Rasiermesserschicksale   Wimsey beschrieb das Rasiermesser genau und fragte, ob es möglich wäre, den Käufer festzustellen.

»Ja, da es einen Elfenbeingriff hat, sollte das möglich sein«, erklärte Endicott. »Wir hatten nur drei Dutzend von der Sorte, denn die meisten unserer Kunden bevorzugten schwarze Griffe. Die von Ihnen erwähnten Rasiermesser haben wir im Jahre 1916 bekommen. Während des Krieges war es nicht leicht, wirklich erstklassige Klingen zu kaufen, aber diese waren sehr gut. Selbst damals störten sich die Herren allerdings an dem weißen Griff, und wie ich mich entsinne, waren wir froh, als ein alter Kunde sich später ein Dutzend nach Bombay schicken ließ. Das war im Jahre 1920, und der Kunde hieß Hauptmann Francis Egerton.«

»Bombay? Ziemlich weit - aber man kann nie wissen. Was geschah mit dem Rest?«

Mr. Endicott, der ein phänomenales Gedächtnis zu haben schien, sagte nach kurzem Nachdenken:

»Kapitän Mellon besaß zwei dieser Rasiermesser, aber diese kommen nicht in Frage; denn sein Schiff wurde torpediert und mit Mann und Maus versenkt, das muß im Jahre 1917 gewesen sein. Der Kapitän war ein tapferer Mann, und er stammte aus einer sehr guten alten Familie ... Der Herzog von Wetherby kaufte eins der Messer, und er erwähnte erst vor kurzem, daß er es noch immer besitzt. Er kommt also auch nicht in Frage. Mr. Pritchard, ein anderer Kunde, hatte ein außergewöhnliches Erlebnis. Sein Kammerdiener verlor plötzlich den Verstand und versuchte, Mr. Pritchard mit dessen eigenem Rasiermesser zu erstechen. Glücklicherweise gelang es Mr. Pritchard jedoch, den Mann zu überwältigen, der später wegen Mordversuchs vor Gericht stand, wo er allerdings als unzurechnungsfähig erklärt wurde. Das Rasiermesser wurde beim Prozeß als Beweisgegenstand vorgelegt. Mr. Pritchard kam zu uns, um sich ein neues Rasiermesser mit einem schwarzen Griff zu kaufen. Das alte war während des Kampfes mit dem Kammerdiener in einer Stuhllehne steckengeblieben, wobei die Klinge beschädigt worden war. Mr. Pritchard hat es sich zum Andenken an die gefährlichste Rasur seines Lebens aufgehoben, wie er selbst sehr witzig bemerkte. Oberst Grimes mußte seine gesamte Ausrüstung, in der sich auch eines der Rasiermesser befand, beim Rückzug an der Marne zurücklassen - ob das Messer jemals gefunden wurde, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, daß er sich ein zweites, ebensolches Rasiermesser bei uns kaufte, das er noch immer besitzt. Damit wüßten wir über sechs Messer des zweiten Dutzends Bescheid. Was geschah mit den anderen? Ach, ich weiß! Über eines der Messer gibt es eine sehr drollige Geschichte. Eines Tages kam der junge Mr. Henry Ratcliffe in großer Aufregung zu mir. ›Sehen Sie sich nur mein Rasiermesser an, Endicott‹, sagte er. ›Na, so etwas, Sir, sieht aus, als hätte jemand Holz damit gesägt‹, erwiderte ich erstaunt. ›Gar nicht so falsch, Endicott‹, sagte er. ›Meine Schwägerin und ihre verrückten Freunde kamen plötzlich auf den Gedanken, in ihrem Atelier eine private Theatervorstellung zu geben. Und sie haben mein bestes Rasiermesser dazu benutzt, ihre Kulissen auszuschneiden!‹ Er war furchtbar wütend, und die Klinge war natürlich ruiniert. Danach kaufte er sich ein sehr gutes französisches Messer, das wir damals führten. Und dann - ja, dann erinnere ich mich noch an den armen Lord Blackfriars. Das war eine traurige Geschichte. Er heiratete eine Filmschauspielerin, die sein Geld durchbrachte und ihm dann mit einem Ausländer durchbrannte. Sie erinnern sich wohl noch an die Sache, Mylord? Hat sich eine Kugel durch den Kopf geschossen, der arme Kerl. Er hinterließ die beiden Rasiermesser seinem Kammerdiener, der sich unter keinen Umständen davon trennen wollte... Major Hartley und Oberst Belfridge besaßen jeder zwei. Sie leben jetzt auf dem Land; ich kann Ihnen ihre Adresse geben. Auch Sir John Westlock besaß zwei Rasiermesser. Er war in den Mega-therium-Skandal verwickelt und verließ England - leider kann ich mich nicht mehr genau an den Fall erinnern. Muß am Anfang der zwanziger Jahre gewesen sein... Mein Gedächtnis ist doch nicht mehr so gut wie früher. Immerhin weiß ich noch, daß er großen Wert auf ein gutes Messer legte und es mit Vorsicht behandelte ... Mr. Alec Baring- das war auch ein trauriger Fall. Man sagt, es liegt in der Familie, aber ich glaube, daß das Flugzeugunglück etwas damit zu tun hatte. Ich fürchte, daß sie ihm dort, wo er jetzt ist, kein Rasiermesser anvertrauen. Er besaß nur eins von den Elfen-beingriff-Messern, das er sich kaufte, weil er sein altes in einem Hotelzimmer liegengelassen hatte. Wie viele sind das? Im ganzen sechzehn - das Dutzend in Bombay nicht eingerechnet. Und damit haben wir fast alle, denn ein halbes Dutzend überließ ich meinem ersten Gehilfen, als ich mein Geschäft auflöste. Er hat jetzt seinen eigenen Laden in Eastbourne, und wie ich höre, geht das Geschäft * glänzend. Zweiundzwanzig- und wo sind die beiden letzten?« Mr. Endicott kratzte sich mit unglücklicher Miene den Kopf. »Manchmal habe ich doch das Gefühl, alt zu werden, obwohl mein Golfspiel immer besser wird und Herz und Lunge in Ordnung sind. Wer könnte nur die beiden restlichen Rasiermesser haben? Vielleich Sir William Jones? Nein, unmöglich. Halt - ich glaube, ich hab's! Sir Harry Ringwood bestellte zwei für seinen Sohn, den jungen Mr. Ringwood, der damals im Magdalen College in Oxford studierte. Er kaufte sie 1925, und der junge Herr wurde nach Beendigung seines Studiums vom Kolonialministeriurn nach Britisch-Ostafrika geschickt. So, und damit hätten wir sie alle. Mir fällt ein Stein vom Herzen, Mylord.«

