(kü)
Paar (2) ANFÄNGLICH , als sie sich begegneten, liebten sie sich, weil beide auf verschiedenen Wegen ein extremes und einsames Unglück erfahren hatten. Das Leben der Frau war ein zutiefst bitteres gewesen, das Leben des Mannes von vorzeitigem Mißgeschick verfolgt. Sie vereinigten ihre Bitterkeit und ihr Mißgeschick und versuchten, sich in liebevoller Weise zu helfen und halfen sich, ohne dabei einen Rückgang der Bitterkeit oder eine Wandlung des Mißgeschicks zu erleben. Gestärkt durch die Einzigartigkeit ihrer Verbindung, durch jenes negative Vorzeichen, unter dem sie stand, entfalteten sie rings um ihre Traurigkeit eine beständige, treue und aufmerksame Liebe. Sie trösteten sich — im sicheren Bewußtsein, daß kein Trost möglich sei. Jeder der beiden blieb weiterhin das, was er im vorhergehenden Leben gewesen war, aber gemeinsam lebten sie eine Beziehung, die den Schmerz nicht leugnete, sondern ihn irgendwie verband.
Aber die Liebe hat ihre Tücken. Eine Zeitlang ging ihre Liebe — wechselseitig zur Bitterkeit und zum Mißgeschick — noch durch denjenigen hindurch, der in dem jeweiligen Zustand lebte; da dieser Zustand aber die Grundlage, die Garantie und den Sinn ihrer Liebe bildete, begannen sie bald, Bitterkeit bzw. Mißgeschick des anderen unmittelbar zu lieben; sie warfen sich zu gegenseitigen Wächtern auf und begannen achtzugeben, daß der andere sich nicht zu weit von seiner Bedrängnis entfernte. Jeder war eifersüchtig auf den Schmerz des anderen, und in Kürze betrachteten sie bereits den Versuch, sich von dem Schmerz zu entfernen, als Zeichen der Untreue. Da sie beständige Charaktere waren, lernten sie ein jeder den eigenen Schmerz als Pfand der Liebe des anderen zu lieben, und jeder behütete seinen eigenen Schmerz und wachte über den Schmerz des anderen.
Auf diese Weise erlangte ihr verliebter Zustand ein vollkommenes Gleichgewicht, wo jeder zum Zentrum des anderen vordrang, indem er die Territorien seiner Angst durchquerte und kontrollierte. Täglich vergewisserte sich jeder von beiden, ob die eigene Angst und des anderen Angst noch intakt seien. ja, sie versuchten sogar, ihr Leiden noch zu steigern und zu vervollkommnen; zuerst, indem jeder sein eigenes Leiden vermehrte, dann, indem jeder sich bemühte, das Leiden des anderen zu vermehren.
Sie lernten einander von Grund auf kennen und durchbohrten sich gegenseitig
mit Geduld und Scharfsinn und ließen sich durchbohren. Jeder begleitete
den anderen auf dem Weg zu einer unwiderruflichen Herabsetzung. Jetzt bereiten
sie — keineswegs ahnungslos — sorgfältig die langsame, gewissenhafte gegenseitige
Vernichtung vor. - (
pill
)
Das Paar dachte, Erickson wolle es erst einmal kennenlernen und
würde dann bei der nächsten Sitzung direkt auf das Problem eingehen. Doch
am Ende der ersten Sitzung empfahl er den beiden, an einem der nächsten
Abende ein Essen zu veranstalten, das den Wünschen beider entspräche: Die
Frau sollte ihr langsames Essen inklusive Zeit für Gemeinsamkeiten bekommen,
der Mann dagegen seine bevorzugte große Portion. Ohne zu merken, daß es
unter sanftem Druck des Therapeuten agierte, stellte sich das Paar einer
Spiegelung des eigentlichen Problems und konnte seine Probleme mit Hilfe
des Spiegels selbst lösen. Der Abend endete so,
wie Erickson gehofft hatte — das Paar übertrug den verbesserten Essensrhythmus
aufs Bett. - (
macht
)
- Alfred Hitchcock, in: François Truffaut, Mr.
Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? München 1973 (zuerst 1966)
Paar (5) SELENISSA. Ich bitte / mein werthester Bräutigam geruhe / als ein Zeichen meines standhafftigen Gemüths und reinen Hertzens / diesen Demant von mir anzunehmen!
DARADIRIDATUMTARIDES. Den wil ich nicht verlieren / als mit dieser Faust. Ich glaube / daß Amor selbst seine Pfeile hierauff geschärffet habe. Wer ist auff der gantzen Welt glückseliger / als ich? Don Cacciadiavolo, Don Diego, herfür! wünschet eurem großmächtigsten Capitain Glück. J'ay gaigne mon proces! Die Festung / die ich bißher so lange belagert / hat parlamentiret, der Accord ist geschlossen / und soll von uns beyden auff künfftig unterzeichnet / auch bald darauff die Citadel in posses genommen werden. Vive l'amour & ma Deesse!
CACCIADIAVOLO und DIEGO. Vive l'amour & sa Deesse!
CACCIADIAVOLO. Es ist kein Bluts-Tropffen in meinem gantzen Leibe / der sich nicht in lauter kleine Feur Granaten verkehre / und mir durch alle Sinnen und Geister schwerme. Ich wündsche diesem neuen Marti und der andern Veneri unvergleichliches Glück!
DON DIEGO. Pallas und Bellona lasse diß treffliche Paar glücklich zusammen kommen / frölich beysammen leben / und langsam von einander geschieden werden.
DARADIRIDATUMTARIDES. Aus uns werden Kinder geboren werden / welche die Welt bezwingen / die Hölle stürmen / und den Jupiter aus dem Himmel jagen werden / nicht anders / als wie die Riesen / welche Berge auff Berge gesetzet / durch die Woicken gedrungen / und biß an die neundte Sphser Sturm gelauffen sind. Ich kenne mein Geschlecht / und weiß gar wohl / aus was für einer Art wir kommen. Alsbald ich auf diese Welt gebohren bin / hab ich auff der Erden herum gesprungen / ich habe meines Vätern Degen von der Maur herunter gezogen und damit so ritterlich herum geschwermet / daß ich der Hebammen den Köpft / und der Kinder-Magd den Leib entzwey gehauen.
DON DIEGO. Es brennet bey zeiten / was eine Nessel werden soll.
DARADIRIDATUMTARIDES. Muth komt vor den Jahren
bey wackeren Gemütern. Einen Chevalieur muß man aus dem Bart nicht sestimiren.
Cet assetz! Last uns herein / Don Diego, daß man die Trompeten bestelle
/ Don Cacciadiavolo, daß man unsre Hochzeit mit einem Salve verehren lasse!
- Andreas Gryphius, Horribilicribifax (1650 / 1663)
Paar (6)
Wahrhaftig, wir Beide bilden Sie ist ein leidendes Kätzchen,
Sie sei eine Lotosblume, Die Lotosblume erschließet Worte! Worte! keine Taten! Doch vielleicht ist dir zuträglich Ja, ich fürchte fast, es riebe, Viel gesünder, glaub ich schier, Deshalb unsrem Herzensbund, |
|
- Heinrich Heine
Paar (7)
Mit Pickeln in der Haut und faulen
Zähnen |
|
- (
benn
)
Paar (8)
doppelchor es mann spielst unser frauen mit nur schilfharfe |
- Ernst Jandl, nach: Dein Leib ist mein Gedicht. Deutsche
erotische Lyrik aus fünf Jahrhunderten. Hg. Heinz Ludwig Arnold, Frankfurt
am Main u.a. 1973
Paar (9) Nie sagen: »Ein Paar« (»Ein
Liebespaar keucht«, las ich gerade) -: es gibt immer nur den einen und
den anderen. - (
bleist
)
Paar (10) Er stand wie üblich früh auf, »mit den ersten Rabenschreien«. Seine Frau schlief noch, im anderen Teil des Hauses. Sie wohnten zusammen und zugleich seit über einem Jahrzehnt getrennt, ein jeder im eigenen Bereich; beim anderen jeweils anklopfend; selbst in den gemeinsamen Räumen, dem Eingang, dem Keller, dem Garten, gab es unsichtbare und sichtbare Trennwände, und wo das schwer möglich war — wie in der Küche —, hausten sie in Zeitverschiebung, so wie sie überhaupt, seit sie sich voneinander losgesagt hatten und auf ihre Weise auseinandergegangen waren, den Alltag grundsätzlich zeitverschoben lebten — auch wenn die Frau seinerzeit ganz natürlich zugleich mit ihm aufgestanden war und sich jetzt zum Liegenbleiben vielleicht eher zwingen mußte? Und sich zum Im-Haus-Bleiben zwang, so wie er in den Garten ging? Und in den Garten, so wie er im Haus war? Und in den für morgen geplanten Alleinurlaub, weil er, wie seit langem nun jedes Jahr, Haus und Garten den Sommer über für sich haben wollte?
