antheon, indisches
Alle diese Geschöpfe leben in Welten für sich unter eigenen Königen
oder kommen nebeneinander in der Welt der Menschen vor. Der immer
an-thropomorph gedachte Götterkönig oder »König der 30 (32) Götter«, der
Himmelsgott Indra, der seinen diamantenen Donnerkeil (wadschra) als
furchtbare Waffe führt, ist In alter Zeit der Fürst des Himmels. In
späterer Zeit treten bei den Brahmanen Über ihn das personifizierte
Abstraktum Brahman (Himmelsfeuer) als persönlicher Gott und Schöpfer,
Wischnu als Erhalter, Schiwa als Vernichter und Herr des Zaubers, dem
die Krieger und die Räuber, die Hexen und Zauberer huldigen. Bei den
Dschaina werden die 24 Propheten oder Dschina (Arhat) vergöttlicht und
in späterer Zeit als die »Obergötter« betrachtet, denen alle anderen
untergeordnet sind1. Der König der Vögel ist der göttliche Adler Garuda,
später als Wischnus Reittier gedacht, der König der Vierfüßler je nach
den verschiedenen Gegenden Indiens der Löwe oder der Tiger, der König
der Pflanzen in wedischer Zeit der Söma, das Kraut, aus welchem zu
Opferzwecken der Unsterblichkeitstrank gebraut wurde. Das Gefäß, in dem
dieser indische »Nektar« - in späterer Zeit Amrita, »Unsterblichkeit«,
genannt - bei den Göttern aufbewahrt wird, ist der Mond, der oft mit ihm
unmittelbar identifiziert und ebensooft zugleich persönlich gedacht
wird. Denn die Inder haben die den alten Indogermanen überhaupt eignende
merkwürdige Gabe, sich personifizierte Naturkräfte zugleich in ihrer
elementaren und in ihrer vermenschlichten Gestalt vorzustellen, während
es andererseits auch zahlreiche Stellen in der Literatur gibt, die von
Verwandlungen aus der einen in die andere Gestalt sprechen.
Einige Beispiele für die höheren Wesen, welche nach indischem Glauben die Welten bevölkern, seien hier angeführt.
Himmel (Winatä in Gestalt eines weiblichen Adlers), Erde
(Kadrũü in Gestalt einer weiblichen Schlange), Feuer (Agni), Sonne
(Sürja), Mond(Tschandra), Morgenrot (Aruna), Wolke (Pardschanja), Winde
(Marut); Flüsse (Apsaras, zugleich Götterhetären am Hofe Indras),
namentlich die Gangā, der Strom, der aus der Welt der Götter, in der man
sie als Milchstraße sieht, auf Schiwas Haupt herabfällt und von da aus
durch die Welt der Menschen in die Unterwelt strömt; das Meer; der
Himalaja, dessen Tochter Durgā, die mit blutigen Opfern verehrte Göttin,
Schiwas Gemahlin ist; Bäume (der Rauhina im Sauparna), die Wunschbäurne
und Wunschlianen in Nandana, dem Park Indras, gelegentlich aber auch
auf der Erde, welche alle an sie gerichteten Bitten erfüllen, wie unter
den Steinen die Wunschedelsteine; Tiere: die Kuh, die überall in Indien
als heiliges Wesen gilt und in der Wunschkuh Surabhi und den
anderen alle Wünsche gewährenden Wunschkühen ihre edelste Gestalt
erreicht; die acht Weltelefanten, welche die Haupt- und
Nebenhimmelsgegenden bewachen: der Reiher Nädidschanghaf; der Rischi
Tärkschja, ein Vogel; der Adler Garuda,
der die Schlangen vertilgt. Frösche, Schlangen, sowohl die himmlischen
als die aus der Unterwelt auf die Erde emporsteigenden - Alle
diese dämonischen Tiere können Menschengestalt annehmen. Unter den
Gestalten, in denen Wischnu die Welt erlöste, befinden sich die
tierischen des Fischs, der Schildkröte, des Ebers und des Schimmels. In
einer anderen Verkörperung tritt er als Mischgestalt halb Mensch, halb
Löwe, auf, wie die die Gebirge bevölkernden Kimpuruscha oder
Kinnara als Wesen gedacht werden, die Roßköpfe auf Menschenleibern
tragen. Außer dem bereits genannten, zum obersten brahmanischen Gott
erhöhten Ab-straktum Brahman gibt es noch andere Abstrakta, welche als
Götter und Göttinnen gedacht werden und jederzeit Menschengestalt
annehmen können: z. B. Watsch, die Rede, die als Hymnus - Gebet oder
Zauber - die Götter zum Geben zwingt, als Fluch, namentlich aus dem
Munde eines Brahmanen, zu unfehlbarem Verderben führt. - Nachwort zu: Indische Märchen. Hg. und Übs. Johannes Hertel. München 1953 (Diederichs, Märchen der
Weltliteratur)
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