flegevater Einer
der anderen jungen Spitzbuben auf dem Bahnhof macht ihn auf „das schwule Paket"
aufmerksam. „Du, Hans, der hat neulich einem hübschen Jungen 20 Mark gegeben"
und der junge Grans, durchaus nur in der Absicht, Geld zu verdienen, macht sich
auf der Straße an den weit älteren Mann heran. Der nimmt ihn mit in seine Wohnung
Nikolaistraße 46 bei Kisserow. „Ich hatte zuerst einen Tik auf Hans. Aber als
ich ihn nackt sah, mochte ich ihn nicht. Er ist so behaart wie ein Affe. Wirklich,
Sie können mir es glauben; wie ein Affe sah Hans aus. Aber später hat er sich
alles abrasiert." Der Junge bleibt nun bei Haarmann wohnen, und es entwickelt
sich das merkwürdigste Verhältnis. „Er war wie mein Kind. Ich habe ihn gehalten
wie meinen Sohn. Ich habe ihn aus dem Sumpfe geholt und wollte nicht, daß er
wieder unter die Räder komme." Vier Jahre lang blieben die beiden befreundet.
Offenbar bestritt Haarmann den Lebensunterhalt des hübschen Jungen. Zeitweise
gab er dem Grans englische Zigaretten zu verkaufen; wenn der dafür mehr erhielt
als ihm von Haarmann in Rechnung gestellt wurde, so durfte er den Mehrerlös
für sich behalten. Das Verhältnis war wohl geschlechtlich; aber nicht nur geschlechtlich.
Denn alles, was an idealen Regungen in Haarmanns völlig roher Tierseele überhaupt
aufkommen konnte, das sammelte sich um den jungen Grans, und wenn man behauptet
hat, daß es lediglich das Bewußtsein der Mitwisserschaft an schlimmen Taten
und die Angst vor Verrat war, was Haarmann in späteren Jahren völlig unter die
Hörigkeit seines kindlich rücksichtslosen Quälers und geliebten Tyrannen brachte,
so muß man doch andererseits auch bedenken, daß Haarmann jederzeit den jungen
Schnösel hätte beseitigen können, wie er andere Mitwisser seiner Morde möglicherweise
beseitigt hat; (wie denn in der Tat die beiden oft einander gegenseitig mit
Polizei drohten ja, mit gezückten Messern „Mörder" schreiend, sich gegenüberstanden;
aber zuletzt doch immer weder zusammenkrochen.) -
Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925
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