arlamentarier Formlos und erhaben: eine Schar von Helden und eine Herde von Feiglingen. Löwen auf dem Berg, Schlangen im Sumpf. Das wimmelnde, stoßende, herausfordernde, drohende, ringende Leben all der Kämpfer, die jetzt nur noch Schatten sind. Titanisches Gewühl.
Auf der Rechten die Gironde, Legion von Denkern, auf der Linken der Berg,
Trupp von Athleten. Dort Brissot, der die Schlüssel der Bastille in Empfang
genommen hatte; Barbaroux, dem sich die Marseiller unterstellten; Kervelegan,
dem das Brester Bataillon im Quartier der Vorstadt Saint-Marceau ergeben war;
Gensonne, der die Obergewalt der Abgeordneten über die Generäle durchgesetzt
hatte; der unheimliche Guadet, dem die Königin eines Nachts in denTuilerien
den eingeschlafenen Kronprinzen gezeigt hatte (er küßte das Kind auf die Stirn
und ließ dem Vater den Kopf abschlagen); Salles, der das Märchen über ein Einverständnis
zwischen Bergpartei und Österreich aufbrachte; Sillery, der Krüppel der Rechten,
wie Couthon der Krüppel der Linken war; Lause-Duperret, der von einem Journalisten
›Schandkerl‹ geschimpft wurde und den Beleidiger mit der Bemerkung zu Tisch
lud: »Ich weiß, ›Schandkerl‹ nennen wir einen andersdenkenden Menschen«; Rabaut-Saint-Etienne,
dessen Almanach von 1790 mit den Worten begann: »Die Revolution ist am Ziel«;
Quinette, einer von denen, die Ludwig XVI. eigentlich stürzten; der Jansenist
Camus, der die bürgerliche Verfassung der Geistlichkeit entwarf, der an die
Wunder des Diakonus Paris glaubte und sich allnächtlich vor einem sieben Fuß
hohen, an seine Zimmerwand genagelten Christus niederwarf; der Priester fauchet,
der mit Camille Desmoulins den 14. Juli gemacht hatte. Ferner Isnard, der das
Verbrechen dieses Ausspruchs beging: »Paris wird zerstört werden!« zu einer
Zeit, da der Herzog von Braunschweig drohte: »Paris soll verbrannt werden«;
Jacob Dupont, der als erster bekannte: »Atheismus ist
Aristokratismus«; der harte, scharfsinnige Lanjuinais, ein wacher bretonischer
Kopf; Rebecqui, der sein Mandat niederlegte, weil man Robespierre
noch nicht guillotinierte; Richaud, der das Recht der Sektionen auf Dauersitzung
bekämpfte; Lasource, der das mörderische Wort prägte: »Wehe den dankbaren Völkern!«
und der am Fuße des Schafotts der Bergpartei
das stolze Wort entgegenwarf: »Wir sterben, weil das Volk schläft, ihr werdet
getötet werden, weil es erwachen wird«. Dann Biroteau: er beantragte die Abschaffung
der Unverletzlichkeit eines Abgeordneten und errichtete sich ahnungslos selbst
das Schafott; Charles Vilette: er schützte sein Gewissen durch den Protest:
»Ich will nicht unter dem Fallbeil abstimmen«; Louvet, der Verfasser des »Faublas«:
er machte später mit Lodoiska eine Buchhandlung im Palais-Royal auf; Mercier,
Verfasser des »Tableau de Paris«: »Den 21.Januar haben alle Könige an ihrem
Nacken gespürt«; Marec mit seinem Lieblingshaß gegen die »Partei der vormaligen
Beschränkungen«; der Journalist Garra: »Dumm, daß ich sterbe, ich hätte gern
gesehen, wie das weitergeht«, sagte er zum Scharfrichter; Vigée, mit dem selbstverliehenen
Titel eines Grenadiers im zweiten Bataillon von Mayenne-et-Loire: »Ich verlange«,
