Postmeisterin  Ich war in einer Sommerfrische, wie eben Sommerfrischen so sind: weder Wasser noch Wald noch Fische, rein gar nichts. Dafür war die Volkspartei stark vertreten, dann gab es einen Verschönerungsverein mit einem tüchtigen Leiter, eine Perlmutterindustrie und ein Postamt mit einer alten, langnasigen Postmeisterin. Also ein Ort wie eben andere auch.

Als ich mich nun an die vierzehn Tage den angenehmen und gesundheitsfördernden Wirkungen einer durch nichts gestörten Langeweile hingegeben hatte, spürte ich irgendwie, daß mich die Klatschweiber des Ortes und das, was für gewöhnlich als öffentliche Meinung bezeichnet wird, unter die Lupe nahmen.

Und da meine Briefe so auffallend gut zugeklebt ankamen, daß der Umschlag auf der Rückseite nur so von Gummiarabikum glänzte, sagte ich mir: Aha, da öffnet jemand deine Briefe, der Teufel soll diese Alte holen! Sie werden ja wissen, die von der Post sollen angeblich jeden Briefumschlag zu öffnen verstehen. Na, freu dich, sagte ich mir, setzte mich hin und schrieb mit meiner schönsten Handschrift: "Du Schreckgespenst von einer Postmeisterin, Du krummnasige Fuchtel, Du alte Schachtel, Du neugierige Tratsche, Du Schlange, Du Scheusal, Du Satansweib und so weiter. Mit vorzüglicher Hochachtung Johann Kubát." Hören Sie, unsere tschechische Sprache ist reich und präzis an Ausdrücken; im Nu hatte ich vierunddreißig Wörter zu Papier gebracht, die ein gerader und anständiger Mann einer Dame gegenüber anwenden kann, ohne persönlich oder gar zudringlich zu erscheinen; zufrieden klebte ich den Umschlag zu, schrieb meine eigene Adresse darauf und fuhr in die Nachbarstadt, um den Brief einzuwerfen. Tags darauf eilte ich zur Post und neigte mit holdestem Lächeln meinen Kopf zum Schalterfenster. "Frau Postmeisterin", flötete ich, "ist für mich ein Brief da?" - "Ich werde Sie verklagen, Sie niederträchtiger Mensch", zischte sie mit dem wütendsten Blick, den ich je gesehen habe.

"Aber, Frau Postmeisterin", entgegnete ich gefühlvoll, "haben Sie etwa Unerfreuliches erfahren?"  - Karel Čapek, Der gestohlene Kaktus. Frankfurt am Main 1969 (zuerst ca. 1930)

 

Meisterin Post

 

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