endel
 

 

- " A nick of time": Tomi Ungerer's Kompromisse. Zürich 1982 (kunst-detebe 26070, zuerst 1970)

Pendel  (2)

- Charles M. Schulz, You've done it again, Charlie Brown. London 1971 (Hodder Fawcett Coronet Books, zuerst ca. 1958)

Pendel  (3)  Ich streckte mich aus und öffnete das Buch. Der holprige Teil des Tages war nun vorbei. Wie mochte man ihn ertragen haben, als es noch keine Bücher gab? Der Sultan senkte sein Haupt in die Schüssel - ich sah den Magier lächeln, sah das blöde Staunen der Trabanten, die im Kreis standen. Sie hatten die Hand am Schwertgriff bis auf den einen, der den Turban des Sultans hielt. Dann hörte ich das Meer brausen und trat auf seinem Grunde die Wanderung an.

Die Bilder waren stark und unmittelbar: unreflektiert. Bislang hatten sie geleuchtet wie das Licht in einem Spiegel - nun sah ich das Licht selbst und ganz nah. Ich hatte den Text gelesen wie eine gute Übersetzung, nun hörte ich ihn in der Ursprache. Das war kein Lesen mehr. Das Märchen offenbarte eine Tiefe, die ich nicht geahnt hatte. Es öffnete Zugang zum Meer und seiner rauschenden Monotonie. Wer sie hörte, wer von ihr durchdrungen wurde, der brauchte den Text, brauchte die Buchstaben nicht mehr.

Ich legte das Buch beiseite; der Atem ging schneller, lustvoller. Jeder Atemzug ist ein Genuß; hier wurde ich mir dessen bewußt. Ich spürte es als leise Berührung des Zwerchfelles. Diese Berührung war rhythmisch, war die eines Pendels, das ganz zart streifte, streichelte und sich dann in weit ausholendem Schwünge verlor. Es kam zurück und streifte dann wieder, ein wenig tiefer und zärtlicher. Ich fuhr fort, auf dem Grund zu wandern, und hörte es rauschen; das war lustvoll, war angenehm. Das Pendel schwang und kehrte wieder; seine Wucht verstärkte sich. Nun fuhr ich mit ihm in die Höhe; die Physis zweigte einen Exponenten ab. Ich stieg in das Pendelgewicht wie in die Gondel einer Schiffsschaukel, sie hatte die Form einer Mondsichel. Der Kiel war scharf geschliffen, er berührte kaum die Haut. Es war der Luftzug, der sie streichelte. Die Empfindlichkeit wuchs, wenn die Schaukel anfuhr - ganz oben kam Schwindel hinzu. Er zwang zum Lachen, dann ging es pfeifend hinab. Die Bewegung war nicht mehr aufzuhalten, auch nicht mehr zu kontrollieren; sie hatte einen Grad erreicht, bei dem Sturz drohte.

Der Heiterkeit war starke Lust gefolgt, nun kamen Bedenken und dann Angst, fast ohne Übergang. Das Pendel schwang, nachdem es den höchsten Punkt erreicht hatte, im Gegensinn. So spielen Kinder mit einem Feuerchen und freuen sich an der Flamme, bis sie heulend und krachend in die Baumwipfel fährt. Dann eilen sie auf und davon. Das kann im Augenblick geschehen.

Unsere Empfindung ist begrenzt. Wenn wir die Skala überschreiten, kann die Wahrnehmung paradox werden, so wie die Berührung tief gekühlter Objekte Brandblasen erzeugt. Extreme Schmerzen können in Lust umschlagen, wie bei Damiens' Hinrichtung. Ebenso kann die Lust zu stark werden. Dann erscheint sie als Raub, der an der Natur begangen wird; das Blättchen wendet sich, und zwar im Augenblick.

