ensionär  »Also hören Sie: mein Mann ist pensionierter Polizist. Eines Tages lief er einem Dieb bis in den vierten Stock eines Wohnhauses nach. Oben angelangt, sah der Dieb, da gibt es kein Entkommen, es sei denn, er überwältigte seinen Verfolger. Und so drehte er sich rasch um, packte meinen Mann an der Gurgel und warf ihn die Treppe hinunter. Der Dieb entkam. Mein Mann blieb bewußtlos liegen. Erst im Krankenhaus, viele Stunden später, erwachte er wieder zum Bewußtsein. Die Verletzungen waren schwer, aber nicht unheilbar. In einer Nacht fing er aber plötzlich an zu bellen, furchtbar zu bellen, wie es heißt, viel schlimmer als jetzt.« Frau Ermenegilda weinte wieder laut und rief: »Der Unglückliche, aber er hätte es mir auch sagen müssen! Ich bin erst seit ein paar Jahren mit ihm verheiratet und schon viel länger ist er ein Werwolf.« Die Frau konnte nicht weiter. Sie mußte aus dem Zimmer. Sie schloß sich ab, und erst drei Tage später, nachdem in der Nacht von Herrn Braccioletti ganz wild gebellt wurde, bat ich sie, die Erzählung fortzusetzen. Nun tat sie es viel stiller und gefaßter: »Mein Mann wurde aus dem Hospital entlassen, man stellte ihn abermals als Wache ein. Oft aber bellte er wieder des Nachts. In der Wachtstube entsetzte man sich darüber, niemand konnte schlafen. Mein Mann wußte am Morgen nichts davon. Man fing an, ihn für einen Schwindler zu halten. Er kam zurück ins Lazarett. Da er nur bei raschen Witterungsumschlägen und jedes Mal zur Tag- und Nachtgleiche bellt, so entließ man ihn. Er kam zurück in seinen Beruf; nachdem er weiter bellte, wieder ins Lazarett; schließlich ergab es sich, daß er auch dort bellte. Es war diesmal um den einundzwanzigsten März.« (Als mir Frau Braccioletti dieses erzählte, schrieben wir tatsächlich den 24. März.) »In keinem Buch der Wissenschaft weiß man etwas vom Werwolf. Trotzdem behaupteten viele, die ihn bellen hörten, er sei davon besessen. Die Ärzte aber hielten ihn für einen Simulanten. Schließlich wurde der Arme ohne Pension entlassen. In keiner Stellung konnte er jedoch verbleiben. Zwei Jahre lang lebte er in ärgster Not. Einmal, zu einer Parade, die der Graf von Turin auf dem Marsfelde abnahm, übergab er eine Bittschrift dem hohen Herrn. Er wurde von den Umstehenden zurückgestoßen. Nach ein paar Tagen aber wurde auf allerhöchsten Befehl das Verfahren wieder aufgenommen. Es wurde festgestellt, daß er kein Simulant war. Er bekam eine Pension, und das machte ihn übermütig. Beinahe sechzigjährig, wollte er heiraten. Er lernte mich kennen, und ich nahm ihn.  - Theodor Däubler, Der Werwolf. In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Hg. Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990 (st 1595, zuerst 1921)

Pensionär (2)  »Wie gefällt es Ihnen auf dem Mars, Opa?«

»Gut. Gibt immer etwas Neues. Als ich letztes Jähr raufkam, hab ich keine großen Dinge erwartet und keine Ansprüche gestellt und wollte mich auch nicht überraschen lassen. Wir müssen die Erde vergessen, wir müssen vergessen, wie es da unten war. Wir müssen uns ansehen, was wir hier haben und wie anders alles ist. Das Wetter zum Beispiel. Schon das Wetter macht mir hier verdammt Spaß. Ist eben marsianisch.es Wetter. Heiß wie die Hölle am Tage, kalt wie die Hölle in der Nacht. Ich beschäftige mich viel mit den andersartigen Blumen und dem andersartigen Regen. Ich wollte mich auf dem Mars zur Ruhe setzen, mir ein Plätzchen suchen, wo alles anders ist. Ein alter Mann braucht das. Das junge Volk will nichts mehr von ihm wissen, und seine Altersgenossen langweilen ihn zu Tode. Also hielt ich es für das beste, mir ein Fleckchen zu suchen, das so anders ist, daß ich nur die Augen aufzumachen brauche und schon etwas zu sehen habe. Hier die Tankstelle hab ich mir besorgt. Wenn das Ges'chäft zu lebhaft wird, suche ich mir weiter oben eine andere alte Straße, auf der es noch ruhiger ist und wo ich ausreichend verdiene und noch Zeit habe, all das Fremde in mich aufzunehmen.«

»Sie machen's richtig, Opa«, sagte Tomàs. Seine braunen Hände ruhten locker auf dem Steuerrad. Er fühlte sich wohl. Er hatte zehn Tage hintereinander in einer der neuen Kolonien gearbeitet und hatte jetzt zwei Tage frei und war auf dem Weg zu einer Party.

