Pound, Ezra  Als der Absolventenjahrgang der Uni Pennsylvania unter Professor Clark in der Philadelphia Academy of Music Euripides' Iphigenie in Aulis in griechischer Sprache aufführte, war Ezra eine der Frauen des Chors. Ich saß in der Galerie. Der Bursche, der den Boten spielte, war an jenem Abend ausgezeichnet in Form und bekam rauschenden Beifall für seinen leidenschaftlichen Vortrag. Aber Ezra stand nicht minder im Zentrum der Aufmerksamkeit, zumindest bei mir. Er trug ein griechisches Gewand, erinnere ich mich, ein togaähnliches Ensemble, und dazu eine große blonde Perücke, an der er herum/errte, während er mit den Armen fuchtelte und im Taumel höchster Gefühlswallungen seine massigen Brüste schwenkte.

Im Gegensatz zu mir verbreitete Ezra sich nie über sein Schreiben, weder im Ernst noch im Scherz, sondern bewahrte stets eine geheimnisvolle, unerschütterlich ernste Haltung diesem Thema gegenüber. Über alles andere konnte er ziemlich derbe Witze machen. Das faszinierte mich. Er war das energischste, intelligenteste und unerklärlichste Wesen, das ich je erlebt hatte, und er war sehr amüsant - bis auf sein oftmals quälendes Selbstbewußtsein und sein bellendes Lachen. Es war herrlich, im Lauf der Jahre gelegentlich mit ihm zusammen zu sein, aber dies durfte nicht zu oft oder über einen längeren Zeitraum geschehen. Meist hatte ich nach wenigen Tagen die Nase gestrichen voll von ihm. Und ihm wird es mit mir nicht anders gegangen sein.

Ich hätte niemals regelmäßigen Umgang mit ihm pflegen können. Niemals. Er war oft brillant, und trotzdem ein Esel. Aber ich bin (solange er Abstand hielt) seiner nie überdrüssig geworden und habe auch nie aufgehört ihn zu lieben. Er brauchte es, geliebt zu werden, selbst wenn er einem dafür die Zähne einschlug (aber das hat er nie getan); er sah so aus, als könnte er es fertigbringen, war aber im Grunde seines Herzens viel zu sanft, ein viel zu guter Freund, urn so etwas zu tun. Und er besaß eine unerschöpfliche Geduld, eine unendlich tiefe menschliche Phantasie und Fähigkeit zur Anteilnahme. Boshaft, zuweilen gehässig, nachlässig, wenn er annahm, daß es einem nichts ausmachte, aber warm und anhänglich - und auch komisch, wie gesagt. Wir gingen, bis zu einem gewissen Grade jedenfalls, gemeinsam, und nicht aufeinander, auf die Jagd.

Was ich an Pound nie habe tolerieren oder für mich selbst habe erstreben können, war die »Seite«, die zu seiner Posiererei als Dichter gehörte. Für mich war das ein uralter Hut. Ich glaubte, jeder Einfaltspinsel müsse sofort erkennen, was dafür verantwortlich sei: der Konflikt zwischen einem Adel der Geburt und dem von Geist und Denken - eine alberne und überflüssige Sache. Ein Dichter, der den anderen verhöhnt, macht sich selbst lächerlich, indem er nur nachahmt, was er verachtet. Meine Erziehung verlangte eher die Bescheidenheit und Behutsamkeit des Wissenschaftlers. Man war, oder man war nicht da. Und wenn man da war, hatte man die Pflicht, sein Allerbestes zu geben und, davon abgesehen, denn dies Ringen ist eine Sache für sich, ein möglichst unauffälliges Leben zu führen und zielstrebig sein Pensum zu erfüllen. Nicht so der liebe Ezra.  - (wcwa)

Pound, Ezra (2)  

