andämonium
An nicht wenigen kirchlichen Portalen prangen gotische Figuren, doch sind diese
zur Zeit derart verrußt und verlottert, daß man sie eigentlich weit mehr für
die Abbilder Verworfener halten müßte denn als solche von Auserwählten des Paradieses,
denen bestimmt ist, den Glorienschein zu tragen. Es fehlt diesen alten Heiligen
hier eine Nase, dort ein Ohr oder gar ein Arm. Die Engel und Cherubim haben
ihre Flügel verloren, der Erzengel des Jüngsten Gerichts bläst zwar noch aus
vollen Backen, jedoch ohne Trompete. Wahrhaft schrecklich schauen sie also drein,
diese vom Zahn der Zeit benagten Antlitze des Himmels. Und man unterstreicht
diese Trübsal noch, indem man die verräucherten Statuen mit frischen Blumen
schmückt! Der Kontrast beleidigt das Auge. Die Üppigkeit frischer Rosen verleiht
den asketischen Heiligen Teufelsfratzen. Als unverzeihlich schlecht entpuppt
sich da der Frommen Geschmack; sie verhöhnen die Standbilder, die zu ehren sie
trachten... Was insbesondere die Fassaden von Notre-Dame anbetrifft, sind sie,
alles in allem, derart bizarr, daß an ihnen ein jeder genau das an Theologie,
Kabbalistik und Alchimie finden kann, was er gerade braucht. Ein Eingeweihter
versicherte mir einst, daß in dem grotesken steinernen Pandämonium, das sie
bevölkert, der Stein der Weisen verborgen liege. Nur wisse man eben nicht, wo
genau in jenem Ungeheuern Irrgarten voller Rätsel er sich befinde... - Louis Sébastien Mercier, Mein Bild von Paris.
Frankfurt am Main 1979 (zuerst ca. 1780)
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