Poststelle   Christie ärgerte sich auf dem Rückweg zu seiner Abteilung darüber, dass der Vorsteher so teilnahmslos und ohne Mitgefühl auf den Tod seiner Mutter reagiert hatte. Der Vorsteher war sich zweifellos routiniert und sachlich vorgekommen, einer, der sich vom Tod und so nichts bieten lässt. Ich bin debitiert worden, dachte Christie, die Doppelte Buchführung muss zur Anwendung kommen.

Dieses Debet konnte erst später am Vormittag ausgeglichen werden. Zu den niedrigeren Aufgaben Christies gehörte es, morgens die Post für seine Abteilung zu öffnen, und das hatte er wie gewöhnlich getan und sie dabei nach Bestellungen, Rechnungen und Anfragen/ Beschwerden sortiert. Die Lektüre der Beschwerden machte ihm am meisten Spaß. An diesem Tag gab es den neuesten von einer Reihe giftiger Beschwerdebriefe eines Gastronoms, der beim Roulett von Tapper's Warenrotationsprinzip Pech gehabt hatte: Die ihm zugeschickten Kuchen waren nicht nur altbacken, sondern wimmelten auch von Ungeziefer. In der Folge habe der Ruf von Skater's Restaurant gelitten, behauptete Mr. Skater, und er wollte Rache: In seinem ersten Brief hatte er tatsächlich sogar die abgedroschene Forderung nach dem Kopf des Generaldirektors gestellt, mit getrennter Post von einer zerknirschten Entschuldigung und der sofortigen Wiedergutmachung des unabsehbaren Schadens. Der heutige Brief, so hatte Christie mit einiger Enttäuschung festgestellt, bekundete einen gewissen Qualitätsabfall der Skaterschen Invektive. Er enthielt Einzelheiten über den kleinen Anteil der anstößigen Waren, der nicht verzehrt worden war, sowie die Kontrollnummern aller Schübe auf den Tabletts; dann flüchtete er sich frustrierend in eine nur nebulöse Beschreibung dessen, was denn nun genau passieren würde, falls sich die Firma Tapper nicht noch diesen Morgen von höchster Stelle aus telefonisch entschuldigte.

Christie beseitigte den Brief!

Christie durchsuchte seinen Papierkorb, fand den Umschlag von Skater's Restaurant und beseitigte auch den!

Niemand beobachtete ihn.

Bewusst beiläufig steckte Christie Malry den Brief wieder in den Umschlag, ließ ihn eine Minute liegen, schob ihn auf seinen Schoß, zückte sein Taschentuch, bedeckte den Brief, ließ beides in seine linke Hosentasche gleiten. Dort brannte der Brief für den Rest des Vormittags auf die wohl bekannte Weise. Heute Vormittag wird er nicht anrufen, Skater, dachte Christie.

Unten am Fluss bei der Hammersmith Bridge fütterte Christie ganz legal in seiner Mittagspause die Vögel mit dem Fett, das er von dem Viertelpfund Schinken ab-riss, den er sich in dem kleinen Laden neben dem Kino am Broadway gekauft hatte. Das Magere aß er. Spatzen hockten da auf dem Dach eines an der Mauer vertäuten Hausboots, Tauben auf dem Trottoir, und in der Luft kreisten Möwen und kreischten wie Möwen zu tun pflegen, doch ich wiederhole mich. Fettfingerig zerriss er auch Skaters Brief in viele Stücke und übergab sie im Verlauf einer halben Stunde der Ebbe, damit sie hinuntertrieben, vorbei an Harrods Lagerhaus, Grosvenor Bridge, Bugsbys Reach, Frag Island und all den anderen beziehungsreichen Stätten.

Sie fanden ihr Ende, die Stücke.

Skater hat es aufgeschoben, bis sein Mittagsgeschäft vorbei ist, dachte Christie, genau wie ich es mir gedacht habe. Jedes Mal, wenn das Telefon läutete, erwartete Christie, dass es Mr. Skater war. Um zehn nach drei war er es, und mit so jemand wie Christie wollte er sich nicht abgeben: Er verlangte den Generaldirektor. Christie verband ihn mit seinem Abteilungsleiter, Mr. Wischer. Wischers Spitznamen kannte Christie schon: Wichser. Skater war derart wütend, dass Christie seine Worte deutlich verstehen konnte, und zwar mühelos. Er begann mit der Frage, warum man auf seinen Brief hin nichts unternommen habe. Wischer sagte ihm, es sei kein Brief eingegangen. Um sich zu vergewissern, kam der Abteilungsleiter zu Christies Schreibtisch und durchsuchte ihn gründlich; dann setzte er die Suche auf den Schreibtischen von zwei anderen kaufmännischen Angestellten, seiner Sekretärin, seinem Assistenten und seinem Stellvertreter fort. Probiers doch mal unten bei Coldharbour Point, dachte Christie mit einigem Vergnügen, oder vielleicht sogar Gemeinheit.

Skaters aggressives Gebrüll, als man ihm sagte, es sei kein Brief eingegangen, war noch über mehrere Schreibtische hinweg zu hören; sein Vorschlag lautete, er würde (falls er dort wäre) Wischer defenestrieren.   - B. S. Johnson, Christie Malrys doppelte Buchführung. Berlin 2002 (Argon, zuerst 1973)

Organisation Verwaltung Post

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