rediger   Gott im Himmel, wie gestikulieren sie, wie modulieren sie ihre Stimme, wie schluchzen sie, wie werfen sie sich in die Brust, welche Grimassen schneiden sie und wie übertönen sie alles mit Stimmaufwand! Solche Predigtkunst vertraut ein Bruder dem andern wie Geheimwissenschaft an. Obwohl mir (als einem Weib) Wissenschaft nicht ansteht, will ich doch einige Andeutungen machen. Zuerst bringen sie ein Zitat aus einem Dichter. Wenn sie dann über die Liebe sprechen wollen, beginnen sie mit dem Nil, oder wenn sie über das Geheimnis des Kreuzes sprechen wollen, fangen sie glücklich mit dem babylonischen Drachen Bel an. Haben sie sich das Fasten als Gegenstand gewählt, verbreiten sie sich zuerst über die zwölf Zeichen des Zodiakus. Eine Ansprache über den Glauben leiten sie mit einer Betrachtung der Quadratur des Kreises ein. Ich habe selbst einen Dummkopf, — Verzeihung! Gelehrten, wollte ich sagen — gehört, der in einer gut besuchten Predigt über das Geheimnis der Dreifaltigkeit einen neuen Weg einschlug, um seine außergewöhnliche Gelehrsamkeit zu zeigen und vor den Ohren der Theologen Gnade zu finden. Er fing bei den Buchstaben, Silben und Worten an. Dann sprach er von der Übereinstimmung zwischen Nomen und Verbum, zwischen Adjektivum und Substantivum. Die meisten wunderten sich schon und dachten im stillen an das Horazwort »Wohin soll das wirre Zeug führen?". Schließlich wollte er beweisen, daß in den grammatischen Begriffen ein so auffallendes Gleichnis der Dreifaltigkeit enthalten sei, wie es kein Mathematiker deutlicher in den Sand zeichnen könne. Der glorreiche Theologe hatte sich acht lange Monate im Schweiße seines Angesichtes bei dieser Vorstellung so abgemüht, daß er heute noch blinder ist als ein Maulwurf, weil die geistige Anstrengung ihn das Augenlicht kostete. Das bekümmert ihn aber weiter gar nicht. Der Preis kommt ihm gering vor im Vergleich zu dem erworbenen Ruhm.

Einmal haben wir auch einen achtzigjährigen Theologen gehört, der uns wie ein neuer Scotus erschien. Er wollte das Geheimnis des Namens Jesu erklären und bewies mit erstaunlichem Scharfsinn, daß in den Buchstaben selbst alles enthalten sei, was man über ihn sagen könne. Daß man ihn nur in drei Fällen beugen könne, sei offenbar ein Gleichnis der göttlichen Dreifaltigkeit. In den drei Endungen der Fälle, nämlich in dem s, m und u, verberge sich ein unaussprechliches Geheimnis, und die Buchstaben verkündigten, daß er der Höchste (summus), die Mitte (medius) und das Ende (ultimus) sei. Ein anderes, noch verborgeneres Geheimnis wurde uns ebenfalls zuteil: Mathematisch genau teilte er den Namen Jesus in zwei gleiche Teile, allerdings so, daß der fünfte Buchstabe in der Mitte allein übrigblieb. Dann lehrte er, dieser Buchstabe heiße im Hebräischen "Sin", Sin in der Sprache der Schotten die Sünde; so ergebe sich einwandfrei, daß Jesus es sei, der die Sünden der Welt tilge. - Erasmus von Rotterdam, Das Lob der Torheit (1509)

Prediger (2) Nach dem Essen hörten wir die Predigt von Bourdaloue. Er hämmerte wie ein Tauber, jagte mit verhängten Zügeln die Wahrheiten vor sich her, verfolgte durch dick und dünn den Ehebruch; rette sich wer kann, er wich nicht von seiner Bahn. Wir kehrten sehr befriedigt heim.  - (sev)

Prediger (3)

DES ANTONIUS VON PADUA FISCHPREDIGT

Antonius zur Predig
Die Kirche findt ledig.
Er geht zu den Flüssen
Und predigt den Fischen;
Sie schlagn mit den Schwänzen,
Im Sonnenschein glänzen.

