Rasselbande    Red wollte gerade die Hand auf die Klinke legen, als die Tür von außen aufgestoßen wurde. Sie öffnet sich mit dem. besonderen Schwung, den nur hereinstürmende Kinder zustandebringen, und nicht weniger als vier quicklebendige Bälger purzelten ins Zimmer. Sally stand nun erst recht nicht auf, denn der Anführer dieser Rasselbande war ihr Bruder Jackie. Jackie war in Begleitung von Nelly Morgan, einem wilden, zerzausten, achtjährigen Mädchen. Sis Cole war zehn, so alt wie Jackie, und seine eiserne Anhängerin. Da sie aber schwerfällig von Gestalt sowie schwerfällig von Begriff und darüber hinaus noch mit der Sorge für ihren Bruder Bert, einen fünfjährigen Kleinen, belastet war, der mit seiner Gemütsruhe und seinem Aussehen einem Riesenpilz glich, wurde Sis trotz ihres Vorsprungs von zwei Jahren zu Nelly Morgan von  dieser stets bei weitem überspielt,  überrannt,  übertrumpft,  übersprungen,  überklettert,  überrangelt und überflügelt. Nellys Mutter war eine Putzfrau, die ständig arbeitete, was dem Mädchen eine Unabhängigkeit von elterlicher Obhut verschaffte, wofür sie von den anderen beneidet wurde. Jackie wurde außer von ihrer Mutter noch von Sally herumkommandiert; und die kleinen Coles, wenn auch Waisen, hatten eine sehr rüstige und schreckliche Großmutter. Nur Nelly Morgan hatte niemanden, denn ihre putzende Mutter, wenn sie auch tagsüber eine unglaublich tüchtige Arbeiterin war, besaß die Eigenart, ja eigentlich die ungewöhnliche Gabe, jeden Abend Gin zu trinken, bis sie völlig beschwipst war, ohne dabei körperlich Schaden zu nehmen. Jeden Tag stand sie wieder um fünf Uhr auf, machte für Nelly und sich das Frühstück und ging fröhlich zu ihrer mühseligen Arbeit. Sie äußerte nie ein schlechtes Wort zu Nelly, ganz zu schweigen von Schlägen. Andererseits pflegte sie, sobald sie nach dem Abendessen abgewaschen hatte, in einen rührseligen Dämmerzustand zu verfallen, aus dem sie den ganzen Abend nicht mehr herauskam. In diesem benebelten Zustand vergoß sie stumme Tränen, seufzte ein aufs andere Mal und brummelte undeutlich etwas von Nellys totem Vater; Nelly hingegen wurde in diesen Zeiten für ihre Mutter vollkommen unsichtbar und unhörbar, war also nicht existent. Wenn ein kleines, achtjähriges Mädchen für ihre einzige leibliche Angehörige jeden einzelnen Tag ihres Lebens ab halb sieben zu existieren aufhörte, dann war das eine Erfahrung, die sich spürbar auswirken mußte. So wurde auch Nelly in ihrem Wesen immer in sich gekehrter und wunderlicher. Obwohl sie erst acht war, besaß das Mädchen die Intelligenz einer Elfjährigen; und bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen selbst der mutige Jackie die weiße Fahne hißte, zeigte Nelly - Leutnant dieser Räuberbande - mit aller Kriegslist und aller Umsicht, was für ein Teufel in ihr steckte.

Bert Cole - jener Riesenpilz - war von Nelly eingeschüchtert und entzückt zugleich, welche ihn, wenn Sis einmal nicht mit war, bei beängstigenden und aufregenden Unternehmungen zog, schob, trug und schulterte'. Bert heulte nie, lachte nie, lächelte nie und gab äußerst selten ein Wort von sich; obwohl er der jüngste in der Rasselbande war, konnte er doch nicht der am wenigsten aufgeweckte genannt werden, denn von allen Leuten in Glastonbury (sogar Mr. Wollop, den Tuchhändler, der dreimal schon Bürgermeister geworden war, miteingeschlossen), betrachtete niemand - aber auch wirklich niemand - das Leben als Traum mit innigerem Wohlbehagen. Ein wenig verwundert, aber selbst dann nicht weiter aufgeschreckt, wenn Nelly Morgan darauf bestand, sein enormes Gewicht auf ihrem schmalen Rücken zu tragen, überschaute Bert Cole ernsten Auges und selbstgenügsam das Lebenspanorama, daß es selbst Diogenes beschämt hätte.  - (cowp)

Kinderbande Kindheit

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