assanten Er
ging ganz gemächlich zu Fuß zum Büro. Auf dem Wege beobachtete er die Passanten.
Die Gesichter zogen an ihm mit gleichmäßiger Geschwindigkeit vorüber, als ständen
ihre Besitzer auf einem Fließband. Gesichter mit Froschaugen, die aus ihren
Höhlen hervortraten, magere Gesichter und scharfe Gesichter verbitterter Menschen,
lange und pausbäckige Gesichter anomaler Babys, Stiernacken, Fischnasen, Hasenscharten.
Kniff man die Augen halb zu, konnte man sich vorstellen, es handle sich nur
um ein einziges Gesicht, das sich entsprechend veränderte. Trelkovsky wunderte
sich über die Fremdheit all dieser Gesichter. Marsbewohner, sie waren alle Marsbewohner.
Doch sie schämten sich dessen, deshalb suchten sie sich zu verbergen. Sie hatten
ein für allemal ihre ungeheuerlichen Mißbildungen Proportion genannt und ihre
unvorstellbare Häßlichkeit Schönheit. Sie kamen woanders her, wollten es jedoch
nicht zugeben. Sie spielten Natürlichkeit vor. Ein Schaufenster warf sein Bild
zurück. Es war nicht anders. Dasselbe, genau das gleiche wie diese Ungeheuer.
-
Roland Topor, Der Mieter. Zürich 1976 (detebe 20358, zuerst 1964)
Passant
(2)
Ich habe eine Menge Leute kennengelernt, alle immer nur für eine kurze
Zeit. Etwas ist jeweils im Erinnerungsspiegel haften geblieben, eine Geste,
Worte in einem den Typ bezeichnenden Bild des Ausdrucks, die Leere, die Belanglosigkeit,
die bis zum Abscheu herausfordernden Bemühungen der anderen, sich verständlich
zu machen, irgendwie ein wenig geachtet und bestätigt zu werden, im Schlamm
der guten Nachbarschaft und des Selbstbedauerns, und immer auf dem Sprung, etwas
vorzutäuschen, auszunutzen den neu gefundenen Freund und auf den Augenblick
wartend, ihm den Fußtritt zu verpassen. Oh - es muß
eine interessante Zeit gewesen sein. -
Franz Jung, Der Weg nach unten. In: Franz Jung, Schriften, Bd. 1,
Salzhausen / Frankfurt am Main 1981
Passanten (3)
Passant
(4)
Ich bin auf der Straße einem Mann nachgegangen. Einem Burschen von dreißig,
zweiunddreißig Jahren. Ich fragte mich, welches Vergnügen Ihr Männer an so was
habt. Oh, nur von ganz fern, diesmal wenigstens. Ziemlich schön von hinten:
eine Art ruhige Beweglichkeit. Es ist seltsam, wie das die Aufmerksamkeit anzieht.
Ich war mit meinem ganzen Körper davon ergriffen. Wenn man seinen eigenen Schritt
nach dem des ändern ausrichtet, scheint man in ihm drin zu stecken. Er war das
völlige Gegenteil von Dir, dieser Passant, der ganz und gar nichts ahnte. Ich
werde das wieder machen. Ich blieb davon wie in einem Traum befangen. -
(lib)
Passant (5) Sehen wir uns seine Tracht einmal genauer an: auf dem Kopf - ein hoher Hut, bestückt mit Hahnen- und Gänsefedern, seine Krempe ist geschmückt von einer Soldatenkokarde, einem Stück Bonbonpapier und einem Stern vom Tannenbaum; das von einem einsamen Knopf eben noch zusammengehaltene Jackett ist über und über besät mit den Resten bunter Bänder, mit Schleifen und selbstgebastelten Orden, von denen die ehrenvollsten, beeindruckendsten und respektierlichsten in Goldpapier gehüllt sind. In der Hand hält der Irre ein Stöckchen mit einem goldenen Kugelknauf oder einen zerbrochenen Regenschirm, der mit Blechstreifen umwickelt ist.
Er ist - der König: Napoleon, Buddha, Christus,
Tamerlan... alles in einem. Feierlich tost das Gehirn, von giftigem Licht entzündet;
in den Augen - der Rausch der Macht; an den Füßen - verbuchene, zerfledderte
Schuhe; in der Seele -Throne und Königreiche. Unterhalten Sie sich einmal mit
diesem grandiosen Passanten, er chleudert Ihnen Blicke zu, unter denen das Herz
Ihnen mir nichts dir nichts in die Hosen rutscht. Sie stecken sich eben eine
Zigarette an er aber sieht Sie auf den Knien vor sich liegen; er redet, schreit
und zuckt aus purer Machtfülle am ganzen Körper: »Ja! Nein! Ich! Du! Ruhe!«
- Alexander Grin, Das Seil.
In: Phantastische Zeiten. Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1986 (zuerst
1922. Phantastische
Bibliothek 185)
Passant
(6)
Auf dem Trottoir gleich vor ihm gab es viele Menschen in verschiedenartigem
Schritt. Manchmal trat einer vor und durchquerte die Fahrbahn. Ein kleines Mädchen
hielt in den vorgestreckten Händen ein müdes Hündchen. Zwei Herren machten einander
Mitteilungen. Der eine hielt die Hände mit der innern Fläche nach oben und bewegte
sie gleichmäßig, als halte er eine Last in Schwebe. Da erblickte man eine Dame,
deren Hut viel beladen war mit Bändern, Spangen und Blumen. Und es eilte ein
junger Mensch mit dünnem Stock vorüber, die linke Hand, als wäre sie gelähmt,
platt auf der Brust. Ab und zu kamen Männer, welche rauchten und kleine aufrechte
längliche Wolken vor sich her trugen. Drei Herren - zwei hielten leichte Überröcke
auf dem geknickten Unterarm - gingen oft von der Häusermauer zum Rande des Trottoirs
vor, betrachteten das, was sich dort ereignete, und zogen dann sprechend sich
wieder zurück. Durch die Lücken zwischen den Vorübergehenden sah man die regelmäßig
gefügten Steine der Fahrbahn. Da wurden Wagen auf zarten hohen Rädern von Pferden
mit gestreckten Hälsen gezogen. Die Leute, welche auf den gepolsterten Sitzen
lehnten, sahen schweigend die Fußgänger an, die Läden, die Balkone und den Himmel.
- Franz Kafka, Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande. Nach -
(hochz)
Passanten
(7)
In Hannover logierte ich einmal so, daß mein Fenster auf eine enge Straße
ging, wodurch die Kommunikation zwischen zwo großen erhalten wurde. Es
war sehr angenehm zu sehen, wie die Leute ihre Gesichter
veränderten, wenn sie in die kleine Straße kamen, wo sie weniger
gesehen zu sein glaubten, so wie einer hier pisste,
der andere dort sich die Strümpfe band, so lachte der eine heimlich, und
schüttelte der andere den Kopf. Mädchen dachten mit einem Lächeln
an die vorige Nacht und legten ihre Bänder zu Eroberungen auf der nächsten
großen Straße zurecht. -
(licht)
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