«Ich wünschte, daß uns Mr. Pound erzählen würde, was er glaubt», lamentierte T. S. Eliot im Jahre 1932. In Make it New (1933) antwortete Pound kurz und bündig: «Ich glaube an das Ta-hsio.» Dies scheint folgendes klarzustellen: Ezra Pound war Neukonfuzianer. Man hätte dies auch im Hinblick auf seine Bewunderung für Voltaire und Jef-ferson, für den Rationalismus des 18. Jahrhunderts und für die moderne Wissenschaft erwarten können. Auch seine Übersetzungen der Grundtexte des Konfuzianismus (Ta-hsio, Tschung-yung, Lun-yü, Tschi-hsin) deuten darauf hin; ebenso sein Verhaftetsein mit wirtschaftlichen Problemen, mit sozialer Gerechtigkeit und utopischen Plänen zur Errettung des Planeten; seine Geringschätzung für «die Christenheit ... ein Kult, der dazu dient, gute römische Bürger oder Sklaven zu erlangen», für «Hindu-Schwärmerei» und «Buddhisten-Nebel», für «all das verdammte leere Geschwätz der Christen, Juden und Moslems», für «Taosers» (ein Wort, das wie «Taoist» ausschaut und sich wie «Dowsers» - Rutengänger - liest); sein unvergeßliches Urteil in Cantus 52-71: «Scheiße und Religion stinken immer gemeinsam.» Welche andere «Religion» konnte Ezra Pound somit in die Arme schließen als den Konfu-zianismus, die ethischste und am wenigsten «religiöse» aller Bekenntnisse?
Laut dem Bontragerschen Gesetz (von Dr. O. R. Bontrager, Universität von Pennsylvania, Abteilung für Psychologie), ist alles komplizierter, als es scheint. Dies trifft auch für Ezra Pounds Metaphysik zu. Die griechischen Götter und Göttinnen treten in seinem dichterischen Werk so oft in Erscheinung, daß ihn die Hudson Review als «Advokaten des Neu-Heidentums unserer Zeit» brandmarkte - was immer das auch heißen mag. Er hat seine Huldigung gegenüber dem Ta-hsio ausgeglichen, indem er anderswo (Instigations) sagte, daß Ovids Metamorphosen «ein heiliges Buch» sei (im Gegensatz zu hebräischen Schriften, die er «Aufzeichnungen eines barbarischen, von Haß erfüllten Stammes» nannte). Die späteren Gesänge sind voller bewundernder Hinweise auf verschiedene gnostische und christliche Häresien, inbesondere auf solche der erotisch-tantrischen Dichtung. In Section: Rock Drill wird das Thema der erdnahen, konfuzianischen sozialen Gerechtigkeit zugunsten einer eher heidnischen Üppigkeit auf den zweiten Platz verwiesen:

Das Regieren lernen wir von KuanTse,
aber der weißgoldene Becher von Patera,
Helenas Brust, vermittelt dieses Wissen.*

Tatsächlich hat Professor Schneider von der Universität Louisiana in seinem Buch über Pound den Beweis erbracht, daß der Dichter zumindest seit 1914 zutiefst in «okkultes Experimentieren» verwickelt gewesen war. Christine Brooks-Rose versichert in ihrem AZBC of Ezra Pound, daß E. P. «während vierzig Jahren praktizierender Okultist» gewesen sei. Prinz Boris de Rachewiltz, Pounds Schwiegersohn, hat auf die riesige Bibliothek mit mittelalterlichen Magie-Handbüchern hingewiesen, die Pound, seiner chronischen Armut zum Trotz, über Jahre zusammengetragen hat. Dies deutet auf eine ungewöhnliche Neigung zu den theurgischen Künsten hin - bei einem Manne, der so arm war, daß er aus finanziellen Gründen seine Möbel selber herstellte und al! die streunenden Katzen in den Straßen von Rapallo fütterte, weil er wußte, was Hunger bedeutet.

Selbst das Ta-hsio, Pounds Lieblingstext, ist nicht ganz so rationalistisch wie andere Schriften von Konfuzius. Und jene Version, die Pound im Jahre 1945 als The Great Digest in der Todeszelle von Pisa übersetzt hatte, war bereits von Chu Hsi «überarbeitet» (besser gesagt, neu geschrieben) worden, jenem Syn-kretisten, dessen Neukonfuzia-nismus aufweiten Strecken nachdrücklich taoistisch-magisch-mystische Formen zeigte. (Joseph Needham betrachtet Chu Hsi als weitgehend vom Wunsch geleitet, eine konfuzianisch-taoistische Synthese zu erarbeiten, die er als ursprünglich chinesische Alternative der buddhistischen Metaphysik gegenüberstellen wollte.)

Hugh Kenner, ein brillanter neo-thomistischer Kritiker mit der hervorstechenden Neigung, jeden von ihm «studierten» Schriftsteller nach seiner eigenen Religion umzuformen (sein Dublin's Joyce} läßt sogar den vehement antikatholischen Joyce zu einem Thomisten werden, gibt zu, daß «die bedeutendste Figur» in Pounds Cantus die Göttin Aphrodite sei.