»Nein«, sagte der Apotheker. »Wir haben keine Probleme miteinander. Unser Leben ist erst so vollkommen friedlich. Diese Ordnung hat sich ohne Zutun ergeben, und wir merken sie auch gar nicht, höchstens als eine uns davor unbekannte Art von Harmonie, aus der heraus wir für Momente, im Vorübergehen, Gemeinsamkeiten erleben, etwas gemeinsam haben können.«
»Ja, im Vorübergehen«, sagte seine Frau. »Zwischen Tür und Angel. Zwischen
Fenster und Gartenstuhl. Zwischen Baumkrone und Kellerluke.« - Peter
Handke, In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Frankfurt
am Main 1999 (st 2946, zuerst 1997)
Paar (11) Manche Frau versteht ihren Mann so gründlich
zu verdrängen und im eigenen Hause zu begraben, daß draußen in der Welt
kein Mensch von ihm spricht: Lebt er noch? Lebt er nicht mehr? Man weiß
es nicht. Er dient in seiner Familie nur noch als Beispiel schüchternen
Schweigens und völliger Unterwürfigkeit. Zwar hat er weder Witwengut noch
Frauenanteil zu beanspruchen; aber sonst, und davon abgesehen, daß er nicht
niederkommt, ist er die Frau und sie der Mann. Sie bringen, ohne die geringste
Gefahr, sich zu begegnen, ganze Monate im selben
Hause zu; eigentlich sind sie bloß Nachbarn.
Monsieur bezahlt die Köche, man ist aber immer bei Madame zu Gast. Oft
haben solche Leute nichts gemein, weder Bett noch
Tisch, selbst nicht den Namen: sie leben nach römischer oder griechischer
Weise, jeder hat seinen eigenen, und erst nach geraumer Zeit, wenn man
die Geheimsprache einer Stadt versteht, erfährt man schließlich, daß Herr
B.. seit zwanzig Jahren der rechtmäßige Gemahl von Frau L.. ist. -
(
bru
)
Paar (12) ein sehr belangloser ruhiger Abend
mit belanglosen sehr gewöhnlichen Vorgängen, von denen sie beide zusammen
etwas mehr gesehen hatten. Der eine Vorgang, den sie sich länger angesehen
hatten, ging sie nichts an, er bliebt für sie ohne Bedeutung. Sie hatten
nur zugesehen, wie sich unten etwas abspielte
mit vielen Bewegungen, einigem Hin und Her, mit
Leuten, die sich unter ihnen auf der Straße angesammelt hatten und dann
wieder zerstreuten, mit Wagen, Personenwagen, Taxis, gestaut. Sie hatten
auf dem Balkon nebeneinander gestanden und zugeschaut, sie hatten beide
»etwas gleichzeitig gesehen. Mehr könnte das gar Aidit für sie bedeuten,
nicht mehr sein als eben das, und das war so, nicht anders, geregelt, dadurch
wieder etwas mehr zwischen ihnen beiden in Ordnung gebracht, nahm er an,
sie beide wie zusammengetan zu einem Bild, das ihnen
zeigte, sie kamen aus, ganz gut mit solchen Abenden, so ähnlichen Vorgängen,