»Endicott, Sie sind ein Juwel«, sagte Lord Peter. »Sie sind der jüngste ältere Herr, der mir jemals begegnet ist. Und - bevor ich es vergesse - ich wüßte gern den Namen Ihres Weinhändlers.« Mr. Endicott nickte geschmeichelt, schob die Karaffe mit dem Sherry über den Tisch und nannte den Namen des Lieferanten. »Eine ganze Reihe dieser Leute können wir sofort ausschalten«,. sagte Lord Peter. »Oberst Grimes ist ein Problem. Wer weiß, was aus der Ausrüstung geworden ist, die er in Frankreich zurücklassen mußte. Ich nehme an, daß irgend jemand sie gefunden hat, und es ist durchaus möglich, daß das Rasiermesser wieder nach England zurückgebracht wurde.  Dann müssen wir mit Major Hartley und Oberst Belfridge in Verbindung treten. Sir John Westlock kommt wohl kaum in Frage. Er war ein vorsichtiger Mann, der seine Rasiermesser wahrscheinlich mitgenommen und sie mit gebührender Achtung behandelt hat. Auch nach dem armen Baring müssen wir uns erkundigen. Sein Rasiermesser kann verkauft oder verschenkt worden sein. Den jungen Ringwood sollte man ebenfalls - der Ordnung halber - im Auge behalten. Dann besteht noch die Möglichkeit, daß Ihr erster Gehilfe einige der Rasiermesser verkauft hat...«

»Das glaube ich kaum, Mylord. Er wollte sie nur für seinen persönlichen Gebrauch und für die Benutzung im eigenen Geschäft; hauptsächlich, weil mein Name darauf steht. Die Rasiermesser, die er seinen Kunden verkauft, tragen seinen eigenen Namen. Das macht immer einen guten Eindruck, denn die Hersteller sind nur bereit, einen Narnen einzugravieren, wenn mindestens drei Dutzend auf einmal bestellt werden. Sein Geschäft geht, wie gesagt, gut, und er schrieb mir neulich, daß er drei Dutzend Kruppklingen gekauft hat, die zum Weiterverkauf an seine Kunden bestimmt sind.« »Besteht die Möglichkeit, daß er die anderen gebraucht verkauft hat?«

