Proktologie   

»Die Hämorrhoide ist eine knotenförmig hervortretende
Erweiterung der Mastdarmvene um den Arsch herum.«
Dr. Birchers Medizinisches Lexikon (2. Aufl. 1986)

Jahrelang lief ich mit einem austretenden Arschloch herum. Irrtümlicherweise hatte ich angenommen, daß selbst bei flotten Menschen einmal die Zeit kommt, wo sich der Arsch zunehmend verunstaltet. Solche Veränderungen seien irreversibel. Dem ist nicht so. Auch der Arsch kann repariert werden.

Mein Arzt, Dr. Benahmir, Proktologe, sagte es mir, sagte es mir klipp und klar, als ich mich unten freigemacht hatte, auf dem Untersuchungsbett auf der Seite lag und die Wand ansah.

»Hämorrhoiden friert man heute ein. Früher, ja, da schnitt man sie heraus oder legte Schlingen darum und zog fest zu. Das ist nun eleganter geworden, glauben Sie mir«, sagte er.

Dr. Benjamin Benahmir war nur 1,35 Meter groß. Ob sein geringer Wuchs mit der Berufswahl zusammenhing und diese eigentlich auf eine Zurückgebliebenheit in der Reihenfolge der Stufen psychosexueller Entwicklung schließen ließ, weiß ich nicht. Jedenfalls reichte er mir, wenn ich vor ihm stand, nur bis an den Nabel, d. h., wenn er, ich liegend, hinter mir stand, gerade bis zum Arsch.

Er sprach mit einem angenehm klingenden, etwas einschläfernden Akzent, Ich hatte erfahren, daß er aus dem Sudan stammte, einem Land, wo man an Mädchen noch die pharaoni-sche Verstümmelung, die Klitoridektomie vornimmt, um den Mädchen, so glaubt man, die ihnen innewohnende hemmungslose Begierde zu vergällen. Die Klitoris wird dort als eine Art Penis betrachtet und dem Mädchen, das zur Voll-Frau wird, abgeschnitten: oftmals auch die Schamlippen. Die inneren und äußeren. Diese fraulichen Leckerbissen werden nicht dem

Jehovah serviert, wie dies im Alten Testament noch mit der männlichen Vorhaut der Brauch war (und dort nachzulesen ist).

Ich hatte in einem ethnologischen Bericht gelesen, daß im Sudan achtzig Prozent der beschnittenen Frauen noch nie einen Orgasmus erlebt hätten. Ich frage mich, wie der Ethnologe in diesen heißen, unwegsamen Gebieten eine derartige Umfrage wahrheitsgetreu erarbeiten konnte, ohne von den Männern der betroffenen Frauen unterwegs erlegt zu werden.

Vielleicht war es von Vorteil, im Sudan kurzbeinig und behende zu sein, wenn man auf Kamelen ritt. Dr. Benahmir erzählte mir, daß er des öfteren während der Regenzeit von Khartoum bis Ghedaref geritten sei, wo sein Vater durch Bereitstellung größerer Beträge aus einem internationalen Entwicklungsfonds ansehnliche Besitzungen, hauptsächlich Baumwollplantagen, erwerben und betreiben konnte. Er selbst hat seine ärztliche Kunst auf den besten Universitäten Europas erlernt. »Die Hämorrhoide wird heute tiefgekühlt. Sie wird eingefroren und kaltgestellt, abgekühlt, bis sie härter als ein Eiswürfel ist«, sagte Dr. Benahmirs Stimme hinter mir.

Ich lachte. »Wirklich? Hin Eiswürfel? Mahlzeit.« Ichflstellte mir einen farbigen Cocktail, eine Bloody Mary, vor mit Eiswürfeln aus Hämorrhoiden.

»Sind Sie schwul?« fragte er mich plötzlich.

»Nein«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen zur Wand hin. Wenn nicht mein Gesicht, so hätte mein Arsch nun doch rot werden sollen. Gut, daß ich nicht Pinocchio war und dieser obendrein in Dr. Benahmirs Schuhen stand. Seine Holznase wäre gewachsen und anstatt der Finger in meine Darmöffnung eingedrungen. Ich glaube, nichts dergleichen geschah. Ich hielt ihm weiterhin bei angezogenen Knieen wehrlos meinen Arsch hin. Er befühlte mein Knospenloch.

Ich schwul sein? Was verbirgt sich hinter diesem Wort, dachte ich. Schwulsein, was ist das? Ist es eine Sehnsucht und innere Not, dem Anderen, dem Fremden, dem Verbotenen zu begegnen? Dem Verwünschten und Unsagbaren Rede und Antwort zu stehen? Man jagt es eher in die Wüste oder verkauft es nach Ägypten? In der Wildnis soll es verdorren? Oder in der Dunkelheit erblassen und in der Kälte erstarren und erfrieren? Mancher projiziert es einfach hinauf auf den Sternenhimmel. Was hatte es auf sich, dieses Wort?

Ich schwul sein? Ha! Keineswegs sage ich das einem Arzt, dachte ich und malte mir aus, wie reizvoll und befreiend das Verbotene sein kann,

»Wußten Sie«, sagte ich, um die Stille zu unterbrechen, »bei primitiven Völkern verläßt die Seele den gewöhnlichen Menschen durch den Mund, bei Hexen aber tut sie es durch den Arsch.«

»Wenn ich Ihr Arschloch sehe und befühle«, antwortete Dr. Benahmir schnell, »sehe und fühle ich beides, Ihre Seele und Ihren Körper.« Ich war erstaunt. Ich wollte sein Gesicht sehen, konnte mich aber nicht umdrehen, da er mit seinem Finger im Loch war und mit der anderen Hand meine Backen niederdrückte.

»Ich glaube nicht«, sagte er, »daß die Seele unabhängig vom Körper sein kann, und, um ehrlich zu sein, von hinten schauen Sie aus wie ein ausgehöhlter Baum, wie rauhe Rinden.«

»Wie bitte?« sagte ich.

»Ihr Arsch«, sagte er weich und schnell, »ist heiß wie ein Rammler und blind wie eine Fledermaus. Ihr Arschloch, es ist trocken wie ein Knochen und rot wie eine Runkelrübe. Und, ich glaube, verrückt wie eine Henne.«   - Benvenuto della Stella, Neues von der Hämorrhoide. Nach: Der Rabe, Magazin für jede Art Literatur Nr. 35, Zürich 1993

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