hobie  Svenn Torgersen gelang es 1979, die Phobien faktorenanalytisch in fünf große Gruppen aufzuteilen. Die erste ist danach die der Trennungsängste: Angst vor Reisen, vor vollen Räumen, vor Menschenmengen, vor Läden, vor dem Verkehr, vor der Einsamkeit zu Hause - alles Situationen, in denen man von seinen Bezugspersonen getrennt werden und verlorengehen könnte. Die zweite sind Tierängste: nicht die Angst vor einem bissigen Hund, der einen tatsächlich bedroht, sondern eine unerklärliche Angst vor Fröschen oder Ratten oder anderem Getier, das einem nie etwas zuleide getan hat. Die dritte Gruppe sind die Verstümmelungsängste, die viele Menschen davon abhalten, medizinische Hilfe zu suchen: die Angst vor Krankenhäusern oder Ärzten, vor Blut oder offenen Wunden oder Injektionen. Die vierte Gruppe bilden die sozialen Ängste: etwa die Angst davor, bei der Arbeit beobachtet zu werden oder mit Fremden zu essen. Die letzte Gruppe sind die Naturängste: vor Bergen oder dem Meer, vor Feuer oder Tunneln, Klippen oder Brücken.

In einer Untersuchung an 99 geschlechtsgleichen Zwillingspaaren, von denen mindestens ein Geschwister an einer solchen irrationalen Angst litt, konnte Torgersen nachweisen, daß gerade auch die Phobien eine erhebliche genetische Komponente haben. Ihre Erblichkeit liegt zwischen 47 und 53 Prozent. In der Hälfte der Fälle hat die eineiige Zwillingsschwester oder der eineiige Zwillingsbruder sogar genau die gleiche Phobie. Bei den Tierängsten handelt es sich vermutlich um nichts anderes als psychische Atavismen: Bei einigen Menschen kommt noch einmal eine der angeborenen Ängste unserer vormenschlichen Ahnen vor Schlangen oder Spinnen oder Nagetieren zum Durchbruch (die Schlangen- und Spinnenfurcht mancher Menschenaffen ist belegt). Es ist ja auch eigentlich seltsam, daß es keine vergleichbaren Phobien vor Steckdosen, Autos oder Gashähnen gibt, alles Dinge, die ein moderner Mensch viel eher fürchten lernen müßte - wenn diese Furcht eben gelernt würde.  - Dieter E. Zimmer, Experimente des Lebens. Zürich 1989 

Phobie (2)   Duffy konnte nirgends schlafen, wo es auch Uhren gab. Er konnte eine Armbanduhr hören, wenn sie auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers tickte. Ein Wecker funktionierte immer bei ihm - weil sein Ticken verhinderte, daß er überhaupt erst einschlief. Da er in einem Ein-Zimmer-Apartment (»offener Grundriß« hochstapelten die Immobilienmakler) wohnte, gab es keinen geeigneten Platz für Uhren. Was ihm an Zeitmessern ins Haus kam, wurde verpackt. Für Leute, die über Nacht blieben, stand im Bad eine Tupperwarebox mit der Aufschrift »Uhren«. Seine Küchenuhr hing, in eine durchsichtige Plastiktüte verpackt, draußen vor dem Küchenfenster, das Zifferblatt gegen die Scheibe gedrückt. Im Winter ließen sich manchmal Vögel darauf nieder und pickten, wohl weil sie das ganze für eine Art Fütterungsvorrichtung hielten, neugierig am Plastik herum. Dann kriegte die Tüte ein Loch, und Duffy mußte sich eine neue Uhr kaufen.

Noch mehr haßte Duffy Wecker, weil er Schweißausbruche kriegte, wenn sie losgingen; ihr panikmachender Ton fuhr ihm, bevor er noch recht erwacht war, in die Knochen, so daß er angsterfüllt zu Bewußtsein kam So konnte man den Tag nicht angehen lassen. Aus dem gleichen Grund konnte er morgendliche Weckanrufe nicht ausstehen und versuchte statt dessen, sich darauf zu trainieren, zu einem bestimmten Zeitpunkt von allein aufzuwachen. Manchmal klappte es, manchmal auch nicht. Es klappte oft genug, um ihn einmal dazu zu bewegen, den Hörer auszuhängen, damit ihn kein morgendlicher Anruf in Furcht und Schrecken versetzen konnte. Doch bei diesem Versuch mußte er feststellen, daß der Wählton nächtens durchs Zimmer brüllte wie ein Käfig voller Löwen. Dann erwog er den Kauf einer großen schalldichten Kiste, in der er nachts das Telefon versorgen konnte, kam aber zu dem Schluß, daß er wohl durchdrehen würde in einer Wohnung, wo alles, was Lärm verursachte - Telefon, Radio, Kühlschrank, Türklingel -, fein säuberlich in Kisten eingesargt war. Er kam zum Schluß, daß er sich wohl mit einem gewissen Maß an Angst abfinden mußte. - Dan Kavanagh, Duffy. München 2006 (zuerst 1980)

Phobie (3) man weiß, daß unglückliche menschen verdammt ordentlich sind, die schmutz-phobie eines roussel, der vor dem ersten weitkrieg kleidungsstücke nach einmaligem tragen wegschenkte, wird höchstens noch von derjenigen ludwig wittgensteins übertroffen, der, wenn er irgendwo zu besuch war, darauf bestand, das geschirr selbst zu spülen - mit einer von ihm mitgebrachten bürste.

roussel prämierte den drucker, der in seinen büchern einen fehler entdeckte. - bernd mattheus, der stern auf der stirn. Nachwort zu: Raymond Roussel, Afrikanische Impressionen. München 1980


Angst

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Abscheu

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