echvogel   »Ich habe viele Nichtsnutze in meinem Leben gesehen«, sagte er, »aber einen größeren Schlemihl als diesen Bill gibt es in der ganzen Welt nicht. Er fing alles verkehrt an. Er wollte nichts lernen, er wollte keine Ausbildung, er eignete sich nicht fürs Geschäftsleben. Was immer er versuchte, es ging schief. Wie das Sprichwort sagt: ›Wenn er mit Leichentüchern handelt, stirbt niemand.‹ Manchmal macht so jemand noch eine gute Partie und heiratet eine tüchtige Frau, die ihm hilft. Aber er heiratete ein faules Mädchen - einen richtigen Klumpen - und sofort begann sie, ihn mit Kindern zu überschütten. Kinder werden mal krank. Erwachsene auch, aber sein Haus war wie ein Krankenhaus. Das halbe Einkommen ging für Ärzte und Medizin drauf. Auch sonst hatte er viel Pech. Einmal brach Feuer aus. Ein andermal gab es einen Rohrbruch und die Decke stürzte ein. Bei jeder Katastrophe kam er schweißgebadet zu mir gerannt.   - Isaac Bashevis Singer, Ihr Sohn. In: I.B.S., Der Kabbalist vom East Broadway. München 1978 (zuerst 1972)

Pechvogel  (2)    In der Liebe wie beim Schreiben, überall galt dasselbe wie beim Geschäft - »nichts wollte gelingen«. Weder Madam Jane Codrington, noch »jene unvergleichlich wohlgestellte Dame, Mrs. M. Wiseman, in die ich mich auf den ersten Blick verliebte«, waren seinen Anträgen gewogen; »Domina Katherina Ryves«, mit einer Mitgift von £ 2000, war ihm günstiger gesonnen, doch sie starb, kurz bevor sie ihn heiraten konnte. Erfolglos versuchte er, sich durch eine Reise ins Ausland zu zerstreuen. »1664, im August«, notierte er, »hatte ich einen schrecklichen Anfall von Milzsucht und Hämorrhoiden in Orleans.« Aber es sollte noch schlimmer kommen: »In einer schlechten Stunde«, begann er Joan Sumner den Hof zu machen, die von einer geradezu zerstörerischen Grausamkeit war. Sie ließ ihn in Chancery Lane einsperren und verfolgte ihn drei Jahre lang mit Gerichtsverfahren. Sein Ruin folgte auf dem Fuße. Nach und nach verschwanden seine ganzen weitläufigen Ländereien, selbst Easton Piers, sein Geburtshaus, mit den terrassierten Gärten, der »Fontän«, der Grotte und dem »fliegenden Merkur«, mußte verkauft werden, ja am Ende sogar seine Bücher. 1670 hatte Aubrey alles verloren. Und so begann, gänzlich unverhofft, die glücklichste Zeit seines Lebens. Bar aller Kämpfe um Habe und Liebe und bar der lästigen Verpflichtungen des Besitztums fand er sich plötzlich in einem »süßen Otium« wieder. »Nie hatt ich Ruh, noch das geringste Glücksgefühl, bis ich aller Dinge beraubt war«, schrieb er. »Ich befand mich in Not wie sie größer für einen Sterblichen nicht sein kann und hatte keine Ruh, bis alles fort war und ich mich ganz Gottes Vorsehung anheimgegeben.« - Lytton Strachey: Das Leben, ein Irrtum. Acht Exzentriker. Berlin 1999

Pechvogel  (3) Leif der Pechvogel war ein dürrer hochgewachsener Norweger mit einer Augenklappe. Seine Gesichtszüge waren zu einem permanenten unterwürfigen Grinsen gefroren. Hinter ihm lag ein ganzes Epos von gescheiterten Unternehmungen. Er war mit einer Froschzucht eingebrochen, mit Chinchillas, siamesischen Kampffischen, Rami und Zuchtperlen. Als Fehlschlag erwies sich auch ein Friedhofsprojekt, das vorsah, daß sich Liebende gemeinsam in einem Sarg bestatten lassen konnten. Vergeblich versuchte er, während der Gummiknappheit den Kondom-Markt unter seine Kontrolle zu bringen, ein Bordell auf Versandgeschäftbasis zu betreiben und Penicillin als Allheilmittel unters Volk zu bringen. In den Spielkasinos von Europa und auf den Pferderennstrecken in den USA spielte und wettete er nach Systemen, die ihm horrende Verluste einbrachten.

Seinen geschäftlichen Mißerfolgen standen die unglaublichen Mißgeschicke, die er im Privatleben erlitt, in nichts nach. Bestialische amerikanische Matrosen hatten ihm in Brooklyn die Vorderzähne eingetreten. Geier hatten ihm ein Auge ausgehackt, als er nach dem Genuß eines Liters Paregoric in einem Park von Panama City das Bewußtsein verloren hatte. Mitten in einer verheerenden Heroinsucht war er einmal fünf Tage lang zwischen zwei Stockwerken in einem Fahrstuhl eingeschlossen; und als blinder Passagier mußte er in einer Transportkiste einen Anfall von Delirium Tremens über sich ergehen lassen. In Kairo brach er einmal mit Darmverschlingung, geplatzten Magengeschwüren und Bauchfellentzündung zusammen, und das Hospital war so überfüllt, daß sie ihn mit seinem Bett in die Latrine abschoben, und der griechische Arzt war nicht recht bei der Sache und nähte ihm einen lebenden Affen in die Bauchhöhle ein.   - (lun)

Pechvogel  (4) Louis Loréal, Mitarbeiter vom Libertaire, hatte einen schönen Anarchistenkopf. Er hatte lange Haare, trug eine runde Brille, Handschuhe und war Chansonnier. Meine Frau und ich kannten ihn sehr gut und ich behalte ihn in bester Erinnerung. Als ich Surrealist wurde, verlor ich ihn aus den Augen, wie fast alle aus dem anarchistischen Umfeld. Wenn man Louis Loréal einen Spitznamen geben müßte, so könnte man ihn den „Unglücksraben" nennen. Er hatte kein Fingerspitzengefühl. Als die Deutschen 1940 Frankreich besetzten, schrieb er in einer Zeitung einen patriotischen Artikel: „Wir Anarchisten müssen die Stirn bieten. Weg mit unseren Idealen. Der Feind ist da." Unglücklicherweise erschien dieser Artikel an dem Tag, an dem die Deutschen in Paris einmarschierten. Loréal mußte sich verstecken und tauchte erst nach einer Weile wieder auf. 1944 schrieb er in La France socialiste oder im Germinal entrüstet gegen die Landung der Amerikaner in der Normandie: „Es ist eine Schande, daß die Mörder von Sacco und Vanzetti Frankreich überfallen und unsere Kunstwerke zerstören." Er wurde daraufhin als Kollaborateur vor Gericht gestellt.   - Léo Malet, Stoff für viele Leben. Autobiographie. Hamburg 1990 (Edition Nautilus) 
 
 

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Schlemihl