ascheln Ich gewahrte hinter mir ein leises Rascheln von Seide und den zarten Duft eines exotischen Parfüms. Wie ein in eine Falle gegangenes Geschöpf drehte ich mich um.
In der Tür zum Nebenzimmer stand, leichenhaft bleich
und weiß geschminkt, ausgemergelt wie eine verhungerte Katze und aufgedonnert
bis zum Exzeß, eine spitznasige, hagere alte Frau, die mich mit ihren schwarzen
Augen durchdringend anfunkelte. In dieser geisterhaften Schneebeleuchtung war
ich im ersten Moment nicht ganz sicher, ob sie Wirklichkeit oder nur eine Halluzination
war. Regungslos in ihrem Staat, mit dem schief nach unten geneigten Kopf und
dem kreideweißen Gesicht, hätte sie eine lebensgroße Marionette sein können;
grotesk zwar, aber angsteinflößend. Es gibt übrigens bei uns alle Gradunterschiede
von Realität; und sie schien in mehr als einem Sinne ›künstlich‹ zu
sein. Daß sie keine Halluzination war, bewies sie mir sehr bald. Sie nickte
beim Sprechen mit dem Kopf, als sie mit einer Stimme, die wie das Gerassel der
Saiten in einem mißhandelten, abgenutzten Klavier einer Schulklasse klang, zu
mir sagte: »Guten Tag. Ich fürchte, du hast einen sehr kühlen Empfang gehabt.«
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Walter de la Mare, Die Orgie - Eine Idylle. Phantastische Erzählungen. Mit Zeichnungen von Edward
Gorey. Zürich 1965
Rascheln (2) Etwas raschelte. Sie blieb vor Schreck einen Augenblick stehen, und das Geräusch verstummte. Etwas Weiches wurde unter ihrem Fuß zu Brei, gab ein leises Seufzen von sich. Sie wollte schreien, aber ihre Kehle blieb stumm vor Grauen. Ihre Finger tasteten nach einem Streichholz. Endlich konnte sie es anzünden. Sie bückte sich.
Sie war auf einen Champignon getreten. Der ganze Boden des Kellers war
mit gelblichen Pilzköpfen bedeckt. Ihre wie totes Fleisch aussehenden weißen
Stiele schimmerten im Licht des Streichholzes. Es sah aus wie ein grotesker
verkümmerter Wald. Das Steichholz flackerte, und im gleichen Augenblick
raschelte etwas hinter ihr. Sie drehte sich um und sah, gerade als das
Streichholz erlosch, daß eine große Ratte sie beobachtete.
- Jonathan Latimer,
Rote Gardenien. Zürich 1991 (zuerst 1939)
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