Poesie und Prosa    Prosa hat mit der Tatsache eines Gefühls zu tun, Dichtung mit der dynamischen Umwandlung von Gefühl in eine eigene Form. Das ist die Kraft der Imagination.

Prosa: Feststellung von Tatsachen, welche Gefühle betreffen, von intellektuellen Zuständen, allen möglichen - technische Ausführungen, Jargon aller Art - fiktiv und sonstwie -

Dichtung: neue Form, bei der man es mit einer Wirklichkeit für sich zu tun hat.

Die Form der Prosa ist die genaue Behandlung ihres Gegenstands - wie man am besten die vielfältigen Zustände ihres Stoffs darstellt

die Form der Dichtung bezieht sich auf die Bewegungen der Imagination, wie sie sich in Wörtern offenbaren - oder was es auch immer sein mag - die Scheidung ist vollständig

Warum sollte ich weiter gehen, als ich vermag? Reicht es Ihnen nicht, daß ich vollkommen bin?

Die Scheidung zieht sich durch alle Phasen der Erfahrung. Der Schritt von der Prosa zum Prozeß der Imagination ist der nächste große Sprung der Intelligenz - von den Vorspiegelungen gegenwärtiger Erfahrung zu den Tatsachen der Imagination -

das deutlichste Merkmal des gegenwärtigen Zeitalters ist, daß es schal ist - schal wie Literatur -     - William Carlos Williams, Frühling und Alles, nach (wcw)

Poeesie und Prosa (2)  Das Wesen des Unterschieds zwischen dem, was als Prosa und dem, was als Gedicht bezeichnet wird, ist nicht in der Betrachtung der metrischen Merkmale zu suchen, wie sie sich im Nebeneinander der Wörter ergeben. Es wäre lächerlich zu sagen, daß das Gedicht zur Prosa herabsinke, je weniger es vom Rhythmus bestimmt sei, also: daß das Gedicht sich von Prosa dadurch unterscheide, daß eine größere Betonung auf dem Metrum liege, die Bewegung leidenschaftlicher sei und daß die sogenannte rhythmische Prosa einen Mittelplatz zwischen Gedicht und Prosa einnehme.

Es ist richtig, daß bei Gedichten eine stärkere Rhythmisierung wahrscheinlicher ist als bei dem, was wir Prosa nennen; aber zu sagen, dies sei irgendein Indiz, um die beiden in ihrem Wesen zu unterscheiden, liefe mit Sicherheit auf den Fehler hinaus, vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen, was hieße, daß - wenn ein Gegenstand ein bestimmtes Merkmal besitzt - auch die Kraft, die ihn formte, sich stets durch dieses Merkmal definiert.

Natürlich bleibt uns gar nichts anderes übrig, wenn wir Prosa vom Gedicht unterscheiden wollen, als zu dem einzig verfügbaren Mittel zu greifen, nämlich dem äußeren Erscheinungsbild. Aber ein Gegenvorschlag soll gemacht werden, und zwar: daß das Gedicht seinem Wesen nach etwas sei, das es auch ohne jegliche metrische Betonung geben kann, und daß Prosa andererseits stark rhythmisch sein kann - kurz, daß das Metrum mit der Frage überhaupt nichts zu tun hat.

Selbstverständlich kann man sich fragen: wenn der Unterschied zwar spürbar ist, aber weder für das Auge noch für das Ohr zu erkennen - was soll er dann überhaupt? Auch kennte man folgern: wenn nach meinem Vorschlag kein erkennbarer Unterschied zwischen Prosa und Gedicht besteht, dann gibt es ihn aller Wahrscheinlichkeit auch nicht, und beides sind nur Zustände einer und derselben Sache.

Doch gibt es - einfach gesagt - einen sehr deutlichen Unterschied zwischen beidem, der sich möglicherweise aus der Verschiedenheit ihres Ursprungs ergibt, wobei das eine wie das andere gleiche Mittel für ungleiche Zwecke benutzt: das Gedicht geht für gewöhnlich mit einem Metrum einher, aber nicht immer; und Prosa weist meist keines auf, aber dies auch nicht immer.

Immerhin erkläre ich mir damit einige der besten Werke, die ich heute sehe, und auch einige der bemerkenswertesten Mängel, die ich entdecke. In der Dichtung suche ich nach >etwas<, das mich in einer bestimmten Weise bewegt - Es liefert einen Hinweis, warum manches von Whitman schlechte Dichtung ist und anderes, im gleichen Versmaß, Prosa.

Am praktischsten wäre es, herauszufinden, ob ein Werk diesen oder ob es jenen Ursprungs ist. Wenn wir ein Werk entdecken, wird es - Falls es Dichtung ist, dann bedeutet es das eine und nur das eine - und wenn es Prosa ist, dann bedeutet es das andere und nichts sonst. Alles übrige stiftet nur Verwirrung, ist lächerlich und nichts als schlechte Angewohnheit.   - William Carlos Williams, Frühling und Alles, nach (wcw)

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