arasiten  Die Invasion der Körperfresser - Parasiten kapern fremde Nervensysteme und manipulieren das Verhalten ihrer Wirte

Fremde Intelligenzen, die in das Innere eines anderen Lebewesens schlüpfen und es in einen willenlosen Sklaven ihrer eigenen Interessen verwandeln: Was auf den ersten Blick wie ein Science-Fiction-Film der fünfziger Jahre wirkt, ist im Dauerkrieg zwischen Parasiten und ihren Wirtsorganismen grausame Realität. Viele Schmarotzer sind darauf perfektioniert, wie an einem Schaltpult am Nervensystem ihrer ahnungslosen Opfer herumzupfuschen. Die Manipulationen, mit denen ein Parasit in das Verhalten seines augenblicklichen Trägers eingreift, haben fast immer die Weiterbeförderung von einem Zwischenwirt zum Endwirt zum Ziel, in dem die sexuelle Fortpflanzung des "Trittbrettfahrers" erfolgen soll. Das heißt, dass der momentane Gastgeber um jeden Preis in die Fänge eines Räubers getrieben werden muss, dessen Körper zum Liebesnest erkoren wurde.

Auf der primitivsten Stufe besteht die infame Masche darin, den Zwischenwirt durch einen Dreh an seinen Nervenschaltkreisen zu verlangsamen. Dann sorgt der Daseinskampf schon dafür, dass der Entmündigte zum "gefundenen Fressen" für hungrige Verfölger wird. So bleiben Fische, die mit einem Vogelsaugwurm befallen sind, hoffiiungslos hinter ihrem Schwarm zurück und trudeln zur Wasseroberfläche, wo sie der Kormoran ohne Mühe erwischt.

Fadenwürmer aus der berüchtigten Art der Trichinen dämmen außer der Mobilität auch noch das Orientierungsvermögen der befallenen Nagetiere ein. Ratten büßen im Würgegriff des Einzellers "Toxoplasma gondii" die Tendenz zum Erkunden der Umgebung und bedeutende Anteile ihres Lernvermögens ein. Das ist bemerkenswert, da man auch bei lernbehinderten Kindern eine erhebliche Belastung mit diesem Schmarotzer gefunden hat.

Andere Parasiten haben den Dreh heraus, komplexe Verhaltensweisen der Wirte für ihre egoistischen Zwecke einzuspannen, schildert das Wissenschaftsmagazin "New Scientist". So stacheln verschiedene Arten von Fadenwürmem den Durst ihrer Zwischenträger an. Der Pferdehaarwurm zum Beispiel treibt Grillen in Wasserlöcher, wo sie unweigerlich ertrinken und gefressen werden. Es ist unerklärlich, wie die Arten unabhängig voneinander den entscheidenden "Durst-Hebel" im Steuerungszentrum ihrer Opfer gefunden haben.

Der Kratzer, ein parasitärer Schlauchwurm, der Wasservögel als Endwirte braucht, schließt bei seinen Zwischenwirten, den Flohkrebsen, sogar zwei Instinkt-Schaltkreise kurz: Den für Paarungsverhalten und den für Flucht. Wenn Gefahr droht, schießt der befallene Flußkrebs an die Wasseroberfläche und reitet beim erstbesten Strohhalm auf. Dieser suizidale Pseudo-Sex ist absolut untypisch für das Tier, das es sonst nur im Schutze des getrübten Wassers am Boden treibt.

Ganz unterschiedliche Arten - ein Pilz, der Dungfliegen befällt, und ein Virus, der es auf Mottenlarven abgesehen hat, lösen bei ihren Opfern ein und dieselbe "Gipfelkrankheit" aus. Die Wirtsorganismen klettern unter einem unbändigen Trieb auf die Spitze von Bäumen oder Büschen und postieren sich im Todeskampf in einer stereotypen Körperhaltung. Dann lassen sowohl der Pilz als der Virus Sporen auf neue Wirtsorganismen regnen.

Auch der Mensch kann zum Opfer dieser Invasoren werden. In vielen Fällen wird unsere Spezies von den Parasiten jedoch nur indirekt avisiert. Die Einzeller (Leishmanien), die eine nach ihnen benannte tropische Krankheit (Leishmaniose) hervorrufen, hetzen ihre Zwischenwirte, die Sandfliegen, regelrecht gegen Menschen auf. Sie blockieren deren Verdauungstrakt, sodass die ständig überhungrigen Fliegen sich mit wilder Intensität an der menschlichen Haut vergreifen. Auch die Fliegen, die den Pestbazillus tragen, und die Moskitos, die vom LaCrosse-Virus, einem Erreger von Hirnkrankheiten, befallen sind, werden durch einen abnormen Blutdurst aufgewiegelt.