Die huldreiche Göttin erscheint in der Tat erst am Schluß von Cantus l, wo Pound sie beschreibt. («Du mit goldenen Gürteln und Brustbändern / den goldenen Zweig der Argicida tragend») und mit dem lateinischen Begriff Venerand auszeichnet, dem stärksten lateinischen Tempus, der im Deutschen etwa nur in Form von «Sie-die-verehrt-werden-muß» zu übersetzen ist. Mit anderen Worten: Es bleibt uns keine Wahl, sie ist zu herrlich, als daß man ihr widerstehen könnte. Sie ist in der Tat wie das Tao, so wie es von Konfuzius in Cantus 74 beschrieben wird: «Das, wovon du ausgehen kannst, ist nicht der Weg», «Der Wind ist ein Teil des Vorgangs / der Regen ist ein Teil des Vorgangs». (Die Begriffe Weg und Vorgang geben dem geheimnisvollen Tao die Form einer aus sich bewegenden Füßen und Intelligenzgrundlagen aufgebauten Glypte zurück.)

Die unvergleichliche Beschreibung der Helena von Troja in Cantus 2 vereinigt die sterbliche Form und die unsterbliche Göttin subtil in ein und demselben Körper:

Laßt sie zurück zu den Schiffen,
zurück zu den Griechen,
Damit nicht Elend über unsere Stadt komme,
Elend und nochmals Elend, auf daß kein Fluch
auf unsere Kinder falle.
Bewegt sie sich? Ja, sie bewegt sich wie ein Gott,
Und sie hat das Antlitz einer Göttin und
die Stimme von Schoeneys Töchtern.
Und das Schicksal begleitet ihre Schritte.
Laßt sie zurück zu den Schiffen, zurück   
zu den griechischen Stimmen.

Die damit verbundenen griechischen Wortspiele - Elenaus, Ele-narke, Eleptolis- beginnen mit Subtilität das aufscheinende Thema der Eleonore von Aquitanien einzuweben, indem sie Doppelsinniges zu dreifacher Deutigkeit zusammensetzten. (Die griechischen Ausdrücke bedeuten «Zerstörer von Schiffen, Städten, Menschen» und enthalten jeweils auch Helenas Name. Man kann diese Worte nicht «übersetzen» , wenngleich Andreas Divus ein hübsches lateinisches Äquivalent getroffen hat: «perditrix, navium, perditrix urbium, perditrix heroum, nupta bello.» Die letzten beiden Ausdrücke - sie bedeuten «Gattin des Krieges» -verbinden Helena mit Venus, der Braut des Mars. Wir sehen in diesen frühen Gesängen die dunkle «schwarze Göttin» Kalí neben der Frau von Bildung und Stand.)

Eleonore (und ihr Vater Wilhelm von Aquitanien, dessen unwahrscheinliche Prahlerei, in einer Nacht mit hundertzwanzig Frauen kopuliert zu haben, im Cantus säuberlich vermerkt wird) brachte im 11. Jahrhundert das Heidentum nach Europa zurück. Daß die Troubadoure der Provence und die Sänger der Gralslegende - beide fanden am Hofe Eleonores Schutz und Schirm - chiffrierte Texte verfaßt hatten, ist schon oft vermutet worden. Der tantrische Symbolismus der Gralslegende wird in Jesse Westons From Ritual to Ro-mance augegraben; wie Dr. Weston in ihrem Vorwort bemerkt, entstand das Buch mit Hilfe einer okkulten Gruppe, die in England noch um 1908 diesen Mysterien anhing. (Ich habe nie herausgefunden, ob sich das auf einen vorgardnerschen Hexenbund oder auf den hermetischen «Order of the Golden Dawn» bezog.) Die vollständige Dechiffrierung der Grals-Riten wird den Eingeweihten neunten Grades des Ordo Templi Orientis zugänglich gemacht - Richard Wagner hat sie wissentlich bei der Niederschrift von Parsifal zur Anwendung gebracht. Schon um 1916 wußte Pound, daß der «männlich-weibliche» Magnetismus als Yoga von den Troubadouren und Minnesängern eingesetzt worden war; er schrieb darüber in Psychology and the Troubadours. Er zitiert bei dieser Gelegenheit Pierre Vidals berühmte Zeile: «Ich glaube Gott zu schauen, wenn ich den nackten Körper meiner hohen Frau betrachte.» (Eleonores berühmter barbusiger Ritt durch Jerusalem war keineswegs ein «Spaß», sondern eine vorsätzlich magische Handlung, die das Emblem der Göttin und das symbolische Zentrum der drei patriarchalischen Religionen - Judentum, Christentum und Islam - zurückgebracht hatte.)

Um 1936 war Pound mit diesen Yoga vertraut genug, um nicht nur von «Magnetismus», sondern von «Energien» zu sprechen, «die an das Sichtbare grenzen»; wie «unter Wasser gesehenes Glas», «mehrere Fuß außerhalb des Körpers». Das ist nicht ein Wissen, das man durch das Lesen der Troubadourtexte erreicht, so eifrig man das auch tun würde -selbst wenn man sich so viele Jahre damit beschäftigt, wie das Pound zugegebenermaßen getan hatte. Es handelt sich hier um das Wissen eines Adepten. Bald war er besessen von den Lehren eines Scotus Erigena, der im 9. Jahrhundert gelebt hatte. Erigena ist im 11. Jahrhundert wieder exhumiert und im Verlauf des Albi-genser-Kreuzzuges rituell als Ketzer verurteilt worden; damals ist die heidnische Kultur Südfrankreichs in einer völkermörderischen Raserei zerstört worden, die Kenneth Rexroth treffend als «die schlimmste Barbarei der Geschichte vor der Erfindung des Fortschritts» bezeichnet hatte. Für Pound war Erigena besonders bemerkenswert als der Autor des hermetischen Koan: «Alle Dinge, die sind, sind Licht.»

Dr. Timothy Leary würde dies ohne Zweifel als eine Ausdrucksform des sechsten neurologischen Schaltkreises bezeichnen; des metaprogrammierenden Schaltkreises, der sich mit Hilfe trantrischer Verschmelzung nach erfolgter Prägung des fünften Schaltkreises öffnet. Pound sah darin eine «reine Geistesverfassung ... frei von der Hindu- und Hebräerkrankheit», die ansonsten das Mittelalter beherrschte.

Erigenas Kernspruch erscheint mehrmals sowohl auf englisch als auch auf lateinisch (Omnia quae sunt, lumina sunt), wo er oft mit zwei Zeilen des Troubadours Sordello verbunden wird. Diese Zeilen sind auf englisch und auf provenzalisch zu lesen. Die englische Version (d. h. Pounds Version) lautet:»

And if I see her not
no sight is worth the beauty of
my Thought

Wie Vidal, so betrachtet auch Sordello den physischen Körper, doch sieht er mehr, als «die Vision allein und Newtonscher Schlaf» wahrnehmen können. Er sieht das Licht des Erigena, das weiße Licht des tantrischen Adepten. Auf ähnliche Weise war Pound von der Zeile «E quel remir contral lum de la lampa» in Arnaut Daniels zwölftem Canzou betroffen. Er gab dieser Betroffenheit in seiner Übersetzung aus dem Jahre 1912 wie folgt Ausdruck:

and laugh and strip and stand
forth
in the lustre
Where lamp-light with light
limb but half engages

Der Gedanke ist, daß das «strahlende Glied» der hohen Frau seinen eigenen Glanz - im Sinne von Leuchtkraft - besitze; diese Idee steckte in E. P.'s Kopf und in den zwanziger Jahren fand eine typische, kurze Bezugnahme ihren Niederschlag in Cantus 20:

And the light falls, remir,
From her breast to thighs

Einzig das Wort remir (das den echt besessenen, süchtigen Pound nach einem Wörterbuch der provenzalischen Sprache greifen ließ) offenbart den Ursprung von Daniels Canzou. Bei der Übersetzung eines anonym verfaßten, provenzalischen Alba (Abendlied) gelang ihm erneut das schwierige Kunststück, die ursprünglichen Reimverse zu belassen, während er gleichzeitig vom Provenzalischen zum Englischen überging. Dabei deutete er wiederum auf das tantrische Lichtgeheimnis hin:

When the nightingale to his
mate
Sings day-long and night late
My love and I keep state
In bower In flower
Til the watchman on the tower
Cry:
«Up! Thou rascal rise,
I see the white Light
And the night
Flies.»