den kleinen Erlebnissen und dem Reden darüber nachher, um einander sagen
zu körinen, da ist etwas passiert, ja, was, sieh mit zu, ja, die Leute,
überleg mal, das ging schnell, ja, es ging schnell, wirklich, ja, so ist
das eben, und tot, fortgeschafft, dann bist du weg, ja, aus, zu Ende, wirklich,
einfach weg, da kann man nichts machen, ja, ich find das gut, ja, es geht
so schnell, wenn es schnell geht, ja, ohne Schmerzen, ja, was wirst du
dann machen? und um zu denken: wir haben das gesehen, jeder für sich, ja,
aber zusammen, ja, die Leute, die Wagen, ja, und es ist einfach nichts,
ja, nichts weiter, ja, erstaunlich, wenn man bedenkt, ja, das wirklich,
was macht man dann - (
brink
)
Paar (13) Er hatte zu kurze Beine und einen zu langen Oberkörper und war klein, von gelblicher Gesichtsfarbe und überhaupt häßlich. Das Häßlichste an ihm jedoch war seine Freundin, die ihn um mehr als Haupteslänge überragte, eine behaarte Warze am Kinn trug und darüber eine hexenhaft ausladende Nase. Sie hieß Magdalena, hielt sich für schön und Zedde für ein Genie.
Zu dieser Auffassung war sie langsam, aber zielbewußt von Zedde bewogen
worden, der darin das angenehmste wie auch sicherste Mittel sah, sie zu
veranlassen, ihren Monatslohn mit ihm zu teilen. - Walter
Serner
,
Der berühmte Zedde. In: W.S.: Der Pfiff um die Ecke. Zweiundzwanzig Kriminalgeschichten.
München 1982 (dtv 1741, zuerst 1925)
Paar (14)
- Tomi Ungerer's Kompromisse. Zürich 1982 (kunst-detebe
26070, zuerst 1970)
Paar (15) »Können Sie mir wohl sagen, Maigret, warum die Polizeibeamten in Zivil immer zu zweit gehen, wie die Klempner?«
Das war ihm nie zuvor aufgefallen, und er mußte zugeben, daß es stimmte. Er selber befaßte sich nur selten mit einer Untersuchung, ohne daß er einen seiner Inspektoren bei sich hatte.
Er hatte sich am Kopf gekratzt.
»Ich vermute, das stammt noch aus den Zeiten, da die Straßen von Paris unsicher waren und es besser war, zu zweit als allein zu sein, wenn man sich in gewisse Viertel wagte, vor allem nachts.«
In bestimmten Fällen galt das noch immer, bei einer Festnahme beispielsweise, oder bei einer Durchsuchung zweideutiger Örtlichkeiten. Dennoch hatte Maigret weiter darüber nachgedacht.
»Es gibt noch einen zweiten Grund, der auch für die Verhöre am Quai des Orfèvres von Wert ist. Wenn ein Polizist allein eine Aussage entgegennimmt, ist es stets möglich, daß der Verdächtige, der widerwillig ausgesagt hat, später sein Geständnis widerruft. Vor dem Untersuchungsrichter haben zwei Aussagen mehr Gewicht als nur eine.« Das klang einleuchtend, aber er gab sich nicht damit zufrieden.