»Das entzieht sich meiner Kenntnis«, sagte Mr. Endicott. »Die Nachfrage nach gebrauchten Rasiermessern ist nicht groß, es sei denn, daß ein Wanderfriseur billig zu einem guten Messer kommen möchte.«

»Was ist ein Wanderfriseur?«

»So nennen wir die stellungslosen Friseure, die von Ort zu Ort ziehen und Aushilfsstellungen annehmen. In meinem Salon wurden sie natürlich nicht angestellt, denn ich beschäftigte nur erstklassiges Personal. In Eastbourne dagegen, wo während der Saison großer Betrieb ist, sind ihre Dienste sehr willkommen. Es mag der Mühe wert sein, sich bei meinem früheren Gehilfen zu erkundigen. Er heißt Plumer und wohnt in der Belvedere Road. Wenn Sie wünschen, schreibe ich ihm ein paar Zeilen.«

»Bemühen Sie sich nicht, Endicott. Ich fahre selbst nach Eastbourne, um mit ihm zu sprechen. Nur noch eine Frage: War einer der von Ihnen erwähnten Kunden besonders ungeschickt? Jemand, der sein Rasiermesser zu sehr strapazierte und es dauernd zum Schleifen schicken mußte?«

Mr. Endicott kicherte. »Allerdings! Oberst Belfridge hat seine Messer entsetzlich malträtiert - wahrscheinlich tut er es noch immet. Er hat sich immer bei mir beklagt, daß die Qualität des Stahls eben nicht mehr so gut sei wie vor dem Krieg. Aber weder der Stahl noch der Krieg waren daran schuld, daß seine Messer oft geschliffen werden mußten. Er strich die Klinge so gewaltsam über den Streichriemen, daß sie nicht scharf wurde, sondern stumpf.«   - Dorothy Sayers, Mein Hobby: Mord. Frankfurt am Main 1968

Rasiermesserschicksal (2)  Bei seiner Heimkehr von einer Seemannslustbarkeit in der Nacht oder vielmehr am Morgen des Mordes traf er das Tier in seinem eignen Schlafzimmer an, in das es von dem angrenzenden Gelasse, wo es nach allem Ermessen sicher eingesperrt gewesen, gedrungen war. Ein Barbierrnesser in der Hand, und völlig eingeseift, saß es vor einem Spiegel und versuchte sich in der Tätigkeit des Rasierens, bei welcher es ohne Zweifel früher schon seinen Herrn durch das Schlüsselloch der Kammer beobachtet hatte. Entsetzt vom Anblick einer so gefährlichen Waffe im Besitz eines so grausam wilden Tieres, das zudem noch wohl damit umzugehen wußte, war der Mann für einige Augenblicke ratlos, was er tun sollte. Allerdings war er gewöhnt, die Kreatur, selbst bei ihrem grimmigsten Wüten, vermittels einer Peitsche zur Ruhe zu bringen, und hierzu nahm er nunmehr seine Zuflucht. Bei ihrem Anblick jedoch entsprang der Orang-Utan mit einemmal durch die Kammertür, die Treppe hinunter und von dort durch ein unglücklicherweise offenes Fenster auf die Straße. Der Franzose folgte in Verzweiflung; während der Affe, das Messer immer noch in der Hand, zuweilen anhielt, um zurückzublicken und seinem Verfolger mit allerlei Gebärden zu winken, bis dieser ihn fast wieder erreicht hatte. Dann machte er sich erneut davon. In dieser Weise dauerte die Jagd eine längere Zeit fort. Die Straßen lagen gänzlich still, da es nahezu drei Uhr morgens war. Als nun der Flüchtling durch eine Gasse an der Rückseite der Rue Morgue rannte, wurde seine Aufmerksamkeit von einem Licht angezogen, welches von Madame L'Espanayes Zimmer, im vierten Stockwerk des Hauses, durch das offene Fenster herüberschimmerte. Auf das Gebäude zueilend, entdeckte das Tier die Blitzableitung, kletterte mit schier unfaßlicher Behendigkeit daran empor, packte den Laden, welcher vollends gegen die Mauer zurückgeschlagen war, und schwang sich mit seiner Hilfe direkt auf das Kopfteil des Bettes. Das ganze Kunststück brauchte nicht eine Minute. Den Laden stieß der Orang-Utan wieder auf, als er in den Raum eindrang.  - Edgar Allan Poe, Die Morde in der Rue Morgue. In: E. A. P., Werke I. Olten und Freiburg i. Br. 1966 (Übs. Arno Schmidt, Hans Wollschläger, Hg. Kuno Schumann, Hans Dieter Müller)
 

Rasiermesser Schicksal

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