Ähnlich steht es um die Moskitos, die den Malariaerreger transportieren: Im Gegensatz zu ihren gesunden Artgenossen bleibt ihre Gier nach Menschenblut auch in der Nacht ungeschmälert. Doch wenn der Parasit noch unausgereift ist und sich im fremden Blutstrom noch nicht entwickeln kann, dämmt er nach neuesten Ergebnissen sogar den Blutdurst der Moskitos ein.

Es ist zur Zeit noch nicht absehbar, wie oft der Mensch einer direkten Attacke der Körperfresser zum Opfer fällt. Von der Syphilis befällene Kranke manifestieren häufig einen unmäßigen Sex-Hunger, der nach dem griechischen Gott der Liebe auch als "Cupidos Krankheit" bezeichnet wird. Man kann nur spekulieren, dass sie damit einer Fortpflanzungsstrategie des Erregers folgen. Der Mediziner Jaroslav Flegr von der Universität Prag machte kürzlich die Entdeckung, dass der Befall mit "Toxoplasma gondii" beim Menschen mit Schuldgefühlen und verminderter Selbstgenügsamkeit verbunden ist. Niemand weiß, ob dahinter der parasitäre Einzeller steckt und welchen Zweck er mit der Manipulation verfolgt.

Es ist ohnehin nicht sicher, ob ein Parasit wirklich immer das angestrebte Ziel - die Versklavung des Wirtes - erreicht. Denn immer da, wo in der Evolution zwei gegensätzliche Interessen zusammenstoßen, bricht in der Regel ein Rüstungswettlauf auf. Manchmal lässt sich nur sehr schwer entscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten als Manipulation oder als Abwehr gegen die Manipulation zu werten ist

Hummeln, die von parasitären Fliegen mit Eiern befrachtet wurden, halten sich zum Beispiel meistens von ihren Nestern fern. Ein gelungener Schachzug der Parasiten, die ihren Nachwuchs von Bakterien in den Nestern schützen wollen? Aber vielleicht möchten die Hummeln nur ihre genetisch nah Verwandten in den Nestern vor der Infektion bewahren, wenden manche Forscher ein. Zudem ist es außerhalb der Nester kälter, was der Entwicklung der Fliegenlarven nicht gut bekommt. - Rolf Degen (Tagesspiegel 23.09.99)

Parasiten (2) Das National Human Genome Research Institute in Bethseba und der Celera Genomics of Rockville, Maryland, enthüllte, daß von dem 1,8 Meter langen DNA-Strang in jeder Zelle des menschlichen Körpers keine dreißig Zentimeter »in Betrieb« sind. »Der Rest besteht aus seltsamen lebensähnlichen Wesen, die sich wie Hausbesetzer in das Genom eingenistet haben. Unter ihnen sind mikroskopische Teile fremder DNA, die wie Parasiten von der menschlichen DNA leben, und noch kleinere Teilen, die von diesen Parasiten schmarotzen.« In einem gemeinsamen Editorial erklärten der Senior Editor, der Chief Biology Editor und der Editor-in-chief der Zeitschrift Nature:

»Durch die Analyse der Genom-Sequenz ergibt sich zum erstenmal ein Überblick über das ganze Panorama der Landschaft unseres Genoms. Endlich läßt sich ermessen, in welchem Ausmaß parasitische DNA unser Genom kolonisiert hat.« - (para)

Parasiten (3)  Wie wenig der heutige Typ Mensch die ihm noch verbliebene psychische Fähigkeit und Energie zu benutzen weiß, zeigt Fuhrmann in einer Analyse des Mitleids, der Nächstenliebe und des allgemeinen Unbehagens in der Kultur. Er untersucht die Illusion eines Gleichgewichts innerhalb der Emanationen nach dem Prinzip des Nimm und Gib. In Wirklichkeit wird dadurch der parasitäre Charakter des Menschen als seine biologische Funktion nicht aufgehoben. In Wirklichkeit leben die Einzelnen v o n einander, sie fressen sich gegenseitig auf, und zwar im Frieden auf Erden stärker als im Krieg, der viel eher den Gleichgewichtszustand durch die Massenvernichtung wieder herzustellen in der Lage sein mag.

