(hrs)
Rätsel (2)
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- N.N.
Rätsel (3) eine ausgewachsene kobra in der muschel eines englischen waterclosets, nein, das geht nicht mit natürlichen dingen zu! freilich, lord dansawney berichtete im navigators-club von einer frappant ähnlichen begebenheit (da soll sich die kobra durch die ventilation hereingemacht haben, was nicht gut möglich sein kann). aber der bord ist schriftsteller, poet (opiumesser?) und pflegt sich durch solche fiktionen in die nötige arbeitsstimmung zu versetzen, derartige überlegungen wären aber in der gegenwärtigen situation mehr als fehl am platze, hier gilt nur die blitzschnelle aktion.
im bruchteil einer sekunde hat mortimer grizzleywold de vere die lage
erfaßt, noch ehe das dunkle knäuel sich vollends steil aufgerichtet hat,
schlägt er die bereits geöffnete wc-türe zu und verständigt den direktor
des alahazrat-hotels... man braucht nicht unbedingt ein nat pinkerton zu
sein, um das auftauchen einer giftviper in einem vor aller welt verschlossenen
wc mit einem heimtückischen mord-attentat in verbindung zu bringen, allein
wer zum teufel mag von de veres intention erfahren haben? einzig und allein
prof. handendoek in münster weiß um de veres vorhaben im karakorum — und
dieser stille alte gelehrte, der vornehme deutsche wissenschaftler ist
über jeden zweifel erhaben. - Aus: H. C. Artmann, Tök ph'rong süleng
oder notwendiger beitrag zur erlegung eines werwolfes.
Rätsel (4) Die Aretusa, eine nordamerikanische brigantine, segelte von Boston nach dem Mittelmeer. Man hatte den zurückbleibenden lebewohl gesagt, aber so, wie man es zu leuten tut, die man bald wiedersehen wird: Guten tag! Also aufs nächste mal! Bleibt gesund und laßt es euch inzwischen gut gehen.. ! Und freund winkte freund ein fröhliches adieu...
Es handelte sich hier wirklich um nichts anderes als um eine reise von etwa drei monaten, um eine hin- und rückfahrt von Boston nach Gibraltar, und nicht um eine jener abenteuerlichen handels-expeditionen oder entdeckungsfahrten, die ein schiff für lange zeit auf gefahrvolle meere beider hemisphären hinausziehen, sturmdurchwüteten phantasmagorien entgegen, die später ja doch keine zunge zu schildern vermag... Es hat schon etwas eigenartiges, ernsthaftes an sich, wenn man eine längere seereise ohne das geringste zagen, ja man möchte besser sagen mit feuer antritt: schon schwankte die tüchtige Aretusa hin und her, und ihre kette ertönte auf den rädern, während die nordamerikanische flagge ganz oben an der briggsegel ihre blauen sterne weithin leuchten ließ.
Die Aretusa hatte neunzehn mann besatzung, dazu kamen noch der kapitän und dessen junge frau. Drei dänen waren darunter und einige norweger. Der kapitän hieß Jonathan Branley und stammte aus Hull. Seine frau war eine kreolin aus Santo Domingo namens Wanda Escovedo, tochter eines reichen pflanzers.
Der steuermann der Aretusa war ein schotte aus Thurso, ein kräftiger, kühnblickender mann in den dreißigern, der seinen namen mit Edward Maclinder angab.
Als das schiff vor Gibraltar kam, fuhren die zollbeamten mit einem lotsenboot an das schiff heran, um dessen ladung ordnungsgemäß zu überprüfen. Es war mittag, juli und prächtigstes sommerwetter.
Nachdem nun die herren vom zoll die Aretusa betreten hatten, fanden sie zu ihrem erstaunen keine menschenseele an bord vor. Andrerseits schien jedoch alles in bester ordnung, nichts war angerührt, die kasse des kapitäns stimmte bis auf den letzten cent, der lagerraum bot sich im vorzüglichsten zustand. Somit konnte also von einem etwa vorgefallenen akt von piraterie nicht die rede sein.
Die drei herren vom zoll standen vor einem rätsel. Sie hatten ihre dienstmützen abgenommen und wischten sich den schweiß, der nicht nur von der starken hitze herzurühren schien, aus der stirne.
"Hier dürften sich segenswünsche in ein gegenteil verkehrt haben!“ sagte einer der beamten, und die anderen pflichteten ihm wortlos durch kopfnicken bei.
In der kapitänskajüte wie in der mannschaftslogie stand frischgekochtes essen auf den tischen. Mr. Thompson tauchte den zeigefinger ein wenig in die halbvolle suppenterrine: ihr inhalt war noch warm!
Die flagge mit den anfangsbuchstaben des handelshauses, für das die Aretusa fuhr, flatterte in einer fröhlichen brise an der spitze des hauptmastes. Von der besatzung aber, von dem kapitän und dessen frau, war, wie gesagt, nicht die mindeste spur zu entdecken...
Bloß ein verstörtes kapuzineräffchen saß da auf dem astrolabium des
verschwundenen kapitäns und kreischte, als
man sich ihm näherte. Aber was hätte man schon aus dem kopfscheugewordenen
tierchen herausbringen wollen? - (
flag
)
Rätsel (5) Pater Zinkan, der Doctor Magneticus, saß in seiner Zelle und studierte quietschend — um der Kasteiung willen ölte er seine Gelenke nicht — Chlorophantus Omnicius‘ Kommentar unter besonderer Beachtung des sechsten Abschnitts »Über die Erschaffung der Roboter« .
Er war gerade bis zum Schluß der Strophe von der Programmierung des Weltalls gekommen, und sein konzentrierter Blick glitt über die mit bunten Initialen gezierten Blätter; sie offenbarten, wie der Herr, dem das Eisen unter allen Metallen besonders wohigefiel, diesem den Geist einhauchte. Da betrat Pater Chlorian leise die Zelle und blieb bescheiden am Fenster stehen, um den bedeutenden Theologen in seinen Meditationen nicht zu stören.
»Was ist denn, mein Chlorianchen? Was willst du sagen?« fragte nach einer kurzen Weile Pater Zinkan und löste die ungetrübten Kristalle seiner Augen von dem Folianten.
»Herr und Pater«, sagte jener, »ich bringe dir das vom Heiligen Offizium soeben verdammte, aus satanischen Einflüsterungen geborene Buch dieses entsetzlichen Marmagedoniers Lapidor, genannt der Halogenische, mit den Beschreibungen seiner unzüchtigen Experimente, durch die er sich bemüht, den wahren Glauben umzustoßen.« Und er legte Pater Zinkan ein dünnes, vom Heiligen Offizium bereits in entsprechender Weise gesiegeltes Büchlein hin.
Der Alte rieb sich die Stirn, und es fiel ein bißchen Rost auf die Blätter der Broschüre, die er lebhaft mit den Worten »Nichts Entsetzliches, nichts Entsetzliches, mein Chlori, sondern etwas infolge seiner Verirrungen Unseliges!« zur Hand nahm.
Während er das sagte, blätterte er in dem Büchlein, lächelte beim Lesen der einzelnen Kapitelüberschriften, wie Über die bleichen Weicher, Weichler und Weicherer, Über den denkenden Weißkäse und Über die Genesis der Vernunft aus der unvernünftigen Maschine, kaum merklich, aber ganz gutmütig, und sagte leichthin: »Du, Chlori, und das gesamte Heilige Offizium, das ich über die Maßen verehre, ihr faßt die Sache ganz und gar unrichtig an. Denn was steht hier eigentlich? Aus den Schrauben gesogener Unsinn, dummes Zeug, falsche Legenden, zum wer weiß wievielten Male aufgewärmt — und alles ausgehend von jenen Weichnern oder Weichlingen oder blassen Nassem oder, wie andere Apokryphen sagen, Sülzern, die uns seinerzeit angeblich aus Draht und Schrauben geschaffen haben . .
»Statt des Allerhöchsten!!!« zischte, leicht erbebend, Pater Chlorian. »Mit dem Verfluchen nach rechts und links erreicht man nicht viel«, fuhr Pater Zinkan gutmütig in seinen Gedanken fort. »Ist nicht eigentlich der Standpunkt des Paters Ätherich von den Phasotronen vernünftiger, der vor drei Dekaden gesagt hat, das sei kein theologisches, sondern ein naturkundliches Problem?«
»Aber Pater Zinkan!« Dem Pater Chlorian verschlug es fast die Sprache. »Diese Doktrin darf ex cathedra nicht gelehrt werden, und nur um der Heiligmäßigkcit des Autors willen haben wir sie nicht verdammt.«
»Beruhige dich, lieber Chlori«, sprach Pater Zinkan. »Es ist sehr gut, daß sie nicht verdammt wurde, denn sie klingt nicht übel. Ätherich hat gesagt, angenommen, es hätte einst gewisse Weichter, die uns angeblich in ihren Werkstätten herstellten und sich dann selbst vernichteten, wirklich gegeben, so widerspricht das keineswegs der übernatürlichen Entstehung allen Lebens. Durch den Willen des Herrn, der allmächtig ist, konnten doch jene primitiven Bleichlinge zum Werkzeug der eigentlichen Schöpfung werden, ihren Händen also hat Er den Bau des stählernen Volkes anvertraut, das Ihm bis zum Jüngsten Test dafür Dankeshymnen darbringt. Ich meine, im Gegenteil, der andere Standpunkt, der eine solche Möglichkeit kategorisch bestreitet, riecht nach entsetzlicher Häresie, denn er spricht Ihm entgegen der Schrift die Allmacht ab. Was sagst du dazu?«
»Gleichwohl, Pater Zinkan, hat der Doktor der heiligen Theologie Ciborax darauf hingewiesen, daß die ganze Sülzerologie des Weichologen Turmalin, auf die sich Pater Ätherich stützte, außer Thesen, die der Vernunft spotten, auch Lästerungen wider den Glauben enthält. In diesem Buch steht doch, daß die Sülzer ihre Nachkommenschaft nicht aufgrund von Projekttypen unter Mitwirkung von Zeugungsingenieuren in der einzig natürlichen Weise, der Montage aus Vorfabrikaten, hergestellt haben, sondern ohne jede Bildung und Dokumentation, nebenbei, heimlich und geradezu völlig gedankenlos. Wie jedoch wäre ein nicht projektierter Nachkomme möglich? Ein nach dem Plan illegaler, sagenwir mal, von der richtigen Instanz in der Abteilung für demographische Industrie nicht bestätigter Nachkomme — das verstehe ich noch, aber ohne jegliche Dokumentation?! «
»Seltsam ist das, zugegeben, aber worin liegt da die Lästerung?« »Verzeih, ehrwürdiger Pater, aber nun wundere ich mich, daß du sie nicht bemerkst. Immerhin, wenn sie stante pede, ex abrupto, ex promptu das konnten, was bei uns ein abgeschlossenes Hochschulstudium, eine Bearbeitungskommission und eine Berechnungsexpertise erfordert, so muß jeder von ihnen im kleinen Finger eine Zeugungskompetenz gehabt haben, die dem Wissen unserer Kybernetiker, Doktoren, ja sogar habilitierten Informatik-Dozenten gleichkommt. Ist das möglich? Wie denn, jeder Schnösel konnte sich ohne zu überlegen einen Schößling zulegen? Woher sollte er wissen, wie man das macht? Die Alternative zum Diplom ist mithin die Herstellung der Nachkommenschaft ohne jedes Wissen, in einem Zug und mit ein paar Stößen? Die Wörter wollen mir kaum über die Zunge, denn damit schreibt man ihnen ja die Potenz der creatio ex nihilo, der Schöpfung aus dem Nichts, zu, und mithin die allein dem Herrn eigene Fähigkeit, Wunder zu tun.«
»Du sagst, sie seien entweder Zeugungsgenies oder Wundertäter gewesen«, sprach Pater Zinkan. »Doch der Bleichologe Dialysius schreibt, sie hätten ihre Schößlinge zwar nicht in Rat und Gruppe, aber auch nicht im Alleingang hergestellt, sondern in Paaren. Ich sehe darin eine fachliche Spezialisierung! Davon zeugen erhaltene, auf angesengten Blättern aus Bibliotheken zu lesende Fachausdrücke wie >Streichler< und ›Streichlerin‹ (sicher sollte es ›Weichler‹ und ›Weichlerin‹ heißen), also semper duo faciebant collegium multiplicationis, verstehst du? Sie suchten die Einsamkeit auf, um einander zu konsultieren, die technischen Zeichnungen zu besprechen und die notwendigen Berechnungen vorzunehmen. Projektiert haben sie bestimmt, denn ohne Projektieren ist auch kein Produzieren möglich. Hierin also besteht Einigkeit, mein Chlori. Aber gewiß doch, sie haben projektiert, ehe sie sich an die Montage der Mikroelemente machten, anders kann es nicht gewesen sein. Die Anfertigung eines vernünftigen Wesens, ob nun hart oder weich, ist kein Pappenstiel.«
»Ich sage jetzt, was ich lieber nicht erleben möchte«, verkündete Pater Chlorian mit bebender Stimme. »Deine Gedanken, ehrwürdiger Pater, haben einen gefährlichen Weg genommen.
Noch ein Stückchen weiter, und du sagst mir, man könne seine Nachkommenschaft nicht am Reißbrett, nach der Erprobung von Prototypen im Laboratorium und unter äußerster Konzentration des wachen Geistes zeugen, sondern im Bett, ohne alle Modelle und Studien, blind, tastend und durchaus unabsichtlich . . . Ich flehe dich an und warne dich, das ist nicht nur der reine Unsinn, sondern eine Aufwiegelung durch den Satan. Besinne dich, Pater!«
»Meinst du, der machte sich soviel Mühe?« entgegnete der Alte hartnäckig.
»Lassen wir die Arkana der Kindermacherei.
Tritt näher, dann verrate ich dir ein Geheimnis, das dich vielleicht beruhigt
. . . Gestern habe ich erfahren, daß drei Chemikanten vom Kolloidal-Institut
aus Gelatine, Wasser und noch etwas, ich glaube, es war Käse, einen Pudding
gemacht haben, den sie Sülzgehirn nennen, denn dieser
Pudding führt nicht nur Operationen der höheren Algebra aus, sondern hat
auch gelernt, Schach zu spielen, und den Institutsdirektor matt gesetzt.
Wie du siehst, darauf zu beharren, daß im Gelee kein Gedanke Halt findet,
ist ein vergebliches Unterfangen, aber genau das ist der unverrückbare
Standpunkt des Heiligen Offiziums!« - Stanislaw Lem
, Das Rätsel. In: S..L., Die Ratte im Labyrinth, Frankfurt am Main 1982 (zuerst
1981)
Rätsel (6) ZWEI RÄTSELBILDER Unter den Ansichtskarten meiner Sammlung gab es einige, deren Schriftseite mir deutlicher in der Erinnerung haftet als ihr Bild. Sie trugen die schöne, leserliche Unterschrift: Helene Pufahl. Das war der Name meiner Lehrerin. Das P, mit dem er anhob, war das P von Pflicht, von Pünktlichkeit, von Primus; f hieß folgsam, fleißig, fehlerfrei und was das I am Ende anging, war es die Figur von lammfromm, lobenswert und lernbegierig. So wäre diese Unterschrift, wenn sie wie die semitischen aus Konsonanten allein bestanden hätte, nicht nur Sitz der kalligraphischen Vollkommenheit gewesen, sondern die Wurzel aller Tugenden.
Knaben und Mädchen aus den besten Häusern des bürgerlichen Westens saßen in Fräulein Pufahls Zirkel. Im einzelnen nahm man es nicht genau, sodaß sich in den Kreis der Bürgerlichen auch eine Adlige verirren konnte. Luise von Landau hieß sie, und der Name hatte mich bald in seinen Bann gezogen. Bis heute blieb er mir lebendig, doch nicht darum. Er war vielmehr der erste unter denen Gleichaltriger, auf den ich den Akzent des Todes fallen hörte. Das war nachdem ich, unserm Zirkel schon entwachsen, ein Angehöriger der Sexta war. Wenn ich nun an das Lützowufer kam, suchte ich mit den Blicken stets ihr Haus. Zufällig lag es einem Gärtchen gegenüber, das, am anderen Ufer, in das Wasser hängt. Und das verwob ich mit der Zeit so innig mit dem geliebten Namen, daß ich schließlich zur Überzeugung kam, das Blumenbeet, das drüben unberührbar prange, sei der Kenotaph der kleinen Abgeschiedenen.
Fräulein Pufahl wurde abgelöst von Herrn Knoche. Nun war ich eingeschult. Was sich im Klassenzimmer zutrug, stieß mich meist ab. Doch nicht bei einem seiner Strafgerichte ist es, daß die Erinnerung Herrn Knoche trifft, vielmehr im Amt des Sehers, der das Künftige voraussagt. Wir hatten Singen. Geübt wurde das Reiterlied aus »Wallenstein«: »Wohl auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! / Ins Feld, in die Freiheit gezogen. / Im Felde, da ist der Mann noch was wert, / Da wird das Herz noch gewogen.« Herr Knoche wollte von der Klasse wissen, was denn der letzte Vers bedeuten soll. Natürlich konnte niemand Antwort geben. Herrn Knoche schien das zu passen, und er erklärte:
»Das werdet ihr verstehen, wenn ihr groß seid.«
Damals erschien mir das Ufer des Erwachsenseins durchs Flußband vieler
Jahre von den meinen so geschieden wie jenes Ufer des Kanals, von dem das
Blumenbeet herübersah und das ich beim Spaziergang an der Hand des Kinderfräuleins
nie betreten hatte. Später, als mein Weg von keinem mehr mir vorgeschrieben
wurde und ich auch schon das »Reiterlied« verstand, kam ich manchmal dicht
in der Nähe des Beetes am Landwehrkanal vorüber. Aber nun schien es seltener
zu blühen, Und von dem Namen, den wir einst zusammen festgehalten hatten,
wußte es nicht mehr als jener Vers des Reiterlieds, jetzt, da ich ihn verstand,
von jenem Sinn enthielt, den uns Herr Knoche in der Gesangsstunde verheißen
hatte. Das leere Grab und das gewogene Herz — zwei Rätselbilder, deren
Lösung mir das Leben weiter schuldig bleiben wird. - (
ben2
)
Rätsel (7) Der Prozeß gegen Madeleine Smith wegen der Ermordung ihres Liebhabers Pierre Emile L'Angelier durch Verabreichung von Arsenik endete am Donnerstag, dem 9. Juli 1857, mit dem Richterspruch »Schuldbeweis nicht erbracht«, und sie verließ den High Court of Justiciary in Edinburgh durch einen Nebenausgang als freier Mensch.
Erst einundzwanzig Jahre alt, gut gewachsen und von einer strahlenden,
herben und zugleich herausfordernden Schönheit, die nicht im geringsten
von einem Erleben gezeichnet war, das sie gut hätte vernichten können,
verschwand sie wieder im Dunkel der Anonymität, aus dem sie vorübergehend
in den Brennpunkt des allgemeinen Interesses getreten war. Denn trotz des
grellen Lichtes, in das man sie und ihr Tun gerückt hatte, trotz der Art
und Weise, in der man ihre Vergangenheit öffentlich ausgebreitet und aufs
genaueste untersucht hatte, blieb ihr Wesen damals und bis zum heutigen
Tage ein Rätsel. Kein unbedachtes Wort kam je über ihre Lippen, und der
Mund von L'Angelier war für immer versiegelt, als die Namen der beiden
zum Anlaß erhitzter Debatten in ganz Großbritannien wurden. Von Zeit zu
Zeit hob sich noch kurz der Vorhang über ihrem späteren Leben. Man weiß,
daß sie vier Jahre nach dem Prozeß einen jungen Künstler in London heiratete,
daß sie sich für gesellschaftliche Probleme ihrer Zeit interessierte und
Sozialistin wurde. Man hat auch berichtet, daß sie schließlich in die Vereinigten
Staaten von Amerika auswanderte. - F. Tennyson Jesse, Triumph
der Nerven: Madeleine Smith. In: Mary Hottinger (Hg.), Wahre Morde. Zürich
1978
Rätsel (8)
Der Wiener D-Zug hatte
seit etwa zwanzig Minuten Bukarest hinter sich, als Schingut den Toilettenraum
verließ und seinen mit einer Reisemütze belegten, in einem Abteil zweiter
Klasse befindlichen Mittelplatz einnahm. Hierauf zog er eine Zeitung aus
der Tasche und tat, als lese er, um unbeobachtet die Mitreisenden mustern
zu können. Links von ihm saß eine weißhaarige Dame,
die unausgesetzt an einem gelben Stift roch; rechts von ihm ein halbwüchsiger
Gymnasiast, der Kants ›Praktische Vemunft‹ mit persönlichen Randbemerkungen
versah. Deshalb hielt Schinguts erfahrenes Auge nur den ihm gegenüber sitzenden
Herrn seiner Aufmerksamkeit für würdig. Dessen hellgrünen Waterproof, der
glatt zusammengerollt im Netz lag, erkannte Schingut als echte Londoner
Marke, Wäsche und Krawatte von allererster Qualität, desgleichen den dunkelgrauen
Sakko, der schwerlich älter war als acht Tage. Nur das feiste Gesicht
war für Schingut ein Rebus: es war kugelrund, ockerrot, glattrasiert und
im höchsten Grade nichtssagend, welchen Effekt sonderlich die kleinen lichtlosen
Augen bewirkten und die kurze Stupsnase. Selbst nach wieder und wieder
unternommenen Musterungen mußte Schingut sich eingestehen, daß er weder
die Nationalität noch den Beruf seines Gegenübers zu fixieren imstande
war. Das war ihm seit Jahren nicht mehr widerfahren. Und da er allen Grund
hatte, seine Reise mit größter Vorsicht auszuführen,
nahm er sich augenblicks vor, sein beunruhigendes Vis-à-vis zu untersuchen.
- Walter
Serner
,
Bukarest-Budapest. In: W.S.: Der Pfiff um die Ecke. Zweiundzwanzig Kriminalgeschichten.
München 1982 (dtv 1741, zuerst 1925)
Rätsel (9)
Entdeckt mir, was ist Großer Gott, wie die See weiß wird, |
- Talyessin, nach (
wal
)
Rätsel (10) Die erste Kundschaft, die uns besuchte,
war der Herzog von Piacenza. Seine Vergnügen
waren sonderbar genug, um Sie mit ihnen bekanntzumachen. Er beanspruchte
sechzehn hübsche Mädchen, die paarweise zusammengestellt
wurden und gleiche Kopfbedeckung erhielten. Ich lag
mit ihm auf einen Sofa, während sechzehn
junge hübsche und ebenfalls nackte Musikanten rechts von ihm aufgestellt
waren. Jedes Paar mußte allein vortreten. Bevor es eintrat, teilte mir
der Herzog das mit, was er von diesem Paar verlangte,
ich sagte es den Musikern und durch den stärkeres oder schwächeren Ton
der Instrumente mußte das Paar erraten, was es
zu tun hatte; gelang es ihm, so hörte die Musik zu spielen auf und der
Herzog vögelte die beiden Mädchen von hinten; gelang es ihnen nicht (jedes
Paar hatte nur zehn Minuten Zeit), wurden die beiden Mädchen bis aufs Blut
gepeitscht. - (just)
Rätsel (11)
Nur Eisen/ Stahl und Rost/ muß ich zur Speiß aufessen/ |
- N.N
Rätsel (12) Was ist mit der Genesis?
Mit den sieben Tagen der Schöpfung? "Das ist
eine wunderschöne Geschichte, aber keine Wissenschaft", sagt George
Coyne, der Chef der Vatikan-Sternwarte, "am ersten Tag machte Gott
das Licht, und am vierten Tag schuf er die Sonne und
die Sterne. Nur, mit Verlaub, wo zur Hölle kam am ersten Tag das Licht her,
wissenschaftlich gesprochen?" Ein versöhnlich gestimmter Wissenschaftler
hat Coyne vorgeschlagen, es könne sich bei dem Licht aus der Bibel um
die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung handeln, die das gesamte All erfüllt, das
Echo des Urknalls. "Das ist absurd", sagt Coyne, "die
Hintergrundstrahlung wurde in den 1960er Jahren entdeckt, ein Autor der Genesis
konnte das nicht vorhersehen." -
Spiegel
online
Rätsel (13) WELT ONLINE: Wie konnten die Römer denn Bauwerke wie das Kolosseum
errichten – so ganz ohne funktionierendes Zahlensystem?
Beutelspacher: Bis heute weiß man das nicht genau. Sie müssen aber
gerechnet haben, denn sie beherrschten die Welt. Man kann die Welt aber
nicht ohne Mathematik beherrschen.
- Albrecht Beutelspacher,
Die
Welt vom 23. Oktober 2007
Rätsel (14)
Es bedurfte der vereinten Untersuchungsbemühungen zweier großer Detektivbüros,
um den tatsächlichen Stand festzustellen, sowohl was die Mutterschaft, als auch
was die Vaterschaft anging. Denn die Fortschritte der Wissenschaft hatten den
alten römischen Grundsatz »mater semper certa est« überholt. Der Ordnung halber
füge ich hinzu, daß das Geschlecht des Professors
ein Rätsel blieb, nach der Wissenschaft nämlich müßte aus zwei weiblichen Zellen
eine Frau entstehen. Woher sich ein männliches Geschlechtschromosom einfand,
weiß man nicht. Ich hörte von einem emeritierten Mitarbeiter Pinkertons, der
in Lamblia auf Safari war, hinsichtlich Dondas Geschlecht gebe es kein Rätsel,
denn in Pombernacks Labor hätte man die Glasplättchen
von Fröschen belecken lassen.
- (
lem
)
Rätsel (15) Wenn alle möglichen Welten auch existieren - entweder als Abläufe von Ereignissen irgendwo in unserem unendlichen Universum oder irgendwo in anderen Universen, die endlich oder unendlich sein mögen -, entsteht ein theologisches Dilemma. Gott, der von außen voller Wohlgefallen seine Schöpfung betrachtet, wird zu einer rätselhaften Angelegenheit. Er muss natürlich alle möglichen Welten im Blick haben. In einer unendlichen Zahl von ihnen herrscht das Böse und die Erlösung vom Übel steht auf der Agenda. Es gibt aber auch unendlich viele Welten, wo alles bestens ist und das Gute dominiert. Aber vielleicht sind diese von Übel freien Welten logisch nicht möglich, wenn die Naturgesetze gelten, die wir heute kennen, oder wenn Wesen existieren, die über ein Selbstbewusstsein und einen freien Willen verfügen? Hat jede Handlung eine unendliche Kette von Folgen, ist es vielleicht gar nicht möglich, dass jede Folge für die anderen Menschen zum Guten ausschlägt.
Die bizarren Konsequenzen unendlicher Universen haben viele davon überzeugt,
dass sie etwas moralisch Abstoßendes an sich haben. -
(bar2)
Rätsel (16)
Vater ist einer, der Kinder sind zwölf, von diesen
zählt jedes
Wiederum zweimal dreißig, doch zwiefach beschaffen an Aussehn.
Weiß sind die einen zu schaun, die andern schwarz, aber beide
Sind sie
unsterblich zwar, doch schwinden sie alle vorüber.
- Kleobulos, nach
(diol)
Rätsel (17)
Wahrheit ist ein Wunder.
Was für einen Unterschied macht es, wie der beste Kopf, den wir haben, seinen
Erstgeborenen grüßt? Was für ein Gewicht hat es, daß das prächtigste Haar von
allen ausgefallen auf billigen Tischen wartet oder die Gesprächigste alleine
neben einem bösen Nachbarn lebt und ihre Südfenster von Raupen heimgesucht werden?
Die Nächte sind lang fürs Läusekämmen oder Mondausweichen - und das Netz kommt
wieder leer herauf. Oder es hat in diesem Fjord keinen Fisch mehr gegeben, seit
Christian ein Baby war. Und doch schäumt der gute Eifer, und das Spiel ist in
Gang. Folge mir auf den Fersen, ich kann dir nur wenig sagen, das dir eine Verbeugung
wert scheint. Du würdest die gleichen Gesichter in der Menge heraussuchen, was
ich auch sage. Und du hättest auch recht. Der Pfad ist nicht der deine, solange
du ihn nicht eine Weile allein gegangen bist. Aber hier ist eine weitere Handvoll
Westwind. Weiße der Nacht! Weiße der Nacht. Dreh dich um, bis ich dir ein Rätsel
erzähle: Was ist im beruhigten Gesicht eines alten Netzflickers und im Winter,
der nicht mehr weit ist, und im Neger, der seine Wolle scheitelt, und in sonntäglich
herausgeputzten Nutten? Es ist ein Spatz mit einer Krume im Schnabel, der Rädern
und Wolken ausweicht, die in beiden Richtungen vorüberziehen.
-
(kore)
Rätsel (18) Die Handlung geschieht in einer Gegend, die ziemlich stark an die italienischen Seen erinnert, nicht weit von einer imaginären Stadt entfernt, die der Autor Valdrade nennt. Der Erzähler ist ein Maler. Während er auf dem Lande arbeitet, kommt ein kleines Hirtenmädchen zu ihm. Es hat einen lauten Schrei gehört, der aus der prächtigen Villa kam, die kürzlich von einem steinreichen Schweizer Diamantenhändler namens Oswald Zeitgeber gemietet worden war. In Begleitung des kleinen Mädchens dringt der Maler in das Haus ein und findet das Opfer: Der Juwelier, mit einer Phantasieuniform bekleidet, liegt, durch einen Stromschlag getötet, hingestreckt neben dem Telefon. Mitten im Zimmer steht ein Schemel und am Kronleuchterring befestigt, ein Strick, der in einer Schlinge ausläuft. Die Goldfische im Glasbehälter sind tot.
Inspektor Waldemar, dem der Maler-Erzähler entgegenkommenderweise als Vertrauter dient, führt die Untersuchung. Er durchwühlt gewissenhaft jedes Zimmer der Villa, lässt mehrere Laboruntersuchungen machen. Im Schulpult finden sich die aufschlussreichsten Anhaltspunkte und Indizien: Man stößt dort, kleines a, auf eine lebende Tarantel, kleines b, die Kleinanzeige betreffs der Vermietung der Villa, kleines c, ein Programm für einen Maskenball, der am Abend des Verbrechens mit der ausnahmsweisen Anwesenheit des Sängers Mickey Malleville stattfindet, und, kleines d, auf einen Umschlag, der ein weißes Blatt enthält, auf das lediglich der folgende Kurzartikel geklebt worden ist, der aus einer afrikanischen Tageszeitung ausgeschnitten wurde:
BAMAKO (A.A.P.) 16. Juni. Ein Massengrab, das die Skelette von
mindestens 49 Personen enthält, ist in der Gegend von Fouidra entdeckt
worden. Ersten Untersuchungen zufolge scheinen die Leichen vor 30
Jahren begraben worden zu sein. Die Ermitt- |
Drei Personen haben an diesem Tag Oswald Zeitgeber besucht. Sie sind ungefähr zur gleichen Zeit gekommen - der Maler hat sie einen nach dem ändern in einem Abstand von wenigen Minuten vorbeigehen sehen -und sind zusammen weggegangen. Alle drei waren anlässlich des Masken-baüs verkleidet. Sie wurden sehr rasch identifiziert und einzeln verhört.
Die erste Person, die erscheint, ist die Quäkerin. Sie heißt Madame Quaston. Sie behauptet, dass sie gekommen sei, um sich als Haushilfe anzubieten, aber niemand kann das bestätigen. Außerdem findet die Untersuchung bald heraus, dass ihre Tochter das Zimmermädchen von Madame Zeitgeber war und dass sie unter unvollkommen geklärten Umständen ertrunken ist.
Der zweite Besucher ist der, der das Possenreißerkostüm trägt. Er heißt Jarrier; es ist der Eigentümer der Villa. Er ist gekommen, wie er sagt, um nachzusehen, ob sein Mieter gut untergebracht ist und um sich die Unterschrift unter ein Inventar der Möbel von ihm geben zu lassen. Madame Quaston hat ihrer Unterhaltung beigewohnt und kann seine Aussagen bestätigen; sie sagt noch, dass Jarrier, kaum angekommen, beinahe auf das frisch gewachste Parkett geflogen sei, sich am Fenster festgehalten und den halben Inhalt des Glasbehälters mit den Goldfischen auf einen kleinen Läufer vor dem Wandtelefon geschüttet habe.
Der dritte Besucher ist das dicke Baby: Es ist der Sänger Mickey Malleville. Er gibt sofort zu, dass er kein anderer ist als der Schwiegersohn Oswald Zeitgebers und dass er gekommen ist, um ihn anzupumpen. Jarrier und Madame Quaston sagen übereinstimmend aus, dass der Diamantenhändler, kaum sei der Sänger hereingekommen, sie gebeten habe, sie allein zu lassen. Etwas später hat er sie wieder hereingebeten, sich entschuldigt, dass er sie nicht zum Ball begleiten könne, jedoch versprochen, nachzukommen, sobald er einige dringende Telefongespräche erledigt habe. Der Maler hat die drei Masken wieder zurückkommen sehen, und empfand sogar, wie er sagte, als er sie so von vorn über die ganze Breite der kleinen Landstraße gehen sah, unwillkürlich einen unangenehmen Eindruck. Ungefähr eine Stunde später hat das kleine Hirtenmädchen das Schreien gehört.
Die Todesumstände wurden ohne jedes Problem aufgeklärt: Unter dem Läufer lag eine lange Stahlplatte: Als Zeitgeber telefonieren wollte, löste er einen Kurzschluss aus, der für ihn verhängnisvoll war. Nur Jarrier hat diese Stahlplatte anbringen können, und man versteht sogleich, dass er, kaum ins Zimmer gekommen, Mittel und Wege fand, um den Läufer zu überschwemmen und damit den elektrischen Schlag möglich zu machen; darauf entdeckt man zwei noch aufschlussreichere Details: Zum einen hatte er Zeitgeber seine Verkleidung für das Kostümfest besorgt, und die Hufeisen und Sporen der Stiefel sowie alle Metallorden an der Jacke sollten ebenfalls als Stromleiter dienen; zum andern und vor allem hat er die Telefonanlage so manipuliert, dass der tödliche Kurzschluss nur dann erfolgen kann, wenn das gerade durch seine Verkleidung erwählte Opfer - Zeitgeber war zum Ultra-Leiter geworden - eine bestimmte Nummer wählt: die der Praxis von Madame Jarrier!
Angesichts dieser erdrückenden Beweise gesteht Jarrier fast sofort: Von krankhafter Eifersucht geplagt, hat er festgestellt, dass Oswald Zeitgeber, dessen Donjuanismus in der ganzen Gegend wohlbekannt ist, um seine Frau herumstreicht. Um sich Gewissheit zu verschaffen, entwickelt er diese menschentötende Vorrichtung, die jedoch nur dann funktioniert, wenn der Juwelier wirklich schuldig ist, das heißt, wenn er versucht, in der ärztlichen Praxis anzurufen.
Selbst wenn das Motiv allem Anschein nach ein eingebildetes war - Madame
Jarrier wiegt nämlich einhundertvierzig Kilo und der Ausdruck »um sie herumstreichen«
muss hier buchstäblich verstanden werden -, so steht dennoch fest, dass Jarrier
diesen Mord vorsätzlich begangen hat: Er wird beschuldigt, verhaftet und eingekerkert.
Aber das befriedigt natürlich weder den Detektiv
noch den Leser: Nichts erklärt den Tod der Goldfische, den Henkersstrick, die
Tarantel, den Umschlag mit dem Kurzartikel aus einer afrikanischen Zeitung und
auch nicht die letzte Entdeckung Waidemars: eine lange Hutnadel, jedoch ohne
Kopf, die man im Blumentopf mit den Resedas steckend findet. Was die Laboruntersuchungen
angeht, so erbringen sie zwei Entdeckungen: zum einen, dass die Fische mit Hilfe
einer Substanz von ultra-schneller Wirkung, dem Fibrotoxin, vergiftet worden
sind; zum andern, dass es an der Spitze der Nadel Spuren eines viel langsamer
wirkenden Giftes, des Ergo-Hydantoins, gibt. -
(rec)
Rätsel (19) „Hier ist das Rätsel", rief
Philine, als sie das Kind zur Türce hereinzog. Es blieb am Hingange
stehen, eben als wenn es gleich wieder hinausschlüpfen wollte, legte die
rechte Hanid vor die Brust, die linke vor die Stirn und bückte sich
tielf. „Fürchte dich nicht, liebe Kleine", sagte Wilhelm, indem er auf
sie losging. Sie sah ihn mit unsicherem Blick an und trat einige
Schritte näher.
„Wie nennest du dich?" fragte er. „Sie heißen mich Miignon." - „Wieviel
Jahre hast du?" - „Es hat sie niemand gezählt." - „Wer war dein Vater?" -
„Der große Teufel isit tot."
„Nun, das ist wunderlich genug!" rief Philine aus. Man fragte sie
noch einiges; sie brachte ihre Antworten in einem gebrochenen Deutsch
und mit einer sonderbar feierlichen Arrt vor; dabei legte sie jedesmal
die Hände an Brust und Haupit und neigte sich tief.
Wilhelm konnte sie nicht genug ansehen. Seine Augen und sein Herz wurden
unwiderstehlich von dem geheimnisvollen Zustande dieses Wesens
angezogen. Er schätzte sie zwölf bis dreizehn Jahre; ihr Körper war gut
gebaut, nur daß ihre Glieder einen stärkern Wuchs versprachen oder einen
zurückgehaltenen ankündigten. Ihre Bildung war nicht regelmäßig, aber
auffallend; ihre Stirne geheimnisvoll, ihre Nase außerordentlich schön,
und der Mund, ob er schon für ihr Alter zu sehr geschlossen schien und
sie manchmal mit den Lippen nach einer Seite zuckte, noch immer
treuherzig und reizend genug. Ihre bräunliche Gesichtsfarbe konnte man
durch die Schminke kaum erkennen. Diese Gestalt prägte sich Wilhelmen
sehr tief ein; er sah sie nüch immer an, schwieg und vergaß der
Gegenwärtigen über seinen Betrachtungen. Philine weckte ihn aus seinem
Halbtraume, indem sie dem Kinde etwas übriggebliebenes Zuckerwerk
reichte und ihm ein Zeichen gab, sich zu entfernen. Es machte seinen
Bückling wie oben und fuhr blitzschnell zur Türe hinaus. - Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre
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