Piepmatz  Er, Amsel, habe vor, etwas Widerspruchsvolles zu tun: einen Riesenvogel werde er als Vogelscheuche erstehen lassen - das Schaufenster in der Milchkannengasse voller ausgestopft Animalischem habe ihn angeregt, besonders der Adler auf dem Lamm.

Heilig lächerlicher Moment der Inspiration: Engel tippt gegen Stirn. Musen mit ausgefranstem Kußmund. Planeten im Wassermann. Ein Ziegelstein fällt. Das Ei hat zwei Dotter. Der Aschenbecher ist überfüllt. Es tropft vom Dach: Zelluloid. Kurzschluß. Hutschachteln. Was um die Ecke biegt: Der Lackspangenschuh. Was ohne Klopfen eintritt: Die Barbarina, Eiskönigin, die Schneemänner. Was sich ausstopfen läßt: Gott, Aale und Vögel. Was aus Bergwerken gefördert wird: Kohle Erz Kali Vogelscheuchen Vergangenheit.

Diese Scheuche entsteht wenig später. Auf Jahre ist sie die letzte, die Amsel baut. Denn als Schlußstück ist sie unter dem wohl ironisch gemeinten Titel «Großer Vogel Piepmatz» - nicht Amsel, sondern der Fährmann Kriwe hat den Namen, laut Vermerk, vorgeschlagen - in jenem Diarium als Konstruktionsskizze und Farbstudie überliefert, das in Brauxels Safe heute noch relativ sicher ist.

Lumpen - so ungefähr heißt es in dem Diarium - müssen mit Pech oder Teer bestrichen werden. Mit Teer oder Pech bestochene Lumpen müssen von außen, und wenn genug da ist, auch von innen, mit großen und kleinen Federn beklebt werden. Aber unnatürlich, nicht natürlich.

Dem geteerten und gefederten Großen Vogel Piepmatz standen, als er übermannshoch fertig war und auf dem Deich Aufsehen erregte, wahrhaft unnatürlich die Federn zu Berge. Er sah insgesamt gruslig aus. Die ausgekochtesten Fischerweiber flüchteten, weil sie meinten, man könne sich an dem Biest vergucken, einen Kröpf, ein starres Auge oder eine Fehlgeburt bekommen. Die Männer blieben zwar steif unc! vier-kant auf ihrem Fleck, ließen aber die Pfeifen kalt werden. Johann Lick-fett sagte: «Liebärchen, dam mecht ech nech jeschänkt jekriechtkriechen.»

Schwer fand sich ein Käufer. Dabei war er trotz Teer und Federn nicht teuer. Einsam und gegen den Himmel stand er am Vormittag auf dem Nickelswaldener Deich. Erst wenn die Fahrschüler aus der Stadt zurück waren, kamen einige wie zufällig den Deich entlang, machten aber in gehöriger Distanz halt, schätzten ab, waren der Meinung, scha-wieterten und wollten nicht kaufen. Keine Möwen vor wolkenlosem Himmel. Mäuse im Deich siedelten um. Die Weichsel konnte keinen Bogen machen, sie hätte sonst. Überall Maikäfer, nur nicht in Nickelswalde. Als der immer schon ein wenig überspannte Lehrer Olschewski, mehr aus Spaß am Vergnügen als um seine zwanzig Quadratmeter Vorgarten zu schützen, viel zu laut lachend Interesse zeigte - er nannte sich einen aufgeklärten Menschen - mußte der Große Vogel Piepmatz weit unter dem festgesetzten Preis verramscht werden. Transport auf Olschewskis Leiterwägelchen.

Zwei Wochen lang stand das Untier im Vorgarten und warf seinen Schatten auf das flache weißgetünchte Lehrerhäuschen. Kein Vogel wagte Piep zu machen. Seewind plusterte geteerte Federn. Die Katzen wurden hysterisch und mieden das Dorf. Die Schulkinder machten Umwege, träumten nachts feucht und erwachten mit Geschrei und weißen Fingerspitzen. In Schiewenhorst bekam Hedwig Lau schlimme Mandeln und obendrein plötzliches Nasenbluten.- (hundej)

Piepmatz (2)

Vogel Vogelscheuche


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