Dagegen hat sich kaum jemand bisher bemüht, sich statt des Mitleids mit der M i t f r e u d e näher zu befassen. - Franz Jung, Erinnerung an einen Verschollenen. Ernst Fuhrmanns Lehre von den Zusammenhängen. In: Franz Jung, Schriften, Bd. 1, Salzhausen / Frankfurt am Main 1981

Parasiten (4)  Vielleicht ist es Tiedemann, welcher zuerst das cerebrale Nervensystem mit einem Parasiten verglichen hat (Tiedemann und Treviranus Journal für Physiologie, Bd.1, S. 62). Der Vergleich ist treffend, sofern das Gehirn, nebst ihm anhängendem Rückenmark und Nerven, dem Organismus gleichsam eingepflanzt ist und von ihm genährt wird, ohne selbst seinerseits zur Erhaltung der Oekonomie desselben direkt etwas beizutragen; daher das Leben auch ohne Gehirn bestehn kann, wie bei den hirnlosen Mißgeburten, auch bei Schildkröten, die nach abgeschnittenem Kopfe noch drei Wochen leben; nur muß dabei die medulla oblongata, als Organ der Respiration, verschont seyn. Sogar eine Henne, der Flourens das ganze große Gehirn weggeschnitten hatte, lebte noch zehn Monate und gedieh. Selbst beim Menschen führt die Zerstörung des Gehirns nicht direkt, sondern erst durch Vermittelung der Lunge und dann des Herzens den Tod herbei. - (wv)

Parasiten (5)  Parasitismus oder Schmarotzertum bezeichnet eine Situation, in der ein Organismus sich auf Kosten eines anderen entwickelt. Er unterscheidet sich vom KOMMENSALISMUS, bei dem einer der Organismen vom anderen profitiert, ohne ihm zu nutzen oder zu schaden und von der Symbiose, in der das Zusammenleben für beide Organismen von Vorteil ist. Lebt der Parasit an der Körperoberfläche des Wirtes, nennt man ihn »Ektoparasit«, lebt er im Körperinneren »Endoparasit«.

Für den Menschen sind Flöhe Ektoparasiten und Bandwürmer Endoparasiten. Viren lassen sich als Zellparasiten einstufen.

Arten, die auf ein Leben als Parasiten spezialisiert sind, haben im Laufe ihrer Evolution gewisse Organe verloren, insbesondere Sinnes- und Bewegungsorgane, während sich andere besonders stark, ausgebildet haben, vor allem solche, die mit der Fortpflanzung verbunden sind.  - (thes)

Parasiten (6)   Unsere Welt ist voll von Kopisten und Nachahmern, man überhäuft sie mit Reichtum und Ruhm. Interpretieren lohnt sich mehr denn komponieren, eine Meinung zu einem fertigen Werk zu haben lohnt sich mehr als ein eigenes Werk zu schaffen. Das Übel der Zeit ist die Überschwemmung des Neuen durch die Duplikate, der Untergang der Intelligenz im Behagen am Immergleichen. Produktion ist ohne Zweifel etwas Seltenes, sie zieht Parasiten an, die sie auch sogleich banalisieren. - Michel Serres, Parasiten. Nach: telepolis

Parasiten (7)   haben aus zwei Gründen eine verheerendere Wirkung als Räuber. Zum einen, weil es mehr von ihnen gibt. Menschen zum Beispiel sind nicht von Räubern bedroht - andere Menschen und weiße Haie einmal ausgenommen -, aber sie haben eine Menge Parasiten. Selbst Kaninchen, die von Wieseln, Füchsen, Bussarden, Hunden und Menschen verzehrt werden, sind die Wirte für eine noch weit größere Zahl von Flöhen, Läusen, Zecken, Stechmücken, Bandwürmern und ungezählte Formen von Protozoen, Bakterien, Pilzen und Viren. Durch das Myxomatose-Virus bleiben weit mehr Kaninchen auf der Strecke als durch Füchse. Der zweite Grund ist gleichzeitig die Ursache für den ersten; Parasiten sind in der Regel kleiner als ihre Wirte, Räuber dagegen sind größer. Das bedeutet, daß Parasiten kürzere Lebensspannen haben und innerhalb eines bestimmten Zeitraumes mehr Generationen durchleben als ihre Wirte. Die Bakterien in Ihrem Darm bringen im Laufe Ihres Lebens sechsmal so viele Generationen hervor, wie die Menschheit brauchte, um sich vom Affen bis heute zu entwickeln. Als Folge davon vermehren sich die Bakterien rascher als ihre Wirte und können die Wirtspopulation dadurch kontrollieren und eindämmen. Räuber dagegen folgen nur dem Beuteaufkommen. - Matt Ridley, Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München 1996

Parasiten (8)  Nach Professor E. Warren belaufen sich die im Jahre 1919 bekannten Gäste des Termitennestes auf 496, von denen 348 zu den Käfern gehören. Jeden Tag werden neue entdeckt. Man teilt sie ein in wirkliche, freundschaftlich behandelte Gäste (Symphiles), in geduldete oder gleichgültige (Synoeketes), in Eindringlinge, die verfolgt werden (Synechtres), und in Parasiten im eigentlichen Sinne (Ectoparasites).  - (maet)


Ernährungsverhalten Nahrungserwerb Fressen

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Unterbegriffe

VB
Tierleben

Synonyme
Schmarotzer