Die Karpfen mit Rogen
Sind all hieher zogen,
Haben d' Mäuler aufrissen,
3idi Zuhörens beflissen:
Kein Predig niemalen
Den Karpfen so gfallen.

Spitzgoschete Hechte,
Die immerzu fechten,
Sind eilend herschwommen,
Zu hören den Frommen:
Kein Predig niemalen
Den Hechten so gfallen.

Auch jene Phantasten,
So immer beim Fasten,
Die Stockfisch ich meine,
Zur Predig erscheinen:
Kein Predig niemalen
Dem Stockfisch so gfallen.

Gut Aalen und Hausen,
Die Vornehme schmausen,
Die selber sich bequemen,
Die Predig vernehmen:
Kein Predig niemalen
Den Aalen so gfallen.

Auch Krebsen, Schildkröten,
Sonst langsame Boten,
Steigen eilend vom Grund,
Zu hören diesen Mund:
Kein Predig niemalen,
Den Krebsen so gfallen.

Fisch große, Fisch kleine,
Vornehm und gemeine,
Erheben die Köpfe
Wie verständge Geschöpfe:
Auf Gottes Begehren
Antonium anhören.

Die Predigt geendet,
Ein jedes sich wendet,
Die Hechte bleiben Diebe,
Die Aale viel lieben.
Die Predig hat gfallen.
Sie bleiben wie alle.

Die Krebs gehn zurücke,
Die Stockfisch bleiben dicke,
Die Karpfen viel fressen,
Die Predig vergessen.
Die Predig hat gfallen,
Sie bleiben wie alle.

- Achim von Arnim, Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. München 1957 (zuerst 1805)

Prediger (4)   Es heißt, er habe einen lebhaften Geist gehabt und sei ein ausgezeichneter Redner gewesen, insbesondere, wenn er zu seinen Schülern und Anhängern oder der versammelten Menge sprach. »Dann strahlten seine Augen wie Sterne«, behauptet einer seiner Schüler. »Er hatte die Stimme eines Wahnsinnigen und den Blick eines Hurenbocks«, notierte einer seiner Feinde. - (kis)

Prediger (5) Auf dem Blatt des Leichenbegleiters, eines Wesens, das insgeheim auf Pest, Seuche und Verfall anspielte, hatte ich gelesen, was ich jetzt niederschreiben will:

»Leise kamen Anspielungen auf geile Schlüpfrigkeiten, auf wissendes Nachgeben des Körpers von meinen Lippen, ich warf halb ausgesprochene Wörter hin, machte wie von ungefähr verfängliche Gesten, Handbewegungen zu listigen Schweigepausen; ich sprach auf vielerlei Weise von der Liebesleidenschaft: von der wilden Gier, von der trägen Sattheit, vom Ekel, vom Verlangen vor Ekel, von der Verstoßung vor Verlangen, von der Flucht, der Verfolgung, der geilen Gefangennahme, von der kränkenden Achtlosigkeit, von der unverschämt forschenden Aufmerksamkeit. Ich verstand es, meine Hände zu bewegen, die Luft zu berühren und zu verlassen, während ich mit der Stimme und dem Gehabe eines Predigers die Geschichte meiner geheuchelten - ich will nicht sagen erlogenen - Verfehlungen erzählte. Und dann das Verbrechen. Ich schilderte ihm, was eigentlich ein Verdacht ist, und was die Sucht, Indizien, Zeichen, Winke miteinander zu verknüpfen und zusammenzufügen; zwischen den Wörtern, zwischen den einzelnen Buchstaben eines Wortes zu lesen; die Tiefe eines Schweigens erlauschen; plötzlich eine Anspielung machen, unauffällige Verhöre anstellen, anfangen mit »Du hast also gestern ...«, darauf das Lächeln eines Komplizen, verständnisvollen Kumpels, Wundertäters, Zuhälters, Ganoven, Weisheitslehrers, von jedem eine Spur. Einen Satz mit einer unpassenden Bemerkung bremsen, nur um Verwirrung und Unbehagen aufkommen zu lassen und um zu sehen, was dieses Unbehagen zeitigt. Scheinbar zerstreut ein Wort auffangen, das alles erhellen könnte, das Gespräch seltsamerweise auf etwas anderes bringen, so daß, wer mit uns spricht, uns für gedankenlos und mysteriös hält. Mit vorübergehendem Ernst das Schmachten unterbrechen, zu Beginn des Verlangens ein wenig kühl sein, lächelnd etwas unterstellen, andeuten, daß die Liebe aus Haß besteht, daß die Liebe der Übergang zum Haß ist, daß in der Liebkosung die Absicht einer Erdrosselung steckt, daß uns vor dem Körper graut, der hartnäckig weiterlebt, um unser Verlangen zuzulassen. Wie ein Schmierenkomödiant erzählte ich mit rascher, leidenschaftlicher Zunge mein Verbrechen.« - Giorgio Manganelli, Kometinnen und andere Abschweifungen. Berlin 1997 (zuerst 1996)

Prediger (6)  Noch etwas soll beim Hahn genauer betrachtet werden: wenn er sich anschickt, zu krähen, schüttelt er zuerst seine Flügel und regt sich dadurch, daß er sich selbst schlägt, zu stärkerem Wachsein an. Gleiches sehen wir ganz offenkundig, wenn wir aufmerksam die Lebensweise heiligmäßiger Prediger betrachten. Denn bevor sie noch die Worte ihrer Predigt aussprechen, üben sie sich selbst in heiligen Werken, damit sie nicht die anderen nur mit ihrer Stimme aufwecken, während sie zu jedem Werk zu lahm sind. Sie rütteln sich vielmehr durch erhabene Taten wach, dann erst wecken sie in anderen die Sorge, recht zu handeln. Vorher aber schlagen sie mit Flügeln der Gedanken auf sich selbst ein, weil sie in sorgfältiger Selbsterforschung feststellen, was in ihnen träge erschlafft ist, um es in schonungsloser Weise wieder in Ordnung zu bringen. Zuerst sorgen sie dafür, die eigenen Gebrechen strafend zu beweinen, dann erst decken sie auf, was an anderen strafenswert ist; zuerst also machen sie ein Geräusch mit ihren Flügeln, dann erst stoßen sie ihren Ruf aus, weil sie, noch bevor sie ihre Mahnworte vorbringen, alles, was sie zu sagen haben, schon in ihrer Handlungsweise zum Ausdruck gebracht haben. Und während sie darüber wachen, selbst standhaft zu bleiben, rufen sie den anderen zu, vom Schlafe aufzuwachen. Woher soll aber ein Lehrer soviel Geisteskraft haben, daß er für sich selbst vollkommen wach bleibt und die Schlafenden mit eindringlicher Stimme zum Aufwachen ruft, daß er vorher die finstere Nacht der Sünden behutsam durchforscht und daraufhin vorsichtig das Licht seiner Predigt aufleuchten läßt, daß er jedem einzelnen nach seiner Eigenart und zur rechten Zeit gerecht wird und doch zugleich auch allen gemeinsam klar macht, was zu tun ist? Woher soll er zu so großen Aufgaben und so gründlich befähigt sein, wenn er nicht von dem dazu belehrt wird, von dem er auch geschaffen wurde? Der Ruhm so großer Geisteskraft gebührt also nicht den Fähigkeiten des Predigers, sondern seinem Schöpfer, muß also zurecht von diesem Schöpfer ausgesagt werden. Mit anderen Worten: wer gab dem Hahn soviel Verstand?  - Bestiarium, nach dem Ms. Ashmole 1511, Hg. Franz Unterkircher.  Graz 1986

Prediger (7)   Sonntags hörte ich manchmal den Freiluftpredigern im Hyde Park zu,  verblüfft von dem völligen Verlust menschlicher Selbstachtung bei diesen Abgesandten des Glaubens; der Ernst der Umstehenden. die ihnen unermüdlich zuhörten, brachte mich noch mehr aus der Fassung; zuweilen hatte ich den Eindruck, mich inmitten eines Volkes zu bewegen, das sich einem dezenten und zugeknöpften Wahnsinn hingab, in dem ich jeden Augenblick die Vorzeichen eines quäkerischen Bebens verspüren würde; und an mehr als einem Tage, wenn ich zerschlagen von Hitze und einsamem Herumlaufen auf meine Hampsteader Höhen zurückkehrte, deprimiert von den stummen Berührungen mit jenen kontakt- und sprachlosen Gespenstern unter ihren Melonen, hätte auch ich fast ausgerufen: »Oh. möge das himmlische Feuer herniederfallen auf diese biblische Stadt!«  - (grac)

Prediger (8) Die Jahre verliehen ihm  jene eigene Herrscherwürde, wie sie die ergrauten Halunken und die vom Glück begünstigten und straffreien Verbrecher an sich haben. Er war ein alteingesessener Kavalier aus dem Süden, trotz seiner elenden Kindheit und seines schändlichen Lebens. Er war nicht unbewandert in der Heiligen Schrift und predigte mit seltener Überzeugungskraft. »Ich habe Lazarus Morell auf der Kanzel erlebt«, vermerkt der Eigentümer eines Spielsalons in Baton Rouge, Louisiana, »ich habe seine erbaulichen Worte gehört, und ich habe Tränen in seine Augen treten sehen. Ich wußte, daß er vor Gott ein Ehebrecher, ein Negerdieb und ein Mörder war, und dennoch haben meine Augen geweint.«

Ein weiteres treffendes Zeugnis für diese heiligen Ergießungen liefert uns Morell selber: »Ich schlug die Bibel aufs Geratewohl auf, stieß beim Apostel Paulus auf eine passende Stelle und predigte darüber eine Stunde und zwanzig Minuten. Crenshaw und die Kameraden ließen die Zeit auch nicht ungenutzt, denn sie stahlen sämtliche Pferde der Zuhörerschaft. Wir verkauften sie im Staat Arkansas, außer einem sehr feurigen Rotschimmel, den ich mir für meinen persönlichen Gebrauch vorbehielt. Crenshaw gefiel er auch, aber ich brachte ihn zu der Einsicht, daß er für ihn nicht tauge.«   - J. L.Borges, Universalgeschichte der Niedertracht, nach (bo3)

Prediger (9)   Am 16. November 1917 hielt der «Oberdada Baader» seine berühmte Rede im Berliner Dom. Er stand auf der Tribüne, während der Pastor predigte, und plötzlich richtete Baader eine schreiende Frage an das Publikum: «Was ist Christus dem gemeinen Mann?» Als er keine Antwort erhielt, beantwortete er seine eigenen Frage in dem gleichen schreienden Ton. «Er ist ihm wurst.» In der Zwischenzeit waren die Häscher — es gibt solche selbst in Kathedralen und Domen — mobilisiert worden, sie ergriffen Baader und schleppten ihn trotz seines Protestes fort. Jedoch, die Gerichte konnten ihm nichts tun, es stellte sich heraus, daß er im Besitz des berühmten Paragraphen 51 war, der besagt, daß man zwar ein Genie sein kann, aber dennoch im Sinne des bürgerlichen Gesetzes unzurechnungsfähig ist. - Dada. Eine literarische Dokumentation. Hg. Richard Huelsenbeck. Reinbek bei Hamburg 1964

Priester Redner
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