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Panik (2)
Rolltreppen im August Die Panik der vielen einzelnen Personen, die nie richtig hochgeschlagen, ihre Kleider zugehalten, die Knie die Krawatten festgezogen, der Anzug nicht verbeult, schlechten Atem, Gestalten in gläsernen Kabinen, die Die Panik der Straßenbahnfahrer, die aussteigen, über den zerrissenen Telefonbüchern, Litfaßsäulen, wo Klavierkonzerte
hochziehen, die jeden Laut durchlassen, Husten, Pißgeräusche,
Panik auf den Konten, die verwüstet sind, Panik am vertrockneten städtischen Anlagen und Kinderspielplätzen. zerlaufenes Eis, Panik beim Umdrehen auf der Straße, und die
den Fahrstühlen, Panik der Felle, Panik der Zigarettenraucher,
Fernsehpanik, Schwedenpanik, englische
Panik. Die Panik vor der Spieler, Panik der Zuschauer, die
Panik auf einer Rolltreppe besser machen, Paniksätze, Panikwörter, Panik der öffentlichen
in den Konservendosen, Panik in den Knochen, Panik in den silbrigen Fußnägel, Panik der Krücken und Rollstühle, die Rondell, eine Panik akzentuierter Aussprache, eine Panik der
der Dialektik, Panik der grün gepuderten Augenlider, Panik der
der Mittagspausen, die Panik aus den Wasserhähnen, die Panik,
Danke schön sagens und die Panik der Wiederspiegelung der Häuser,
der Hier hast du die Panik der stummen Männer und Frauen, die Häusern, Panik auf den Dachgärten, Panikgeruch, Panikstaub, Panik
den Akten, die Panik an den Zugfenstern, die Panik in den Panik der letzten Termine, Panik der Kalender, Panik der Verabredungen
Mietzimmerpanik und die Panik der ausgestreckten Hand, die Panik hinter der zugezogenen Gardine, eine blutige Fresse Panik,
am Kanal entlang zu gehen, Panik der Vornamen, Panik aufgekrempelter der Kontrolleure, die Panik der Schlachthöfe, die Panik der die Panik des Schweins, dem ein Bolzen
in den Kopf geschossen wird, gelassener Rolläden, die neue Panik in der Regierungserklärung: das Panikgeräusch aus den Schönheitssalons, Unterwasserpanik,
Panik, die in Form eines Säuglings an den Geschäften entlang
füllen sich mit Panik. Die Panik färbt ein Unterhemd gelb. Die
beim Einkaufen, Panikfarben der Saison, kalte Füße, Hausnummern,
unter dem Fußboden, Panik unter der Unterwäsche, Panik am Panik am Strand und aus dem Strandkorb schauend, gefärbte am Eingang der Kaulhalle, drei Mark fünfzig Panik, dunkle nach Hause kommen und in den Vorgarten sehen, Panikgewürz, Paniknotizen, die Panik der Autobiografien in den Schau sich schlafen legen, die Panik vor dem Einschlafen
und die tanzt, die Panik, die in der Regierung sitzt und regiert, die
kein Dolmetscher. Mitten am Dienstag, auf der Straße, herrscht
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- (westw)
Panik (3) Einmal, in dem Augenblick,
als ich gerade mit dem Lift nach oben fuhr, sagte der Liftboy zu mir: »Der Herr
ist gekommen, er hat eine Botschaft für Sie dagelassen.« Der Liftboy brachte
diese Worte mit einer völlig heiseren Stimme hervor, er hustete und spie mir
dabei andauernd ins Gesicht. »Was für eine Erkältung ich habe«, setzte er hinzu,
als ob ich außerstande sei, das selber festzustellen. »Der Doktor. sagt, es
ist Keuchhusten«, und er begann von neuem zu husten und mich zu. übersprühen.
