Pissoir    »O Hexe der Nacht, wimmernd am Dorn! Fäule im Mehl, Mehltau im Korn!« sagte der Doktor. »Bitte verzeih den Gesang und die Singstimme, Beides war besser, bevor Ich meine Niere linker Hand für Frankreich im Feld lassen mußte. Und nun habe ich mich um die halbe Welt gesoffen und dieses Land verflucht, das mich ausgenommen hat; müßte ich es noch einmal tun - denn ein herrliches Land ist es eben doch -, dann lieber als jenes Mädchen, das hinter der Truppe herumlungert, oder bei den Bergbauern droben, womit ich mich ein wenig von meiner Weisheit ausruhen will, bis ich darauf zurückkommen kann. Ich komme nämlich auf etwas: Misericordia! Bin ich denn nicht das Mädchen, das wissen sollte, wovon es redet? Unsere Natur läßt uns zu unseren Häusern finden. Und unsere Natur, welcher Art sie auch sei -: mit ihr müssen wir vorliebnehmen. Was mich betrifft - wie Gott midi nun einmal gemacht hat -, mein Haus ist ein Hafen: das Pissoir. Ist es meine Schuld, daß ich dazu berufen wurde? Daß dies mein letzter und seltsamster Ruf ist? - Zu früheren Zeiten war ich vielleicht ein Mädchen in Marseiile, das es mit einem Matrosen trieb, stoßweise gegen die Hafenmole, und diese Erinnerung mag es sein, was mich verfolgt. Die Weisen behaupten, daß die Erinnerung vergangener Dinge das einzige sei, wovon wir die Zukunft bestreiten müßten: nun, bin ich daran schuld, daß ich dieses Mal als etwas zum Vorschein gekommen bin, was ich nicht hätte sein sollen? Daß es ein hoher Sopran war, was ich wollte? Dichte, weizenblonde Locken bis zum Gesäß, einen Schoß, so ungeheuer wie des Königs Küchenkessel, und einen Busen so hoch wie der Bug eines Fischkutters? Und was habe ich? Ein Gesicht wie der Hintern eines Kindergreises! Sage selbst: habe ich vielleicht Glück gehabt?

Jehova, Zebaoth, Elohim, Eloi, Heiion, Jodheva, Schaddai! Gebe Gott, daß wir alle auf unsere Fasson selig werden! Ich treibe mich in den Pissoirs herum, so ungezwungen wie die Marie von der Alm ihre Kühe zur Tränke treibt, und -beim höllischen Spieß! - den gleichen Wunsch habe ich auch bei einem Mädchen festgestellt. Aber darauf komme ich noch zurück. Ich habe mein Schicksal beim Schwatzen verspielt, wie schließlich jedermann zu neunzig Prozent, denn: was auch immer ich tue: unter meinem Herzen lebt der Wunsch nach Kindern und Strickzeug. Mein Gott, nichts Besseres hätte ich mir gewünscht, als eines braven Mannes Kartoffeln zu kochen und ihm, genau nach dem Kalender, alle neun Monate ein Kind zu werfen. Ist es meine Schuld, daß mein einziger Kamin ein öffentlicher Ort ist? Und daß ich meinen Wollshawl, meine Pulswärmer und meinen Regenschirm an nichts Besserem aufhängen darf als an einem Stück Blechzaun, der mir bis zu den Augen reicht, und mich dabei beherrschen muß, daß mir, was immer auch geschehe, die Wimperntusche nicht davonlaufe? Und meinst du denn, daß mich diese runden Häuschen nicht in erheblichen Zwist verwickelt hätten? Hast du einmal hingeschaut, wenn die Nacht sich senkte? Hast du es gesehen? Ist dir aufgefallen mit was es vergleichbar wäre? Der eine runde Rück-ken und seine hundert Beine? Mit einem Tausendfüßler! Und du siehst hinab und du suchst dir deine Füße aus, und, zehn zu eins, du findest so einen Vogel mit einem lockeren Flügel, oder eine alte Ente mit einem Holzknie, oder etwas, was schon seit Jahren Trauer anlegt. Was? Ich habe mich mit anderen gestritten, an langen Tischen, ganze Nächte hindurch, über die besonderen Vorzüge des einen Bezirkes gegenüber einem anderen - in diesen Dingen; des einen Häuschens gegenüber einem anderen, in diesen Dingen. Und glaubst du etwa, man hätte mir recht gegeben, oder irgend jemand hätte irgend jemandes anderen Meinung geteilt? Es herrschte Uneinigkeit, als hätten wir alle eine neue Regierungsform zu wählen. Hinz meinte Norden, darauf meinte Kunz Süden, und da saß ich nun zwischen den beiden und wurde wütend, denn schließlich habe ich den Doktortitel, bin Sammler, Radebrecher des Lateinischen und eine Art steinerner Sockel des Zwielichts und ein Physiognom, der sich vom falschen Zug im richtigen Gesicht nicht aus dem Geleise bringen läßt, und so sagte ich denn, der beste Hafen sei bei der Place de la Bastille, worauf ich von hundert Stimmen in Stücke gerissen wurde, und jede einzelne in der Tonlage eines anderen arrondissements, bis ich begann, um mich zu hauen, wie die gute Alte im Märchen, die in einem Pantoffel wohnt, und um Ruhe schrie.  -  Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1982 (zuerst 1936)

Bedürfnisanstalt

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme