Pflanzenspinne   Aus hundert Schritt Entfernung mochten sie ihnen noch als Gebüsch, als Sträucher vorgekommen sein, die voller großer grauer Vogelnester waren - weniger weil sie wirklich so aussahen, als vielmehr dadurch, daß die Augen ständig versucht waren, den fremden Formen etwas Vertrautes abzugewinnen.

»Könnten Spinnen sein«, sagte der Physiker zögernd, und alle glaubten auf einmal, spinnenartige Geschöpfe mit kleinen, dicht behaarten spindelförmigen Rümpfen zu sehen, die ihre überlangen, dürren Beine unter sich eingezogen hatten.

»Das sind doch Pflanzen!« rief der Doktor und trat langsam an eine solche hohe graugrüne »Spinne« heran. In der Tat erwiesen sich die »Beine« als dicke Stiele, deren verdickte und mit Härchen bedeckte Glieder leicht für Gelenke eines Gliederfüßers gehalten werden konnten. Sieben oder acht solcher Stiele liefen jedesmal oben bogenförmig in einem tannenzapfenartigen, dicken »Leib« zusammen, der an ein abgeflachtes Insektenhinterteil erinnerte und von zarten, in der Sonne glitzernden Spinnwebenstreifen umgeben war. Die »Pflanzenspinnen« wuchsen dicht nebeneinander, doch man konnte zwischen ihnen hindurchkommen. Da und dort sprossen aus den Stengeln hellere Schößlinge und Triebe, die fast die Farbe irdischen Laubs hatten und in zusammengerollten Knospen endeten. Der Doktor warf wieder einen Stein gegen einen der mehrere Meter über der Erde hängenden »Insektenleiber«, und als nichts geschah, untersuchte er einen Stengel, schnitt sogar mit dem Messer hinein. Ein hellgelber, wäßriger Saft sickerte in kleinen Tropfen heraus, begann sofort zu schäumen und färbte sich orange und rostrot, bis er nach einiger Zeit zu einem harzähnlichen Gerinnsel mit starkem Aroma erstarrte, das anfangs allen gefiel, sie dann aber abstieß.

In dieser eigenartigen Schonung war es etwas kühler als auf der Ebene. Die knolligen »Leiber« der Pflanzen warfen etwas Schatten. Er wurde immer dichter, je weiter sie in das Gebüsch vordrangen. Sie bemühten sich, die Stengel nicht zu berühren, vor allem nicht die weißlichen Triebe, in denen die jüngsten Schößlinge endeten; sie erregten nämlich bei ihnen einen unerklärlichen Ekel.

Der Boden war schwammig und weich und sonderte feuchte , Dünste aus, in denen das Atmen schwerfiel. Über ihre Gesichter und Arme glitten die Schatten der »Insektenleiber«, einmal höher, einmal tiefer, große und kleine. Diese »Leiber« waren entweder schlank und hatten grell orangerote Stacheln, oder sie waren welk, vertrocknet, abgestorben. Lange zarte Spinnweben hingen von ihnen herab. Wenn ein Windstoß kam, ging von dem Gestrüpp ein unangenehmes dumpfes Rauschen aus, nicht das sanfte Rauschen eines irdischen Waldes, sondern mehr ein Rascheln von Tausenden und aber Tausenden rauher Papierfetzen. Mitunter versperrten ihnen einzelne Pflanzen mit ihren verflochtenen Trieben den Weg, und sie mußten erst einen Durchgang suchen. Nach einer Weile gaben sie es auf, nach oben zu den stachligen »Leibern« zu blicken und in ihnen Ähnlichkeiten mit Nestern, Tannenzapfen oder Kokons zu suchen.   - Stanislaw Lem, Eden. Roman einer außerirdischen Zivilisation. München 1974

Pflanze Tiere, gemischte

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