In Cantus 39 gehen wir direkt von einer der wohl einmaligsten Schilderungen des «Untermenschlichen» - purer animalischer Sex - innerhalb der englischen Literatur («Mädchen sprachen dort vom Vögeln / Bestien sprachen dort vom Fressen / Alle schwer vor Müdigkeit - gevögelte Mädchen und fette Leoparden») zu einem anderen dramatischen Epiphanienfest des tantrischen «übermenschlichen» Eros:

Fac deum! Est factus!
Vernovum! Ver novum!
His rod hath made god in my
belly
Dark shoulders have stirred
the lightning
A girl's arms have nested the
fire
Cantat sie nupta
I have eaten the flame

(Das Lateinische bedeutet: «Mach einen Gott! Er ist gemacht! Frühling! Frühling!» und «So singt die Neuvermählte». Die Braut wird dem Gott im Rahmen eines Fruchtbarkeitsrituals angetraut, das bewußt die tantrische Lichtenergie zum Schütze der Ernte verwendet. Hier findet sich das älteste aller magischen Geheimnisse: die Flamme, die verschlungen wird, ist das alchimistische Elixier.)

Selbst Pounds ökonomische Sicht wird mit dieser heidnischen Vision verwoben: in Cantus 45 wird dem Kapitalismus («Usu-ra», ein von Scotus Erigena entlehnter Ausdruck) hauptsächlich angelastet, daß er das Sakrament des Eros zerstöre:

Usura slayeth the child in the womb
It stayeth the young man's courting
It hath brought palsex to bed, lyeth
Between the young bride and her bridegroom
CONTRA NATURAM

They have brought whores for
Eleusis
Corpses are set to banquet
at behest of Usura.

heißt, in der nach-calvinistischen Kultur dienen der freien Göttin eher Huren denn Priesterinnen; Empfängnisverhütung und Abtreibung werden abgelehnt, und zwar nicht aus römischkatholischen Beweggründen, sondern  als  «widernatürliches» Verhalten, zu dem die Armen (siehe Pounds  Ökonomische Schriften) durch das Geldhorten in den Bankgewölben getrieben werden.

Von immer bittereren Gefühlen erfüllt und bezeichnenderweise zur lateinischen und zur griechischen Sprache übergehend, fährt Pound in seinem Cantus 46 weiter: «Aurum est commune sepulcrum / Usura, commune sepulcrum / ELENAUS, ELENARKE, ELEPTOLIS»

(«Gold ist das allgemeine Grab / Verbrauch ist das allgemeine Grab / Zerstörer von Schiffen, Städten und Menschen» - dabei wird das schmückende Beiwort «Zerstörung»  von  der  Göttin weggenommen und dorthin gestellt, wo es wirklich hingehört).

Je mehr sich der Cantus der letzten Sequenz nähert, um so mehr treten die historischen Persönlichkeiten in den Hintergrund, während die Göttin zunehmend in Erscheinung tritt. In der Pisa-Sequenz (1945) wird sie gewöhnlich vom chinesischen Begriff Ming (aus dem Ta~hsio) begleitet, der zumeist als «Intelligenz» übersetzt wird. Pound, der die Elemente dieses Schriftzeichens genau betrachtete - sie zeigen die Sonne und den Mond -, fand darin mehr Licht, als rationale Intelligenz allein übersetzen kann. Erigenas «Alle Dinge sind Licht» handelt sie und diese göttlichen Lichter in ein oder zwei Zeilen ab.

Cantus 106 umspannt die Welt mit einer Hymne an sie («Und in deinem Geist ist Schönheit, O Artemis / wie Bergseen in der Morgendämmerung / Schaum und Seide sind deine Finger / Ku-anon / und die große Anmut ihrer Bewegung»); ob unter griechischen oder chinesischen Namen, sie ist stets eins.

Ein Gipfel der Macht wird im Cantus 116 errichtet, und das Zugeständnis des Poeten, versagt zu haben, ist ein indirekter Beweis, daß sie ihn nicht verlassen hat. Auch nicht nach all seinen Rasereien und Dummheiten, den Todeszellen und Verräter-Verhören, den 13 Jahren in einem Irrenhaus: «Ich habe die große Kristallkugel gebracht / wer kann sie heben? Kannst du die große Eichel des Lichts einfuhren? / Aber die Schönheit ist nicht der Wahnsinn / ihr, meine Fehler und Versagen, Hegt um mich herum.» Dies führt im Cantus 120 zur vollkommensten Offenbarung ihrei selbst und des Tao, obwohl beidt nicht mit Namen genannt werden:

Ich habe versucht, über das Paradies zu schreiben.

Steh still.
Laß den Wind sprechen.
Das ist das Paradies.

(«Der Wind ist ein Teil des Vorgangs», Cantus 74.)