»Schonen Sie nur Ihre Stimme«, sagte ich, zu ihm mit einer Miene von Güte, die
geheuchelt war. Ich fürchtete, den Keuchhusten zu bekommen, was bei meiner Neigung
zu Erstickungsanfällen für mich sehr peinlich gewesen wäre. Aber wie ein Virtuose,
der nicht als erkrankt gelten will, setzte er seinen Stolz darein, die ganze
Zeit zu sprechen und zu spucken. »Ach, das macht nichts aus, sagte er (dir vielleicht
nicht, dachte ich, aber mir). Im übrigen gehe ich bald nach Paris (um so besser,
vorausgesetzt, daß er mich nicht vorher angesteckt hat). Es scheint, fuhr er
fort, daß Paris ganz großartig ist. Es muß noch viel großartiger dort sein als
hier und in Monte Carlo, obwohl Hotelpagen, auch Gäste und sogar Oberkellner,
die für die Saison nach Monte Carlo gingen, mir oft gesagt haben, so großartig
wie Monte Carlo sei Paris denn doch nicht. Sie haben sich vielleicht geirrt,
aber immerhin, wenn man Oberkellner werden will, darf man kein Dummkopf sein;
um alle Bestellungen zu behalten und Tische zu reservieren, braucht man eine
Menge Verstand! Es hat mir jemand gesagt, das sei ärger, als wenn man Theaterstücke
oder Bücher zu schreiben hat.« Wir waren fast auf meiner Etage angekommen, als
der Boy mich noch einmal hinunterfahren ließ, weil er fand, der Schaltknopf
funktioniere nicht recht; im Handumdrehen hatte er ihn wieder in Ordnung gebracht.
Ich sagte ihm, ich würde lieber zu Fuß hinaufgehen, was besagen und verbergen
sollte, daß ich mir lieber nicht den Keuchhusten holen möchte. Aber mit einem
Anfall von herzhaftem, keimträchtigem Husten drängte er mich in den Aufzug zurück.
»Es ist gar keine Gefahr mehr, jetzt wo ich den Schaltknopf in Ordnung gebracht
habe.« - Marcel Proust,
Auf der Suche nach der verlorenen
Zeit (Sodom und Gomorra) Frankfurt am Main 1965, zuerst 1913 ff.)
Panik (4) Einige Leutnants lachten und steckten sich Zigaretten an. Sie wollten die Kerle tüchtig zusammenfegen, sie freuten sich auf die Straßenreinigung, für junge Offiziere ist so etwas immer ein Spaß. Gerade aufgerichtet, mit ein wenig stupiden Mienen, harrte die Mannschaft.
Da fiel ein Schuß, ein Reiter stürzte vom Pferde. — Der Oberst winkte und ritt vor die Front. Sein echtes, verbissenes Soldatengesicht mit der bronzefarbenen gegerbten Haut schien in diesem Augenblick wahrhaft schön. Er salutierte zum schweigenden Palast hinauf — wie ein »Ave Caesar« war es —, dann klangen ein paar Hornsignale, und mit einem lauten Hurra warf sich die geschlossene Reitermasse gegen die Barrikaden. Die Pallasche weit vorgestreckt, den gespenstischen Roßhaarbusch nachwehen lassend, hingen die Reiter über den Hälsen ihrer dahinjagenden Pferde. Das scharfe Geknatter einer Salve empfing sie. Vielleicht fünf Kürassiere glitten aus dem Sattel. Aber — die Pferde versagten — das war weit schlimmer. Sie stiegen auf, bäumten sich kerzengerade und warfen ihre Herren ab. Unter durchdringendem Wiehern rasten sie in weitem Bogen um den großen Platz, stürzten sich, die Barrikaden überspringend, mit entsetzlicher Wucht auf Aufrührer und Soldaten, dabei alles niederschlagend, was sich ihnen in den Weg stellte; eine Pferdepanik war ausgebrochen! Die Tiere, welche übernatürliche Kräfte zu haben schienen, waren wie Besessene.
In diesem Moment traf die erwartete Verstärkung ein, die das Unglück noch vergrößerte. Die angekommenen Gäule witterten die gewaltige Bewegung und wurden sofort mit hineingerissen. Morsche Geschirre und Sattelgurte platzten, und die Reiter, die keinen Halt mehr fühlten, überkollerten sich und wälzten sich am Boden, bevor sie noch recht wußten, wo der Feind war. Aller Lasten ledig, stob die wilde Herde gegen die Kaserne, daß die Funken sprühten.
Ich stand in der Langen Gasse, als ich ein herannahendes Donnern vernahm — instinktiv stieg ich auf eine kleine Mauer an der Seitenwand des Kaffeehauses — da prasselten schon die Hufe auf dem Pflaster - ich blickte in verstörte, gequollene Augen - sah aufgetriebene Nüstern und verzerrte Mäuler - roch ein paar Augenblicke den scharfen Schweiß — dann war alles im aufgewirbelten Staub verschwunden, in der Richtung gegen die Felder.
Fett und träge saßen die großen Geier auf ihren Piedestalen, den Stümpfen der Alleebäume, und sahen gleichgültig auf die Vorbeiziehenden. Nur einem nachhinkenden braunen Gaul, der sich beständig im Kreise drehte, schenkten sie etwas mehr Aufmerksamkeit.
Die aufgeregte Jagd umkreiste die ganze Stadt. Einzelne Versprengte fegten
wie blind durch die krummen Gassen, bis sie sich an einer Mauerecke die Schädel
einrannten. Die Hauptmasse verkeilte und staute sich mehrmals in engen Passagen
und Sackgassen, bis sie auf der Schutthalde anlangte. Da gab's keinen Ausweg
mehr! — Die Schwachen wurden von den Stärkeren niedergetrampelt, es fielen Hufschläge,
daß die Gedärme spritzten
und übler Dampf sich verbreitete. Der alte Oberst wäre wohl erfreut gewesen,
wenn er den schönen Erfolg seiner Attacke hätte ansehen können; denn unzählige
Aufrührer fanden dabei durch Zertrampeln ihren Tod. Doch eine Faust in weißem
Stulphandschuh war alles, was von ihm erkennbar blieb — der Rest war in dem
Wust von Gliedern, Kürassen, Knochensplittern, Helmen, Sätteln und Zaumzeug
vollständig aufgegangen. - Alfred Kubin,
Die Andere Seite. München 1975 (zuerst 1909)
Panik (5) Als die Titanic
sank, sollen es die ratten gewesen sein, die als erste das tanzparkett
verließen, in jener lasterhöhle von tangoloch jedoch waren es die
tänzer, die als erste das fluchtbein ergriffen, worauf natürlich auch
die ratten ein exempel statuierten und stehenden fußes ins freie und zu
neuem leben strebten. Die stadt war in aufruhr; was keine beine
hatte, trachtete notdürftig im handstand fortzukommen, arm- und beinlose
suchten durch geschickte purzelbäume ihr karges bißchen leben zu
retten, stumme wurden redend, redende verstummten, reiche tanten warfen
ihren schmuck ab, um leichter von der stelle zu gelangen, kackende
unterbrachen ihr wichtiges geschäft und flitzten ungewischt auf die
straßen, hosentrager baumelten, schnürsenkel schleiften, sehr
gewissenhafte hatten dennoch in der eile ungleiche schuhe angelegt,
herren waren in damenröcke geschlüpft, damen hatten die beinkleider
ihrer momentanen liebhaber wie boas um die schultern geworfen,
heldenmütige kinder trugen großväter huckepack, tapfere urahnen
schleppten ihre gesamte nach-kommenschaft in rucksäcken und eierkiepen
nach sicheren parks und breiten squares, es regnete schindeln und
ziegel, reißzwecken und echte ge-mälde, mutige bandoleros warfen sich
waffenlos in stehengelassene, offenstehende banken und packten sich die
brusttaschen und aktenmappen voll, andere desperados, leute, die nichts
zu verlieren, aber manches zu gewinnen glaubten, betraten entleerte bars
und pubs, um das rauschen noch lange nicht versiegender bierhähne zu
vernehmen oder die leichten seufzer jungfräulicher whisky-buddeln
während ihrer devirginierung. - H.
C. Artmann,
How much, schatzi? Frankfurt am Main 1971
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