sagte er, als die Zuhörer ihn bedrohten, »daß beim ersten Murren der Tribünen
wir alle ausziehen und den Säbel in der Hand nach Versailles marschieren!«;
Buzot, zum Hungertode bestimmt; Valaze, für den eigenen Dolch ausersehen; Concordet,
später ermordet zu Bourg-la-Reine oder vielmehr Bourg-Egalité, verraten durch
den Horaz in seiner Tasche; Petion, 1792 von der Menge vergöttert und von den
Wölfen verschlungen 1794; zwanzig andere noch und über ihnen: Vergniaud. Auf
der Linken aber der bleiche Antoine-Louis-Leon Florelle de Saint-Just, mit der
niedrigen Stirn, dem geraden Profil und der tiefen Trauer im geheimnisvollen
Auge, dreiundzwanzig Jahre alt; Merlin aus Thionville, den die Deutschen Feuerteufel
nannten; Merlin aus Douai, der Schuldige am Gesetz gegen die Verdächtigen; Soubrany,
vom Pariser Volk am ersten Prairial zum General vorgeschlagen; der ehemalige
Pfarrer Lebon, einen Säbel in der Hand, mit der er Weihwasser gespendet hatte;
Billaud-Varennes, der die Rechtsprechung der Zukunft erdachte: Schiedsrichter
statt der Prozeßrichter; Fabre d'Eglantine, der einen wunderschönen Einfall
hatte, den republikanischen Kalender, wie Rouget de Lisle die große Eingebung
der Marseillaise, und jeder kam nur auf dies eine; der Prokurator der Kommune
Manuel: »Ein toter König ist kein Mensch weniger«; Goujon, der in Trippstadt,
Neustadt und Speyer einzog und das preußische Heer fliehen sah; Lacroix, ein
zum General umgesattelter Advokat, der sechs Tage vor dem 10. August Ritter
des Sankt-Ludwig-Kreuzes wurde; Ruhl, der rücksichtslose Durchstöberer des eisernen
Schrankes, der einmal am Todestage der Republik den großen republikanischen
Selbstmord begehen wird; Fouché, mit der dämonischen Seele und dem leichenhaften
Gesicht. Dann Camboulas, der zum Doktor Guillotin sagte: »Du gehörst ja zum
Klub der Feuillants, deine Tochter aber zum Jacobinerklub«; Jagot, der den Beschwerdeführern
wegen der jämmerlichen Kleidung antwortete: »Das Gefängnis ist ein steinernes
Kleid«; Javogues, der furchtbare Erbrecher der Gräber von Saint-Denis; Osselin,
der Verfolger, der eine Verfolgte bei sich verbarg, Frau Charry; Bentabolle,
der als Vorsitzender den Tribünen das Zeichen zum Beifall oder zur Entrüstung
gab; der Journalist Robert, dessen Gattin Fräulein Keralio geschrieben hat:
»Mich besucht weder Robespierre noch Marat, doch Robespierre kann kommen, wenn
er will, Marat nicht!« Garan-Coulon: als der spanische Hof sich im Prozeß Ludwigs
XVI.für diesen verwenden wollte, verlangte er in stolzer Haltung, daß die Versammlung
sich nicht herablasse, den Brief eines Königs für einen König anzuhören; der
Bischof Gregoire, zuerst der Kirche würdig, doch unter dem Kaiserreich bestrebt,
den Republikaner durch den Grafen Gregoire auszulöschen; Amar: »Die ganze Welt
verurteilt Ludwig XVI. Wo sollte da Berufung eingelegt werden? Höchstens bei
den Sternen«; Rouyer, der sich am 21. Januar dem Abfeuern eines Kanonenschusses
vom Pont-Neuf aus widersetzt hatte, denn: »Der Kopf eines Königs macht im Fallen
nicht mehr Lärm als der eines andern«; Chenier, Bruder des Dichters André Chenier;
Vadier, der wie andere eine Pistole aufs Rednerpult vor sich hin legte; Tanis,
