Fius VII. war so lange vor dem Portal gegenüber dem Elysée-Palast liegen geblieben, daß er eingeschlafen war.

Als er nun wieder wach wurde, gaukelten Tausende von Libellen vor seiner Nase herum, und vor seinen Füßen ringelte sich eine Schlange. Es war Mai geworden, Paris war eine verödete Stadt, Salbei und Rosmarin sprossen aus dem Straßenpflaster, und ein Dutzend Gladiolen versperrten den Zugang zum Eiysée-Palast.

„Was tue ich hier eigentlich?" fragte sich Pius VII.

Und mit den Händen in den Hosentaschen, die Marseillaise vor sich hin pfeifend, ging er davon. Waren die Vögel Pazifisten, oder hatten sie schon lange niemanden mehr pfeifen hören?

Das wußte kein Mensch, doch Pius VII. stellte fest, daß sie beim Hören dieser kriegerischen Weise flugs in weniger martialische Gegenden flüchteten.

Er lief quer durch ganz Paris, ohne anderen Lebewesen zu begegnen als zwei mächtigen spanischen Stieren, die auf dem Boulevard Magenta grasten und von einem friedfertig dreinblickenden Feuerwehrhauptmann gehütet wurden, der dabei Strümpfe strickte, die, nach ihrer Größe zu urteilen, sicherlich nicht für einen Menschen bestimmt waren. Bei Sonnenuntergang gelangte er ans Ufer eines Flusses, der vielleicht die Seine, vielleicht aber auch die Saône war. Da er müde war, legte er sich auf das Wasser und ließ sich treiben. Die Strömung trug ihn seinem Schicksal entgegen, das sich ihm in Gestalt zweier Tümmler offenbaren wird, die eigens an die Küste des Mittelmeeres kommen und ihn morgen früh beim ersten Hahnenschrei an den Füßen ziehen werden. Seine Füße werden so dünn wie ein Blatt Papier und so lang wie ein Torpedoboot werden. Das wird ihm erlauben, noch vor Mittag im Vatikan einzutreffen, gerade rechtzeitig, um seine Messe für die Seelenruhe der Bäckerin zu lesen.

Doch was treibst du da, Unseliger? Die Bäckerin ist gar nicht tot! Diese Schnepfe, die dort auf einem Balken des Kruzifixes sitzt und ein ohrenbetäubendes Geschrei ausstößt, das ist sie, und sie wünscht dir einen guten Tag und die ewige Glückseligkeit. Du hast alles, was du brauchst, um glücklich zu sein, Papst: den Vatikan und die Bäckerin! Was soll ich jetzt noch mit dir machen? Nichts... Na, dann adieu. - Benjamin Péret, Es war einmal eine Bäckerin ... , in: B. P., Die Schande der Dichter. Prosa, Lyrik, Briefe. Hamburg 1985 (Edition Nautilus)

 

 

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