Das Mißbehagen kam nicht allmählich; es setzte in voller Stärke «in. Der Schwung der Gondel blieb unvermindert, doch sie bewegte Sich, als ob sie umgekuppelt wäre, im Gegensinn. Ich sprang auf, sah in den Spiegel und kannte mich nicht mehr. Das bleiche, im Lachen verzerrte Gesicht dort war stärker als das meine und mir feindlich gesinnt. Der plante Unheil; ich durfte ihn nicht loslassen. Ich mußte eine viel zu starke Dosis geschluckt haben. Sie konnte tödlich sein. Vor allem Ruhe, damit die Mutter nicht aufwachte. Das Zeug mußte verschwinden; die Dose stand noch auf dem Tisch. Ich riß das Fenster auf und warf sie hinaus; sie versank in einem der Schneehaufen. Nun möglichst viel Wasser hinunterschlucken - bis zum Erbrechen; die Tollheit darf nicht überhand nehmen.  Aber die Angst wuchs; ich hielt es im Zimmer nicht mehr aus. Der Flur war schwach erleuchtet; ich riß die Türen auf, so weit sie sich öffneten. In einem Zimmer saßen zwei Männer, die Stöße von Geld zählten und erschreckt aufsprangen. Im nächsten hockte eine Dame auf dem Bidet; ihr Mann nahm eine drohende Haltung an. Unten in der Rezeption war noch Gedränge; ich lief barfuß im offenen Pyjama durch die Gruppen, stieß Leute an und warf Koffer um.

»Das können Sie hier doch nicht machen, mein Herr«, rief der junge Portier; ich hörte es, während ich schon wieder die Treppen hinaufstürzte. Von oben kamen wütende Gäste herunter, die ich erschreckt hatte.

Es half nichts; ich mußte die Mutter wecken, ich konnte die Dinge nicht mehr bändigen. Sie war noch wach, hatte auch gelesen, wie es von Kind auf ihre Gewohnheit war. Viel habe ich ihr zugemutet; dies war eines der stärksten Stücke - sie starrte mich an wie im Traum, mein Zustand, mein Gesicht spiegelten sich im ihrigen. Nun kam der Portier herein; ich hörte sie murmeln »ganz plötzlich erkrankt, Aufregung, telefonieren, Arzt rufen«. Sie blieb dann bei mir, während ich mich mit wachsender Angst auf dem Bett wälzte. - Ernst Jünger, Annäherungen. Drogen und Rausch. Frankfurt am Main u.a. 1980 (zuerst 1970)

Pendel  (4)

 - N.N.

Pendel  (5)

Pendel  (6)

- "German Jim"

Pendel  (7) Allgegenwärtig war der rhythmische Pulsschlag Pateras, er wollte, unersättlich in seiner Einbildungskraft, immer alles zugleich, die Sache — und ihr Gegenteil, die Welt — und das Nichts. Dadurch pendelten seine Geschöpfe so hin und her. Dem Nichts mußten sie ihre eingebildete Welt abringen und von dieser eingebildeten Welt aus das Nichts erobern. Das Nichts war starr und wollte nicht, dann fing die Einbildungskraft an zu summen und zu schwirren, und in allen Skalen formte, tönte, roch und färbte es sich — da war die Welt da. Aber das Nichts fraß alles Geschaffene wieder auf, da wurde die Welt matt, fahl, das Leben verrostete, verstummte und zerfiel, war wieder tot — nichts —; und wieder fing's von vorne an. So war's erklärlich, warum sich alles ineinander fügte, ein Kosmos möglich war. Das alles war furchtbar mit  Schmerz durchwebt. Je höher man wuchs, desto tiefer mußte man wurzeln. Will ich Freuden, dann will ich zugleich Leid. Nichts — oder alles. In der Einbildungskraft und dem Nichts mußte der Urgrund liegen, vielleicht waren sie eins. Wer seinen Rhythmus erfaßt hat, der kann ungefähr berechnen, wie lange Qual oder Leid für ihn dauern kann. Der Irrsinn, der Widerspruch müssen mitgelebt werden.  - Alfred Kubin, Die Andere Seite. München 1975 (zuerst 1909)
 

Pendeluhr Zischen Pendeln

 

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