atzig   Eines Tages, als Madame Maigret ihren Mann nachdenklich anblickte, hatte sie plötzlich mit einer fast komischen Arglosigkeit gesagt:

»Wie kommt es nur, daß du in deinem Leben nicht mehr Ohrfeigen bekommen hast?«

Es kam aus der Tiefe des Herzens. Es gab nämlich Augenblicke, daß Maigret selbst ihr gegenüber unerhört patzig war, und zweifellos war seine Frau die einzige, die wußte, daß er sich dessen gar nicht bewußt war. Das äußerte sich nicht in einem ironischen Lächeln oder in einem spöttischen Funkeln der Augen. Es äußerte sich in nichts und allem. Man hatte einen Block vor sich, an dem alles abglitt und der, während man sprach und seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchte, sein eigenes Leben lebte. Hörte der Kommissar einem zu? Sah er einen? Oder betrachtete er die Wand? Plötzlich unterbrach er einen mitten im Satz, in einer Bemerkung, und was er sagte, hatte keinerlei Beziehung zu dem, wovon man gesprochen hatte. So blieb Maigret, als Charles Dandurand noch sprach und durch die halb geöffnete Tür Klavierakkorde hereinhallten, regungslos stehen, als lauschte er der Musik. Wie lange hatte er sich schon nicht mehr an dem Gespräch beteiligt? Welchen Weg waren seine Gedanken während jener kurzen Augenblicke gegangen? Plötzlich sagte er:

»Sie haben doch wohl Telefon?«

»Ja, natürlich.«

Wußte er überhaupt, daß Dandurand vor ihm stand und darauf wartete, die Tür hinter ihm zu schließen? Zögernd sagte er wie im Selbstgespräch:

»Ich frage mich ...?«

Er tat es nicht absichtlich, und dennoch wäre jeder andere als der ehemalige Anwalt durch ein solches Benehmen aus der Fassung geraten. Was wollte er? Was hatte er sich wieder ausgedacht? War es wichtig oder banal? Es war unmöglich, es zu erraten, wenn man ihn seine dichten Brauen runzeln, den Kopf wiegen sah. - Georges Simenon, Maigret verliert eine Verehrerin. München 1970 (Heyne Simenon-Kriminalromane 101, zuerst 1942) 

 

Unverschämtheit

 

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