Poetin  Es war lange her, daß ich sie geboren hatte, kurz hintereinander innerhalb von zwei Jahren. Es war das Ergebnis einer wahnwitzigen archäologischen Expedition und einer meiner grandiosen Fehleinschätzungen, was Menschen betrifft. Ich war ein junges Ding von neun-undzwanzig Jahren, Jungensschnitt, mager, aber wunderschöne Augen und Beine. Noch ein richtiges Mädchen. (Ganz zu Anfang, als wir uns alle noch nicht kannten, hockte ich einmal mit einem Kind hinter einem Stein, wir betrachteten einen Fund von ihm, einen verrosteten Klumpen, er trat zu uns und sagte: «Jungs, was macht ihr denn hier?» Ich hob den Kopf, er erkannte mich und schluckte.) Damit fing alles an: Tage und Nächte des Glücks, als ich - eine Poetin -gerade das Pädagogische Institut verlassen hatte und "aus der Redaktion gefeuert worden war wegen der Affäre mit einem verheirateten Künstler, Vater von drei Kindern, die ich ernsthaft hatte großziehen wollen, ich dumme Gans. Doch seine Frau war sofort zur Stelle: Schämen Sie sich nicht?, und rannte zum Chefredakteur. Im Handumdrehen erhielten sie die lange zugesagte Dreizimmerwohnung (sie lebten alle in einem Zimmer, zusammen mit der Mutter seiner sogenannten Frau, in meinem Zimmer aber konnte er arbeiten, auch wenn meine Mutter ihm wiederum wilde Vorwürfe machte, daß er mir auf der Pelle säße, ohne mich zu heiraten, immer dieselbe alte Leier!) - nach meinem Rausschmiß aus der Zeitung also fuhr ich mit einer archäologischen Expedition in weite, weite Fernen. Und das Ergebnis war: Andrej und Aljonuschka, meine beiden Engelskinder, wieder alle in einem Zimmer, und meine Mutter in dem ihrigen, wie der standhafte Zinnsoldat! Wir lebten ein bißchen, sahen uns die Realität an, mein Mann hatte eine großartige Scheidung in der Stadt Kuibyschew, seine Frau kam angereist, um meinen dicken Bauch zu sehen, das heißt, er macht die Tür auf, und da steht sie mit dem fünfzehnjährigen Sohn: Wir müssen reden. Sie kommen rein, sie haut mir eine runter, zerschlägt die Fensterscheibe, ritzt sich mit einer Scherbe die Vene auf, überall Blut, er hält sie in den Armen, sein Sohn ist bleich und schreit: Rühr meine Mutter nicht an! Meine Mutter steckt ihre Nase zur Tür herein, sieht den ganzen Schlamassel, bringt eine Binde (sie ist geizig, also war es sicher die alte, gewaschene Binde, mit der sie sich die Beine wickelt). Dann brachte sie die beiden zu sich, schenkte ihnen Tee ein, und er und ich saßen wie zwei schnäbelnde Tauben in meinem Zimmer, nur gut, daß seine frühere Frau dazwischengekommen war, denn mit uns stand's schlecht, er war ins Zweifeln gekommen und sehnte sich nach seinem Sohn, nach seinem Zuhause. Die Arbeit? Von wegen, Archäologen verdienen ja kaum etwas, und dazu mein Bauch und die Alimente. Er war nur noch Haut und Knochen. Und da kam sie dazwischen und wendete alles zum Guten, die Kluge. Wenn Frauen etwas zerstören wollen, was für Wunder können sie doch vollbringen! Alles ist zusammengebrochen, aber hast du nicht gesehen, wächst schon was Neues, und auch die Zerstörerin sammelt ihre Knochen wieder auf und lebt weiter. Genau wie bei mir, ich bin ganz genauso, für die anderen.   - Ljudmila Petruschewskaja, Meine Zeit ist die Nacht. Aufzeichnungen auf der Tischkante.  Berlin 1991 (zuerst 1990)
 
 

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