voneinander abgeschieden. Sie sind alle von der blinden Grundströmung getrennt, welche die beiden zueinander treibt. Dagegen erreichen Frauen, wenn sie sich wirklich rückhaltlos aufgeben, einen tiefen inneren Fluß der Flingabe, wo eine solche Abgesondertheit von der Natur vollständig wegfällt. In solchen Augenblicken fühlt sich die Frau nicht schön oder begehrenswert. Sie empfindet ihren Geliebten nicht als stattlich, stark, klug oder tapfer. Sie mag die gemeinste Tochter ihrer Rasse, er der am wenigsten bewundernswerte Sohn seiner Rasse sein. Körper, Kopf und Gesicht mögen bei ihm entstellt, deformiert, schmutzig oder ungepflegt sein; seine Persönlichkeit mag verachtenswert sein. Sie hat eine Gefühlsebene erreicht, wo alles an ihm akzeptiert und als gegeben hingenommen wird; und nicht genug, wo es sogar ohne Spur von Idealisierung als das gesehen wird, was es ist. Sie hat eine Ebene erreicht, wo sie in hehrer, unbewußter Demut dieses Bild, diesen Schattenriß, dieses arme Erdenwesen als ihren Gebieter annimmt; und indem sie das tut, akzeptiert sie gleichfalls ihre eigene überaus schmerzliche Unvollkommenheit, wobei sie mit einem Verständnis, das tiefer als selbst der Zynismus reicht, ironisch und behutsam alle seine sinnlichen und gefühlsmäßigen Liebesillusionen außer acht läßt.

So ist in der Liebe einer Frau, wenn sie auf diese Ebene gelangt ist, keine Illusion mehr übrig. Er ist, was er ist, und mag sie sein, was sie sein mag! Schwächlich, feige, überspannt oder dumm, er ist ihr Mann. Sie hat sich ihm freiwillig geschenkt. Er ist ihr Herr und Gebieter. Sie gehört jetzt nicht mehr sich, sondern ihm. Gefahr bei dieser Ausschließlichkeit der Liebe einer Frau, wenn sie sich wirklich aufgibt, ist dann im Verzug, wenn ein Mann auch eine schwache Ahnung von ihrem erhabenen Realismus bekäme. Als Architekt der Illusion, der der Mann ist, kann er nur in der vollen Blüte und auf dem höchsten Gipfel seiner Liebe eine vage Ahnung ertragen, wie realistisch seine Frau ihn unter der Oberfläche ihrer Schmeicheleien sieht.  - (cowp)

Realismus Erhabenheit

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