apierflieger  Eines flog vergnügt, bald in weiten Kreisen, bald geradeaus, dann stieg es, eine Luftströmung ausnutzend, langsam wieder hoch. Es gewann wieder die alte Flughöhe, näherte sich Francescos Balkon und segelte dann weit weg. Wiederholt stieg es höher als die Stelle, von der aus es gestartet war. Francesco war wie verhext von den Schleifen und Schlingen des Papiers in der Luft. Das Flugzeug schien dann langsamer zu fliegen, bis es fast zum Stillstand kam, dann bog es ab, einmal nach rechts, einmal nach links, und gewann wieder Geschwindigkeit. An jenem Nachmittag war die Zeit in der Schwebe. War Francesco in der Schwebe. Seine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich so auf den Flieger, daß er keinen Unterschied mehr spürte. Der Flieger senkte sich, flog über das Garagendach hin, wenige Zentimeter über dem Kies. Und wieder stieg er auf, wieder gewann er in den durchsichtigen Buchten der Luft an Höhe und tanzte weiter in Francescos Mittelpunkt der Welt. Dann schien er mit einer Bewegung, die schroffer war als die anderen, eine genaue Richtung einzuschlagen, als ob er ein bestimmtes Ziel ausgemacht hätte. Und mit Entschlossenheit flog er dorthin, immer schneller. Francesco merkte, daß er in die Zeit zurückfiel, während der Flieger auf einen niedrigen Balkon im ersten Stock des Wohnhauses auf der linken Seite zusteuerte. Der Balkon war leer, ohne Glaswände, ohne Metallschränke, ohne Kinderspielzeug. Kahl. Die Tür zur Wohnung war geschlossen. Der Flieger flog geradeaus. Schnell auf den Balkon zu. Ohne zu zaudern, flog er hinein. Doch auf halber Höhe hielt er an, als sitze er in der Luft fest.

Francesco wog einen großen Korb voll Gedanken auf einmal, weil er keinen finden konnte, der für den unerklärlichen Umstand geeignet gewesen wäre. Er lehnte sich vom Balkon hinunter, um besser sehen zu können. Dort unten, eingerahmt von einem Balkon, einer Schachtel ähnlich wie alle anderen Balkone dieser kantigen Mietskasernen, einer Erfindung des Baustils der sechziger Jahre, stand mitten in der Luft, unbewegt, fern jeglicher Wand, der Papierflieger.  - Dario Voltolini, Flieger, in: Italia fantastica! Berlin 1997 (WAT 280) 

 

Papier

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme