ad,
Großes
Er zog unter dem Tisch hervor ein Blatt sonderbar riechendes, gelbes chinesisches
Papier, Pinsel und ein Täfelchen indischer Tusche. In reinstem, schärfstem Umriß
hatte er das Große Rad mit seinen sechs Speichen
darauf gezeichnet, dessen Nabe die in einer Gestalt
vereinten Tiere: Schwein, Schlange
und Taube bilden - Unwissenheit,
Zorn und Wollust
-, und dessen einzelne Felder alle Himmel und
Höllen und alle Wechselfälle menschlichen Lebens
bedeuten. Es wird erzählt, daß der Bodhisat selbst
es zuerst mit Reiskörnern in Staub zeichnete, um seinen Schülern den Zusammenhang
der Dinge zu erklären. Viele Generationen haben es weitergebildet zu einer höchst
wunderbaren, traditionellen Figur, voll von Hunderten kleiner Zeichen, deren
jegliche Linie eine besondere Bedeutung hat. Wenige können diese Bildparabel
deuten, und es gibt nicht zwanzig Menschen auf der ganzen Welt, die sie ohne
Vorlage genau wiederzugeben vermöchten: und derer, die sie sowohl zeichnen als
auch auslegen können, sind nur drei. -
Rudyard Kipling, Kim. Nach
(ki)
Rad, Großes (2)
Nach Wikipedia
Textversion:
Rad, Großes (3)
Rad,
Großes
(4) Wenn die Schatten kürzer wurden und der Lama sich
schwerer auf Kim stützte, wurde das Rad des Lebens hervorgeholt, unter reinlich
abgewischten Steinen glatt gelegt und Kreis auf Kreis mit einem langen Strohhalm
erklärt. Hier saßen die Götter in der Höhe -
und sie waren Träume von Träumen. Hier war
unser Himmel und die Welt der Halbgötter - Reiter,
die zwischen den Bergen kämpften. Hier waren die Qualen, den Tieren zugefügt
- Seelen, die die Leiter empor- und niedersteigen
und deren Wege man darum nicht durchkreuzen soll. Hier waren die Höllen,
heiß oder kalt, der Aufenthalt gefolterter Geister. Möge der Chela studieren
die Leiden, die aus Unmäßigkeit entstehen - geschwollener Magen und brennende
Eingeweide! Und gehorsam, mit gesenktem Kopf und flinkem, braunem Finger dem
Erklärer folgend, studierte der Chela; wenn sie aber an die Menschenwelt kamen,
die, fruchtlos betriebsam, just über den Höllen liegt, folgte er nur noch zerstreut:
denn draußen am Wege drehte sich das Rad selbst, essend, trinkend, feilschend,
liebend, zankend - warmen Lebens voll. Oft nahm der Lama die lebendigen Bilder
zum Gegenstand seines Textes und forderte Kim — zu früh! - auf, zu beachten,
wie das Fleisch tausend und tausend Gestalten annimmt, begehrenswerte und verabscheuungswerte,
nach Menschenbegriffen, aber in Wahrheit nichtig, so oder so; und wie der dumme
Geist, sklavisch gebunden an Eber, Taube und Schlange
- lüstern nach Betelnuß, nach einem neuen Joch Ochsen, nach Weibern oder
Königsgunst - verurteilt ist, dem Körper zu folgen durch alle die Himmel und
alle die Höllen und den Weg immer wieder von neuem zu machen. Zuweilen schaute
ein Mann oder eine Frau dem Ritual - denn das war es für sie - zu, wenn die
große, gelbe Karte entfaltet wurde, und warf eine Blume oder eine Handvoll Kaurimuscheln
auf den Rand. Es genügte diesen Demütigen, einem Heiligen begegnet zu sein,
der vielleicht geneigt sein würde, sie in sein Gebet einzuschließen. -
Rudyard Kipling, Kim. Nach
(ki)
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