uuh! Ich hatte ein merkwürdiges Gefühl, eine alberne Wahnvorstellung - mir war nämlich, als schwebte ich durch die Luft. Rings um mich her hörte ich so etwas wie den Aushauch eines aufgestauten Atems — so als hätten tausend Riesen gleichzeitig Puuh! gesagt - und dann spürte ich einen dumpfen Aufprall, bei dem mir alle Rippen schmerzten. Kein Zweifel - ich schwebte durch die Luft, und mein Körper beschrieb eine kurze Parabel. So kurz sie indessen war, blieb doch Zeit genug für allerlei Gedanken, und zwar kamen sie mir - soviel ich mich entsinne - in dieser Reihenfolge: ›Das kann nicht der Schiffszimmermann sein - Was ist es also? - Eine Katastrophe - Vulkanausbruch unter Wasser? - Kohlen, Gas! — Himmel! wir werden in die Luft gesprengt — Alle sind tot - Ich falle in die Achterluke - Ich sehe Feuer darin.‹
Der Kohlenstaub, der die Luft des Laderaums erfüllte, war im Augenblick der
Explosion dunkelrot aufgeglüht. Im Handumdrehen, den winzigsten Bruchteil einer
Sekunde nach der ersten Neigung der Hobelbank, lag ich längelang auf der Ladung.
Ich raffte mich auf und kletterte hinaus. Das geschah so rasch, als wäre ich
zurückgeschnellt. Das Deck war eine Wildnis zertrümmerter Balken, die kreuz
und quer übereinander lagen, wie nach einem Wirbelsturm die Baumstämme in einem
Wald; sanft bauschte sich vor mir ein gewaltiger Vorhang aus grobem Tuch - es
war das Großmarssegel, das zerrissen war. Ich dachte, der Mast müsse gleich
kippen, und hastete, um nicht getroffen zu werden, auf allen vieren zur Pooptreppe.
Der erste Mensch, dem ich begegnete, war Mahon. Er hatte Augen, groß wie Untertassen,
sperrte den Mund weit auf, und das lange weiße Haar stand ihm rings um den Kopf
zu Berge wie ein Heiligenschein. Er war soeben im Begriff gewesen, hinunterzugehen,
als ihn der Anblick des Großdecks, das in Bewegung geriet, sich aufbäumte und
vor seinen Augen in Splitter verwandelte, auf der obersten Stufe zu Stein erstarren
ließ. Ich blickte ihn ungläubig an, und er stierte mit sonderbar entsetzter
Neugierde auf mich herab. Ich wußte ja nicht, daß ich keine Haare mehr hatte,
keine Augenbrauen, keine Wimpern, daß mein junger Schnurrbart fortgesengt, daß
mein Gesicht schwarz war, die eine Wange aufgeschlitzt, meine Nase zerschrammt,
und daß mein Kinn blutete. Ich hatte meine Mütze verloren samt einem meiner
Pantoffel, und mein Hemd war zerrissen. All das entging mir. Ich war verblüfft,
das Schiff noch immer schwimmend zu sehen, die Poop heil - und vor allem war
ich verblüfft, noch jemand am Leben zu sehen. Auch der Friede des Himmels und
die strahlende Heiterkeit des Meeres waren ausgesprochen überraschend. - Joseph Conrad, Jugend. Frankfurt am Main 1968
(zuerst 1902)
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