athologe «Sehen
Sie, Bardamu, der Krieg wirkt durch die hervorragenden Möglichkeiten, die uns
geboten werden, die Nervensysteme auszuprobieren, als gewaltiger Offenbarer
des menschlichen Geistes! Jahrhundertelang können wir uns in stiller Nachdenklichkeit
über diese neuen pathologischen Erkenntnisse neigen, wir haben Stoff für ganze
Jahrhunderte leidenschaftlicher Forscherarbeit. Geben
wir es ehrlich zu... Bisher haben wir den emotionellen Reichtum des Menschen
kaum geahnt! Aber dank dem Krieg ist's jetzt vollbracht!
Mit Hilfe eines schmerzhaften, aber für die Wissenschaft entscheidenden und
von der Vorsehung gesandten Verfahrens dringen
wir in die letzten Geheimnisse ein!»
-
(
reise
)
Pathologe (2) Dr. Miele fand, es liege in der Natur ihrer Arbeit, daß Pathologen weniger eitel seien als andere Ärzte, die jätend und hackend durch den Dschungel des Menschlichen spazierten, dann und wann einen Vogel abschössen und sich einbildeten, sie seien für alles verantwortlich, was da ohnehin blüht. Dr. Miele ging im Seziersaal auf und ab, die Zigarre zwischen den Lippen, und schärfte sein Messer. Seine Leiche lag auf dem zehnten Tisch von links und hatte noch ein bißchen Zeit totzuschlagen, solange Miele dozierte. Er hatte eine Theorie: Unterschiedliche Persönlichkeiten ziehe es auf unterschiedliche Gebiete. Die Chirurgen seien die Sunny-boys, oberflächliche Pfuscher, immer auf schnelle Belohnung aus, kurz, die eitelsten und fehleranfälligsten Mitglieder der ganzen Zunft.
»Nach den Geburtshelfern«, warf Dr. Guttenberg ein.
Dr. Miele gab ihm recht und fügte hinzu, er habe auf Kinder verzichtet, weil
er sich nie einem Geburtshelfer habe ausliefern wollen. Dr. Bauer und Dr. Guttenberg
standen mit den Rücken zur Kühlraumtür, die jeden Moment hätte aufgehen sollen.
Aber offenbar ließ der Laborgehilfe sich Zeit mit ihren Leichen, einem Doppelselbstmord
auf dem Bahndamm, wie es aussah. »Laborgehilfen sind von Natur aus faul«, sagte
Dr. Miele, indem er seine Klinge begutachtete. Immer noch nicht scharf genug.
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Irene Dische, Fromme Lügen. Frankfurt am Main 1989
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