Pan  Als sie ganz still und blaß dalag, zog der Doktor eines ihrer Augenlider hoch: sie war bewußtlos. Raymond drückte auf einen der Hebel, worauf der Stuhl sich nach rückwärts senkte. Clarke sah, wie der Arzt auf dem Kopfe des Mädchens einen runden Fleck von Haaren befreite und die Lampe näher heranführte. Als Raymond aus einer kleinen Kiste ein glitzerndes Instrument hervorholte, wandte Clarke sich schaudernd ab. Er wagte erst wieder aufzublicken, als der Doktor die Wunde, die er gemeißelt hatte, schon verband. »In fünf Minuten wird sie erwachen.« Raymond war noch immer vollkommen kalt. »Wir können nichts mehr tun, nur warten.«

Die Minuten flossen träge dahin. Sie hörten das langsame, schwere Ticken einer Uhr, die draußen auf dem Korridor stand. Clarke fühlte sich schwach und krank, seine Knie begannen zu zittern, er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Dann vernahmen sie ein langgezogenes Seufzen, die Farbe, die aus dem Antlitz des Mädchens gewichen war. kehrte zurück, und sie schlug die Augen auf. Clarke erbebte vor diesem Blick. Die Augen leuchteten in einem erhabenen Glanz und schienen weit in die Ferne zu blicken; auf dem Gesicht des Mädchens lag ein großes Erstaunen, und ihre Hände streckten  sich nach etwas Unsichtbarem aus. Dann aber wich der Ausdruck des Erstaunens und machte dem des Grauens Platz. Die Muskeln ihres Gesichts verkrampften sich auf eine unerhörte Art, und ihr Körper erzitterte vom Kopf bis zu den Füßen; die Seele schien in ihrem Gehäuse aus Fleisch zu revoltieren und zu erzittern. Es war ein grauenvoller Anblick; Clarke stürzte nach vorn, als sie schreiend zu Boden fiel.

Drei Tage später führte Raymond Clarke an Marys Bett. Dort lag sie mit weit aufgerissenen Augen, rollte den Kopf hin und her und grinste ausdruckslos.

»Ja«, sagte der Arzt noch immer ungerührt, »schade um sie, aber sie ist hoffnungslos idiotisch. Es war leider nicht zu vermeiden. Trotzdem: sie hat den großen Pan gesehen.«   - Arthur Machen, Der große Gott Pan, in: A.M., Die leuchtende Pyramide. Frankfurt am Main 1982

Pan (2) Ich wagte nicht, tiefer in die lautlose Senke vorzudringen.

Und da erblickte ich ihn plötzlich.

Bis zu den Achseln in die Kletten eingetaucht, hockte er vor mir.

Ich sah seine runden Schultern in einem schmutzigen Hemd unter einem schlampigen, zerlumpten Überrock. Lauernd, gleichsam sprungbereit, saß er da - die Schultern gebeugt wie unter einer großen Bürde. Sein Leib keuchte vor Anstrengung, und von seinem kupferroten, in der Sonne glänzenden Gesicht troff der Schweiß. Ohne sich zu rühren, schien er doch schwer zu arbeiten, sich regungslos mit einer ungeheuren Last abzumühen.

Festgenagelt von seinem Blick, der mich mit Zangengriff umklammert hielt, stand ich da.

Es war das Gesicht eines Landstreichers oder Trinkers. Ein Büschel schmutziger Zotteln zauste sich auf seiner hohen und gewölbten Stirn, einer Stirn wie ein vom Fluß gewalzter Steinklumpen. Doch diese Stirn wand sich in tiefen Furchen. Man konnte nicht sagen, ob es Schmerz, die brennende Sonnenhitze oder übermenschliche Anstrengung war, was sich so tief in das Gesicht eingegraben hatte und die Züge bis zum Bersten spannte. Die schwarzen Augen bohrten sich mit der Intensität äußerster Verzweiflung oder heftigsten Schmerzes in mich hinein. Diese Augen blickten mich an und blickten doch nicht, sie sahen mich und sahen mich gar nicht. Es waren pralle Kugeln, vorgewölbt in höchster Schmerzekstase oder in der wilden Wonne der Verzückung.

Und plötzlich stülpte sich aus den zum Bersten angespannten Zügen eine furchtbare, leidgebrochene Grimasse, und diese Grimasse wuchs, nahm den Wahnsinn und die Verzückung in sich auf, schwoll an, beulte sich immer weiter aus, bis sie mit brüllendem, röchelndem, hustendem Gelächter aufbrach.

Zutiefst erschrocken sah ich, wie er sich langsam, unter dem dröhnenden Gelächter seiner mächtigen Brust, aus der Hocke emporschwang und, gebückt wie ein Gorilla, die herabfallenden Hosenlumpen packte und in großen Sprüngen über die schlappenden Klettenbleche hinwegsetzte — ein Pan ohne Flöte, der panisch in seine heimatlichen Waldungen entfloh.   - Bruno Schulz, Pan. Nach (bs2)

Pan (3)
 

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