der zu Momoro sagte: »Ich wünsche, daß Marat und Robespierre sich an meinem
Tisch umarmen.« »Wo wohnst du?« »In Charenton.« »Dann wundert es mich nicht.«
Ferner Legendre, der Fleischer der französischen Revolution, wie Pride einstmals
der Fleischer der englischen. »Komm her, dich bringe ich um!« schrie er Lanjuinais
an, und dieser erwiderte: »Erst laß den Beschluß ergehen, daß ich ein Ochse
sei.« Collot d'Herbois, der finstere Komödiant, auf dessen Gesicht die antike
Maske mit den zwei Mündern lag, die ja und nein sprachen, so daß er zugleich
billigen und verwerfen konnte: Er brandmarkte Carriers Verhalten in Nantes und
pries das gleiche Vorgehen Châliers in Lyon, er schickte Robespierre aufs Schafott
und Marat ins Pantheon; Genissieux: er beantragte die Todesstrafe gegen jeden,
der die Denkmütze mit der Inschrift »Ludwig XVI., der Märtyrer« bei sich trüge;
der Schulmeister Bourdon, der Seemann Topsent, der Advokat Goupilleau, der Kaufmann
Lecointre, der Arzt Duhem, der Bildhauer Sergent, der Maler David, der Prinz
Joseph Egalité, ferner Lecointe-Puiraveau, welcher beantragte, daß Marat durch
Beschluß für unzurechnungsfähig erklärt werde; Robert Lindet, der bedrohliche
Schöpfer jenes Ungeheuers mit dem Kopf des Sicherheitsausschusses und mit einundzwanzigtausend
Armen, revolutionäre Ausschüsse genannt, Frankreich umklammernd; Lebœuf, auf
den Girey-Dupré in seinem »Weihnachten der falschen Patrioten« den Vers gemacht
hatte: »Lebœuf vit Legendre et beugla«; der milde Thomas Paine, ein Amerikaner;
Anacharsis Cloots, ein deutscher Baron, Millionär, Atheist,
Hébertist und treuherzig dazu; der untadlige Lebas, Freund der Familie Duplay;
Rovère, einer der seltenen Menschen, die böse aus Bösartigkeit sind, denn das
»L'art pour l'art« läßt sich auch auf andern Gebieten anwenden; Charlier, der
die Aristokraten mit »Sie« angeredet haben wollte; der elegische und jähzornige
Tallien, der den 9.Thermidor aus Verliebtheit machen wird; Cambacérès, früher
Anwalt, später Fürst; Carrier, früher AnwaIt, später Tiger; Laplanche, mit dem
Ausspruch: »Ich verlange die Vorhand für die Alarmkanone«; Thuriot, der beantragte,
daß die Geschworenen des Revolutionstribunals öffentlich abstimmten; Bourdon
aus der Oise, derChambon zum Zweikampf forderte, Paine verklagte und selbst
von Hébert verklagt wurde; Fayau, mit seiner Forderung, daß in die Vendée »ein
mordbrennerisches Heer« entsandt würde; Tavaux, dem am 13. April fast die Vermittlung
zwischen Gironde und Berg gelang; Vernier mit seinem Antrag, die Führer der
beiden Parteien sollten als einfache Soldaten Dienst tun; Rewbell, der Mitverteidiger
von Mainz; Bourbotte, dem bei der Einnahme von Saumur das Pferd unter dem Leib
getötet wurde; Prieur (Marne), der im Feld seine alten Rittmeisterepauletten
trug; Levasseur (Sarthe), der mit einem einzigen Wort den Kommandanten des Bataillons
Saint-Amand, Serrent, bestimmte, sich töten zu lassen; viele andere noch, und
auf dem Gipfel dieser Gruppe ein Mirabeau mit Namen Danton. Widerliche Fäule,
die nur Selbstsucht sehen ließ. Da schwappte die Stummheit der Zitternden, die
unredliche Scheu, der versteckte Groll, die Auflehnung hinter der Unterwürfigkeit.
Zynisches Bangen,Tapferkeit der Feigen: sie waren für die Gironde und verbanden
sich mit dem Berg. Der Ausschlag lag bei ihnen,sie drehten sich stets nach der
Seite des Erfolges. So lieferten sie Ludwig XVI. an Vergniaud aus. Vergniaud
an Danton, Danton an Robespierre und Robespierre an Tallien. Sie schändeten
den lebenden Marat und vergötterten den toten. Bis zu dem Tage, an dem sie alles
umwarfen, unterstützten sie alles, mit dem Instinkt für den entscheidenden Stoß,
der alles Wankende erledigt. Da sie ihre Treue von der festen Stellung der anderen
abhängig machten, galt deren Taumeln in ihren Schwächlingsaugen als Verrat.
Sie waren die Zahl, die Stärke, die Angst, daher der Antrieb zu ihren Schändlichkeiten,
daher der 31. Mai, der 11. Germinal, der 9.Thermidor, Tragödien, von Riesen
aufgebaut und abgeschlossen von Zwergen. Neben den Leidenschaftlichen saßen
noch die Träumer. Das Utopische hatte seine mannigfaltigsten Vertreter, von
der kriegerischen Anschauung, die das Schafott billigte, bis zur sanftesten,
die für die Abschaffung der Todesstrafe war. Wie ein Alp sollte ihrTraum auf
den Königen liegen, wie ein Engel zur Seite der Völker stehen. Neben den streitbaren
Geistern saßen die brütenden, jene forderten den Krieg, die andern den Frieden,
ein Kopf wie Carnot gebar vierzehn Armeen, während ein anderer, Jean Debry,
eine
demokratische Weltverbrüderung ersann. Fruchtbare Schweiger neben beredten Wilden
mit Donnerstimmen: Lakanal entwarf in stummen Überlegungen den öffentlichen
Unterricht, Lanthénas schuf stumm die Volksschulen, Revellière-Lepeaux saß in
stummen Gedanken über die Erhebung der Philosophie zur Würde der Religion. Andere
beschäftigten sich mit kleineren Einzelfragen der Wirklichkeit: Guyton-Morveau
erstrebte eine gesündere Einrichtung der Spitäler, Maire die Abschaffung der
Realservituten, Jean-Bon-Saint-André die Beseitigung des Schuldgefängnisses
und des Personalarrestes, Duboe die Neuordnung der Archive, Coren-Fustier die
Gründung der anatomischen und naturwissenschaftlichen Sammlungen, Guyomard die
Regelung der Flußschiffahrt und die Stauung der Scheide. Die Kunst hatte gleichfalls
ihre Förderer, deren Eifer bis zur Überspanntheit ging. Am 2I.Januar, während
auf dem Revolutionsplatz der Kopf der Monarchie fiel, besichtigte der Abgeordnete
der Oise, Bezard, ein Gemälde von Rubens, entdeckt in einer Dachstube
der Rue Saint-Lazare, Künstler, Redner, Propheten, Kolosse wie Danton, Kinder
wie Cloots, Gladiatoren und Philosophen, alle hatten das gleiche Ziel, den Fortschritt.
Darin waren sie unbeirrbar. Die Größe des Konvents war, daß er aus allen sogenannten
Unmöglichkeiten das darin enthaltene Maß an Wirklichkeit herausholte. Auf der
einen äußersten Seite wandte Robespierre den Blick hin zum Recht, auf der anderen
blickte Condorcet hin zur Pflicht. Condorcet war verträumt und erleuchtet, Robespierre
der Mann der Ausführung; und manchmal in den Endkrisen überalterter Gesellschaften
ist Ausführung gleichbedeutend mit Austilgung. An den beiden Hängen der Revolution,
Aufstieg und Abstieg, sind alle Jahreszeiten ihrer Entwicklung vertreten, vom
Eis bis zu den Blumen. Jede Zone bringt die Männer ihres Klimas hervor, die
einen leben in der Sonne, die andern im Sturm. - Victor Hugo, Dreiundneunzig. Nach (
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