Noch direkter ist der Cantus 113, Glaubensbekenntnis, das Bemerkung, wonach Pound nur ein materialistischer Sozialreformer gewesen sei, auf alle Zeiten widerlegt:

Die Götter sind nicht zurückgekehrt.
Sie haben uns nie verlassen.
Sie sindnichtzurückgekehrt.

«Vor aller bürgerlichen Ordnung, l'amor», hatte er bereits im Cantus95 sinniert. In derTat, das ganze Durcheinander Poundscher politischer Ökonomie - Jefferson, Douglas, Mussolini - ist seit Cantus 85 stets unter dem Gesichtspunkt des neukonfuzianischen Mystizismus von Chu Hsi betrachtet worden. Hier findet sich erstmals - und wiederholt -die Zeile «Die Dynastie entstand auf Grund großer Sensibilität» sowie das damit verbundene Zeichen ling. Beides kehrt im letzten Abschnitt des Gedichtes immer wieder. Ling ist etwas, das nicht gelehrt werden kann, man kann es nur lernen. Pound übersetzt es als «Sensibilität» (um es von «korrektem» Wissen, richtigen Ideen oder anderen intellektuellen Werten zu unterscheiden). Es könnte als «vom Gesetz des Sinnlichen geprägtes Empfinden» bezeichnet werden, falls dieser Reichsche Begriff allgemein bekannt und verständlich wäre. Konfuzius sagt: «Es ist, wie wenn man einen faulen Geruch haßt und das als Respektieren seiner eigenen Nase> bezeichnet.» Es ist der sichtbare Mangel dieser Tugend, die zur allgemeinen Häßlichkeit und Gemeinheit der usurokratischen (von Kapitalisten beherrschten) Zivilisation führt. Pound bemerkt dazu in Cantus 100: «wiederholt unsaubere Art, lärmig und eure Herzen arm an Liebe.»

Die Dynastie (die Yin-Dynastie, falls man das wissen muß) entstand laut Konfuzius, weil ling - Sensibilität - sie im voraus existent gemacht hatte. Pound zitiert dies wiederholt, weil er klarmachen will, daß er - im Gegensatz zu den meisten Utopisten - nicht glaubt, daß die Reform der Welt bloß eine Sache des allgemeinen Akzeptiertwerdens seiner eigenen politischökonomischen Gedanken sei. Ehe sich «bürgerliche Ordnung» manifestieren kann, muß zunächst das höhere Bewußtsein, subtile Sensibilität in Erscheinung treten. Diese Sensibilität ist offensichtlich eine Funktion von l'amor.

Betrachten wir das /mg-Zei-chen nochmals, so finden wir in dessen Mitte ming. Die chinesischen Wörterbücher zeigen uns dessen Bedeutung: ein tanzender Schamane oder ein Fruchtbar-keitsritual. Hugh Kenner übersetzt dies eindeutig als «Hexerei, ''Zauberei». Die Feststellung, daß der Kultur die Existenz einer Religion vorausgeht, ist recht abgegriffen. Pound ging einen Schritt weiter und versuchte uns aufzuzeigen, welche Art Religion der menschlichen Kultur vorausgegangen war. In zerlegten Sätzen geschrieben (um mehr Nachdruck zu erlangen:   die fehlenden Wörter zwingen den Leser, die «Gestalt» zu vervollständigen), definiert Pound gegen den Schluß das Thema des Cantus mit nachdenklichen Worten:

For something not brute force
in government
and
To be men not destroyers.

Jene, die glauben, daß Pounds Verpflichtung gegenüber einer faschistischen Staatswirtschaft* eine Ergebenheit gegenüber faschistischer Politik bedeute, verfehlen das Ziel völlig. Es gibt in englischer Sprache kein feminineres, liebenderes Gedicht als diesen Cantus. Das Preisen der huldreichen Göttin nimmt nicht nur die heutige Yin-Revolution voraus, sondern ist die beißendste Absage an alle Macho-Werte, die in diesem Jahrhundert geschrieben worden ist.

___________

* Pound bezieht sich auf jenes berühmte Trinkgefäß, von dem es heißt, daß es direkt auf der Brust der Helena von Troja geformt worden sei. Es handelt sich somit um das schönste Trinkgefäß der Antike. «Schickliches Regieren ist wichtig», sagt Pound, «aber eine hübsche Frau ist bedeutender.»

- Mary Margaret Wildeblood, nach (ill)

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