»Mich überrascht gar nichts mehr«, sagte der alte Mann. »Ich sehe mich nur um. Ich registriere. Wenn man den Mars nicht so nehmen kann, wie er ist, sollte man gleich wieder zur Erde fliegen. Hier oben ist alles verrückt — der Boden, die Luft, die Kanäle, die Eingeborenen (ich hab noch keine gesehen, aber es sollen sich ja noch welche herumtreiben), die Uhren. Sogar meine Uhr ist komisch. Auch die Zeit ist völlig verdreht. Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich ganz allein, als gäbe es außer mir keine Seele auf dem ganzen verdammten Planeten. Ich könnte in solchen Momenten glatt wetten, allein zu sein. Manchmal komme ich mir etwa acht Jahre alt vor, ganz winzig zusammengequetscht, und alles ist riesig. Mein Gott, hier ist wirklich der richtige Ort für einen alten Mann. Hält mich munter und zufrieden.« - Ray Bradbury, Die Mars-Chroniken. München 1974 (Heyne 3410, zuerst 1950)

Pensionär (3)   Ein Däne, namens Draakenberg, geboren 1626, diente bis in sein 91. Jahr als Matrose auf der königlichen Flotte und brachte 15 Jahre seines Lebens in der türkischen Sklaverei, und also im größten Elend zu. Als er 111 Jahre alt war und sich nun zur Ruhe gesetzt hatte, fiel's ihm ein, doch nun zu heiraten, und er nahm eine sechzigjährige Frau; diese aber überlebte er lange, und nun in seinem 130. Jahre verliebte er sich noch in ein junges Bauernmädchen, die aber, wie man wohl denken kann, seinen Antrag ausschlug. Er versuchte sein Heil nun noch bei mehreren; da er aber nirgends glücklicher war, so beschloß er endlich ledig zu bleiben und lebte so noch 16 Jahre. Erst im Jahre 1773 starb er im 146. Jahre seines Alters. Er war ein Mann von ziemlich heftigem Temperament. - (huf)

Pensionär (4) Monsieur Traum setzt sich an den Eisentisch, auf dem der Band Vergil liegengeblieben ist, und zieht die Rechnungen wieder aus seiner Tasche. Ist er während seines Kaffees oder danach nicht eingedöst, kommt es vor, daß er jetzt eindöst. Das geht ganz einfach vor sich. Sei es, daß er Anmerkungen auf einer Rechnung macht, sei es, daß er keine macht, nach einer kurzen Prüfung sinkt sein Kopf plötzlich vornüber. Er hebt ihn wieder und blickt um sich, die alte Gewohnheit des Beamten, der sich beobachtet fühlt. Er macht sich wieder ans Prüfen oder an seine Anmerkungen, doch sein Kopf sinkt wieder vornüber. Da trifft Monsieur Traum, der jetzt im Ruhestand lebt und von niemandem mehr beobachtet wird, von der Müdigkeit übermannt und seine letzten Skrupel unterdrückend, die köstliche Entscheidung sich am Tisch zusammengesunken, den Kopf in der Armbeuge, dem Schlummer zu überlassen. Es kommt vor, daß er eine halbe Stunde schläft. Dann wacht er auf, sagt etwas Haltung bitte und nimmt einen Augenblick seine Rechnungen wieder oder steht auf und macht die Runde durch den Garten, doch ohne etwas zu sehen.   - (rp2)

Pensionär (5) Onkel Hieronymus verließ schon jahrelang nicht mehr sein Zimmer. Seit der Zeit, da die Vorsehung ihm das Ruder des zerschellten und auf eine Sandbank gelaufenen Lebensschiffchens sanft aus der Hand genommen hatte, führte er auf dem Streifchen zwischen dem Flur und dem dunklen Erker, das man ihm zugewiesen hatte, das Leben eines Pensionisten.

In einem langen, bis auf die Erde reichenden Schlafrock saß er in der Tiefe des Erkers und wurde mit einem schier phantastischen Bartwuchs überzogen. Ein langer pfefferfarbener (in den Enden der langen Zotteln freilich weißer) Bart umrankte sein Gesicht, reichte bis auf die halben Wangen und ließ nur die Habichtsnase und seine zwei Augen frei, deren weiße Äpfel im Schatten der buschigen Brauen kreisten.

In diesem dunklen Erker, einem engen Gefängnis, das ihn wie einen großen raubgierigen Kater dazu verurteilte, vor der großen Glastür zum Salon hin und her zu gehen, standen zwei große Eichenbetten, die Nachtlager des Onkels und der Tante, während ein großer, undeutlich in der dunklen Tiefe schimmernder Gobelin die ganze hintere Wand bedeckte. Wenn die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, tauchte zwischen Bambus und Palmen ein gewaltiger Löwe auf, dräuend und düster wie ein Prophet und majestätisch wie ein Patriarch.

Rücken an Rücken sitzend, wußten der Löwe und Onkel Hieronymus haßerfüllt voneinander. Ohne sich eines Blickes zu würdigen, drohten sie einander mit entblößten, gefletschten Hauern und schrecklich knurrenden 'Worten. Mitunter stellte sich der Löwe, aufs äußerste gereizt, auf die Vorderbeine, streckte den Hals vor und sträubte die Mahne und ließ sein fürchterliches Gebrüll rings um den düsteren Horizont kreisen.

Darauf übertraf ihn Onkel Hieronymus wieder durch eine prophetische Tirade, und sein Gesicht wurde erschreckend von den großen Worten modelliert, die es anschwellen ließen, während sein Bart begeistert wogte. Da verengte der Löwe schmerzlich die Pupillen, wandte langsam den Kopf ab und rollte sich unter der Wucht des Gotteswortes zusammen.   - Bruno Schulz, Dodo. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966

Mann, alter Ruhestand Alte

  

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