uietschen
Wortlos machte der Angestellte uns ein Zeichen, ihm zu folgen. Er
führte uns nach unten in einen mittelgroßen Raum. Dort ging er ohne Eile zu
einem riesigen Kühlschrank. Aus einem der Fächer zog er einen Rolltisch hervor.
Darauf lag etwas Steifes, Längliches, mit einem Laken bedeckt. Eine der Rollen
quietschte auf dem Zementboden. Mir fiel ein, daß ich diese Lärmquelle bis jetzt
nur bei den Rädern von Kinderwagen bemerkt hatte. Na ja. Am Anfang der Kinderwagen,
zum Schluß die Totenbahre. So schließt sich der Kreis. Der schweigsame Totenwächter
hatte wahrscheinlich nicht auf mich gewartet, um solch hochphilosophische Probleme
zu wälzen. Er rollte den Tisch unter eine der vernickelten Lampen und machte
Licht. Er sah uns an, um sich zu vergewissern, daß wir für die Vorstellung bereit
waren. Dann, mit einer präzisen professionellen Geste, einstudiert wie ein Totentanz,
schlug er den oberen Teil des Lakens zurück und entblößte so den Schädel der
Leiche. - Léo Malet, Die Brücke im Nebel. Reinbek bei Hamburg 1992
Quietschen
(2) Wenn jene verlassene, ausgerenkte Tür,
vom Winde bewegt, dem hölzernen Türpfosten schwache
Stöße versetzt - kann es dann nicht geschehen, daß sie quietscht? Und könnte
es nicht auch geschehen, daß dieses Quietschen, das ja nicht immer gleich ist,
eher ein Fiepen suggeriert - gewisse hastige Piepser kleiner Tiere - wütend
ängstlich zum Schutz ihrer eigenen Kleinheit? Natürlich ist es nur möglich,
daß jene Tür, die sich bereits als rhythmisch erwies - fast wie mit einem Herzen
bestückt -diese so ausgeklügelt zweideutigen Quietschlaute ausstößt, und daß
ihre Zweideutigkeit tatsächlich von einer Art ist, die auf ein verhaltenes aber
zähes Tierleben hinweist. Ihr werdet euch aber des Gedankens nicht erwehren
können, daß auch die Annahme, es gäbe da eine Tür und die wäre nicht befestigt
und würde vom Wind geschüttelt, vielleicht nichts weiter als ein kompliziertes
Phantasiegebilde ist - dazu bestimmt, die Panik eines mittlerweile brüchigen
und vermutlich erschöpften Herzens zu lindern. Und deshalb kann es auch sein,
daß dieses Quietschen die Stimme jenes pulsierenden Rhythmus ist, und daß beides
zusammen, Rhythmus und Quietschen, irgendein Wesen
verrät -unerforschlich, gewiß, aber jedenfalls Wesen, vielleicht reglos, zerstreut
oder schüchtern, oder nichts wissend von der Gegenwart anderer Wesen an jenem
Ort; und es wird deshalb ratsam sein, sich zu fragen, ob man diesen Klang -
schon wagen wir nicht mehr, es ein Geräusch
zu nennen - als eine Art von Stimme bezeichnen
soll, eine »Weise«, wie man gewöhnlich sagt, von etwas Lebendigem und somit
Fähigem, sich zu bewegen, zu fangen und zu verschlingen, aber auch dahinzusiechen
und zu sterben. Wenn nun die Rast sich länger hinzieht an jenem für die Größe
der Müdigkeiten ausersehenen Ort, dann wird es sicher möglich sein, Klänge
wahrzunehmen - nicht häufig, aber auch nicht ausgesprochen selten. Und wenn
dann die Quietscher sich mehren und die Tür oder was immer es sei sich langsam
in rostiger Angel dreht - wird dann nicht ein langes langsames Jammern zu hören
sein, dessen metallischen Charakter man nur schwer von der Klage einer ahnungslosen
Kehle unterscheiden kann oder könnte? Einer Kehle wovon? - Giorgio Manganelli, Geräusche
oder Stimmen. Berlin 1989
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