roblem, akademisches Die Vorlesung verspricht, bedeutend zu werden. Ich blicke zum Katheder hin und sehe weich dagegengelehnt die Amphisbaena. Die Amphisbaena - das Tier, das vorwärts und rückwärts geht - unterrichtet also an der Universität - auch wenn mir nicht klar ist, um was für eine Universität es sich handelt. Ich weiß, daß ich zwei Personen bin - ein angehender Wissenschaftler und ein von Ratten verfolgter Mörder, aber es scheint mir ratsam, nicht zwischen meinen beiden Berufungen zu wählen.
Die Amphisbaena steht aufrecht am Katheder - es ist nicht ihre natürliche Haltung. Der angehende Wissenschaftler ist von tiefem Respekt erfüllt, er hat den Ehrgeiz, ein vielzitierter und zu Kongressen eingeladener Dozent zu werden - ähnlich wie die Amphisbaena. Vor dem angehenden Wissenschaftler liegt ein Spiralheft für Notizen, in der Hand hält er einen Bleistift; zwei Farbstifte, ein Bleistiftspitzer und ein Ersatzbleistift liegen auf dem Pult. Der Mörder behält die Tür im Auge, denn er weiß, daß man ihm auf den Fersen ist.
»Meine Herren«, beginnt die Amphisbaena mit einer von alter Kultur geprägten Stimme, die der angehende Wissenschaftler bewundert und von der der Mörder weiß, daß sie durch und durch falsch ist. »Meine Herren, das Thema, welches wir heute im Rahmen unserer Vorlesung über das interne und externe Recht der Hölle behandeln werden, stellt sich durch folgende Fragen: >Kann die Hölle Grenzen haben?< und > Welche Konsequenzen ergeben sich aus einer positiven oder negativen hypothetischen Antwort auf diese Fragen?'«
Die Amphisbaena wartet eine Weile, streicht sich mit der Pfote über das Kinn, blickt um sich und beginnt mit warmer und zugleich abstrakter Stimme zu sprechen. Dann unterbricht sie sich kurz, um ihre Brille abzunehmen - erst jetzt bemerke ich, daß sie bebrillt ist. Sie behält die Brille in der Hand und senkt die Augenlider.
»Meine Herren! Im Gegensatz zu dem, was einige gelehrte Kollegen behaupten,
wage ich es zu behaupten, daß die Frage, ob der Begriff der Hölle mit dem Begriff
der Grenze vereinbar sei - daß diese Frage für den Zusammenhang unserer Erörterung
grundlegend ist. Ich glaube, meine Herren, Sie werden mir zustimmen, daß das
wahre Problem der Hölle die Kohärenz ist. Alle anderen Probleme sind abgeleitet
oder nur sekundär. "Wenn wir die Hölle als einen klar umrissenen Ort, eine
Nation, einen Staat begreifen, dann sind wir gezwungen anzunehmen, daß die Hölle
sich hier und dort, kurzum an einem präzisen Ort befindet, weshalb es nur möglich
wäre, entweder gänzlich innerhalb oder gänzlich außerhalb der Hölle zu sein.
Außerdem würde es einen Punkt geben - klein aber unanzweifelbar -, wo man teilweise
außerhalb und teilweise innerhalb der Hölle wäre. Wenn die Hölle ein Ort ist,
dann müssen wir nicht nur zugeben, daß sie Grenzen hat, sondern auch, daß man
diese Grenzen überschreiten kann. Nun ist aber eine der unbestrittenen Voraussetzungen,
über die sich alle Geotheologen einig sind, daß die Hölle auf irgendeine Weise
- aber über diese Weise besteht noch Dissens -sich diskontinuierlich zu jedwedem
anderen Ort verhält.Wenn sie aber diskontinuierlich ist, wie ist es dann möglich,
von einem anderen Ort aus - welchem auch immer -, in die Holle einzudringen?
Andererseits kann die Hölle, wenn sie eine Grenze hat, damit nur zwei Ziele
verfolgen: erstens ihre eigene Diskontinuität zu definieren, zweitens die Wege
ihrer Zugänglichkeit zu signalisieren. Eine Grenze ist de facto eine Unterscheidungslinie,
aber auch eine Linie, die den Übergangspunkt von Ort zu Ort markiert. Der didaktischen
Klarheit zuliebe wollen wir nun annehmen, daß eine solche Grenze existiert,
woraus wir dann schließen, daß die Hölle ein distinkter und nicht mit anderen
Orten verwechselbarer Ort ist, daß sie sich an einem bestimmten Ort und keinem
anderen befindet, und schließlich, daß alle Orte, die nicht innerhalb dieser
Grenze liegen, absolut fremd, andersartig und unvergleichlich sind - es sind
Orte, die von keinem Blickpunkt her Hölle sind. Aber das ist noch nicht alles.
Wenn wir voraussetzen, daß die Holle eine Grenze hat, durch die sie sich von
allen Anderswos unterscheidet, dann ergibt sich daraus notgedrungen, daß jemand,
der als Forscher, Tourist oder Berufener in die Hölle eindringen möchte, alle
anderen Orte hinter sich zurücklassen müßte, um Einwohner eines Ortes zu werden,
der Holle, ganz und gar Hölle, nichts anderes als Hölle ist. Nun gibt es niemanden,
der nicht sieht« - und hier gestattet sich die Amphisbaena ein gelehrtes Grinsen,
denn sie sieht sehr wohl, wer nicht sieht, »nun gibt es niemanden, der nicht
sieht, daß jemand, der in keiner Hinsicht irgendeine Kenntnis von der Hölle
besitzt, der nie ihren herben und würzigen Geschmack genossen und ihre tiefen
Aromen eingeatmet hat, sich schwerlich - um nicht zu sagen nie - veranlaßt sehen
wird, jenen Ort zu erproben, den man die Hölle nennt.« -
(hoelle)
|
||
|
||