ualifikation für den Polizeidienst   Der dünne Mann lächelte schwach. Er rief den Kellner und befahl ihm:

»Gehen Sie nach unten und bringen Sie den rechten Reitstiefel Seiner Exzellenz!«

Als der Kellner mit dem Stiefel zurückkehrte, entnahm Tao Gan dessen umgeschlagenem Rand mit flinken Fingern zwei Würfel und reichte sie dem Richter. Er sagte:

»Nachdem ich diese falschen Würfel dem Bauerntölpel, der sie Euer Ehren geben wollte, weggeschnappt hatte, hielt ich Ihnen zur Prüfung ein Paar normaler Würfel hin, die ich in meiner Hand verborgen hatte. Während alle aufmerksam zusahen, wie Euer Ehren jene Würfel untersuchten, nahm ich mir die Freiheit, die falschen, vorübergehend, so hoffte ich, in Euer Ehren Stiefel zu deponieren.«

Richter Di konnte nicht umhin zu lachen.

»Ohne mich zu brüsten«, fuhr Tao Gan ernst fort, »kann ich sagen, daß nur wenige in unserem Reich die Tricks und Kniffe der Unterwelt so beherrschen wie ich. Ich bin in der Lage, Dokumente und Siegel nachzumachen, zweideutige Verträge und falsche Erklärungen abzufassen, alle möglichen Arten gewöhnlicher und geheimer Schlösser an Türen, Fenstern und Tresoren zu öffnen, während ich gleichzeitig ein Experte für Geheimgänge, Falltüren und ähnliche Vorrichtungen bin. Darüber hinaus vermag ich aus einer Entfernung zu erkennen, was Leute sagen, indem ich ihre Lippen beobachte, ich...«

»Augenblick!« unterbrach ihn Richter Di rasch. »Ist der letzte Punkt Ihres eindrucksvollen Kataloges wirklich wahr?«

»Gewiß, Euer Ehren! Ich möchte hinzufügen, daß das Lippenablesen bei Frauen und Kindern leichter ist als zum Beispiel bei alten Männern mit dichten Bärten.«

«Der Richter schwieg. Auf diese Weise hätten außer Han Yung-han auch andere in dem Raum die Worte der Kurtisane verstehen können. Als er aufblickte, sprach Tao Gan mit leiser Stimme:

»Ich habe Ihren Gehilfen bereits von dem unglückseligen Vorfall erzählt, der mich zu einem bitteren Mann gemacht hat. Nach jener schmerzlichen Erfahrung habe ich den Glauben an meine Mitmenschen völlig verloren. Seit beinahe dreißig Jahren durchwandere ich das Land und habe Vergnügen daran gefunden, zu täuschen und zu betrügen, wen ich konnte. Aber ich schwöre, daß ich nie irgend jemandem einen schweren körperlichen Schaden noch einen unheilbaren Verlust zugefügt habe. .Heute haben mir Euer Ehren Freundlichkeit zu einer neuen Lebensauffassung verhelfen; ich möchte meine Laufbahn als >Gast der Flüsse und Seen< aufgeben. Die verschiedenen Fähigkeiten, die für die Ausübung meines Berufes erforderlich waren, können ebensogut bei der Verbrechensaufklärung und der Verhaftung von Bösewichten eingesetzt werden. Deshalb richte ich an Euer Ehren die demütige Bitte, in Euer Ehren Gericht dienen zu dürfen. Ich habe keine Familie - ich brach mit ihr, als sie sich auf die Seite meiner Frau stellte. Überdies habe ich etwas Geld gespart. Als einzige Belohnung hoffe ich deshalb auf eine Gelegenheit, mich nützlich zu machen und Euer Ehren Unterweisung zu empfangen.«    - Robert van Gulik, Der See von Han-yuan. Zürich 1990