Postkarte  Ich begab mich in die Küche, entnahm meiner Tasche eine Kunstpostkarte mit einem Bild von Egon Schiele, das eine Frau mit weit gespreizten Beinen zeigte, steckte sie in einen Umschlag und adressierte ihn an Marie in Leipzig; auf die Postkarte schrieb ich kein einziges Wort. - Am Morgen, in der Zeit zwischen vier und fünf, trug ich die Karte zum Briefkasten; die Nacht über hatte ich mich durch die zahllosen Fernsehprogramme geschaltet, wobei ich immer wieder im Sessel eingeschlafen war ... es gab kein einziges Bild auf dem Fernsehschirm, das mit der Wahrheit oder der Wirklichkeit des Lebens auch nur das geringste zu tun hatte.  - Wolfgang Hilbig, Der dunkle Mann. In: W.H., Der Schlaf der Gerechten. Frankfurt am Main 2003

Postkarte (2) Auf einer Postkarte ein Lebenszeichen aus Kalkutta schicken. Kalkutta sehen und weiterleben. In Kalkutta sein Damaskus erleben. Lebendig wie Kalkutta. Sich in Kalkutta (im Kalitempel, dort, wo die Zicklein geopfert werden und der Baum voller Wunschsteine hängt, die nach Kindern, immer mehr Kindern schreien) den Schwanz abhacken. In Kalkutta, eingesargt unterm Moskitonetz, von Kalkutta träumen. In Kalkutta verloren gehen. Auf einer unbewohnten Insel ein Buch über Kalkutta schreiben. In Gesellschaft Kalkutta ein Beispiel nennen. Den Raum Frankfurt/Mannheim als Kalkutta erfinden. Unartige Kinder, Frauen, die wie Ilsebill nie zufrieden sind, und nur noch termingerechte Männer nach Kalkutta verwünschen. Einem jungen Paar als Ziel der Hochzeitsreise Kalkutta empfehlen. Ein Gedicht schreiben, das Kalkutta heißt und dem Fliegen Punkt Komma Strich setzen. Alle Vorschläge zur Sanierung Kalkuttas von einem Komponisten vertonen und in Kalkutta als Oratorium (gesungen von einem Bachverein) uraufführen lassen. Aus Kalkuttas Widersprüchen eine neue Dialektik entwickeln. Die UNO nach Kalkutta verlegen.  - (but)
 
 

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