»Praktisch gesehen ist es beinahe eine Notwendigkeit. Im Verlauf einer polizeilichen Beobachtung oder Verfolgung zum Beispiel muß man vielleicht einmal telefonieren, darf aber die Person, die man überwacht, nicht aus den Augen lassen. Oder der oder die Betreffende kann in einem Haus mit mehreren Ausgängen verschwinden.«
Pardon, der ebenfalls lächelte, hatte eingewandt: »Da mir mehrere Erklärungen vorgelegt werden, neige ich zu der Auffassung, daß keine davon an sich ausreichend ist.«
Worauf Maigret geantwortet hatte:
»In diesem Falle kann ich nur sagen, wie es mir selbst geht. Wenn ich
mich fast immer von einem Inspektor begleiten lasse, so geschieht es, weil
ich fürchte, mich zu langweilen, wenn ich allein bin.« - Georges
Simenon, Maigret und der Kopflose. München 1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane
13, zuerst 1955)
Paar (16) »Sie scheint Sophie nicht sehr zu lieben.«
»Sie hat noch nie jemanden geliebt. Kein Wunder,
daß ihr Busen so flach ist. Entschuldigen Sie,
das ist nicht sehr geistreich. Ich kann sie nicht ausstehen. Ihn auch nicht,
trotz seines Lächelns und seines freundlichen
Getues. Auf den ersten Blick passen sie schlecht
zusammen, er ganz Honig, sie ganz Essig, aber im Grunde sind sie einander
wert. Wenn ihnen jemand nützlich sein kann, pressen sie ihn bis zum letzten
Tropfen aus, und dann werfen sie ihn weg wie eine Zitronenschale.« -
Georges Simenon, Maigret und der Dieb. München 1980 (Heyne Simenon-Kriminalromane
107, zuerst 1967)
Paar (17) Wie es einem heutigen und/oder klassischen
Motorradpaar entsprach, war dieses in Leder gekleidet, in schwarzes, und trug
dazu Sturzhelme, die einander glichen wie eben nur Sturzhelme. Versteht sich
auch, daß der offenbar jungen Frau auf dem Rücksitz die Haare unter dem Helm
hervorwehten, und daß die Haare, so oder so, blond waren. Die beiden, Mann und
Frau, hatten im Dahinfahren etwas von Geschwistern, gar von Zwillingen. Dem
widersprach freilich, wie die Frau den Mann von hinten umschlungen hielt, und
daß das Lederzeug sichtlich den völlig nackten Körpern anlag. Die zwei hatten
es sich in Eile übergezogen, alle die Knöpfe, die Niet- und Reißverschlüsse
standen offen, und was an dem Gewand auseinanderklaffen konnte, kläffte mehr
oder weniger auseinander. Blätter, Grashalme, Reste von Schneckenhäusern (samt
den Überresten der Schnecken) und Fichtennadeln hafteten auf dem halbentblößten
Rücken des Mannes, nur auf seinem. Die Schulterblätter der jungen Frau wirkten
fleckenlos weiß. Höchstens sahen wir jetzt momentlang einen bauschigen Pappelsamen
an ihnen hängen — und schon wieder weggeflogen. - Peter Handke, Don Juan (erzählt von ihm selbst)
Frankfurt am Main 2006 (st 3739, zuerst 2004)
Paar (18) Um halb zehn Uhr abends klingelt es. Wir sind, ganz verstruwwelt und dreckig, bei der Arbeit an unserem Roman über die Literatur. Es ist Scholl. Hinter ihm ein Schatten, eine Frau: Madame Doche. Zum Vorwand, um sie herzubringen, hat er genommen, daß er ihr unsere Kostüme aus dem 18. Jahrhundert zeigen wolle. Aber der tiefste Grund und Zweck ist, er will ihr bloß zeigen, daß er Freunde besitzt, die ein vergoldetes Möbelstück im Salon stehen haben.
Das garstige Paar! Körperlich und geistig. Madame Doche nur noch Augen, ziemlich hübsche freilich, in einem so müden und verlebten Gesicht, daß es schmutzig wirkt. Er erschöpfter und nervöser als je; als er im Salon auf- und abgeht, hält und dreht er seinen Spazierstock mit der Gestik eines anrüchigen Kerls.
Beide haben etwas gesagt, worin ihre ganze Seele sich verrät. Als ich zu
ihm von seiner vor acht Tagen gestorbenen Schwester sprach, einer noch ganz
frischen Toten, meinte er: »Die Ärzte haben sie umgebracht. Sechstausend Francs
für Arzneien! Mein Vater hätte besser daran getan, mir für das Geld ein Mobiliar
zu kaufen!« Und die Doche anläßlich eines in der Luft liegenden Duells:
»Oh, die Männer sind zur Zeit nicht richtig im Schwung! Vielleicht, weil es
zu kalt ist.« - (
gon
)
Paar (19) Der Altersunterschied war in den Augen
der beiden verschwunden. Beide hatten graues Haar, und das genügte ihnen.
Vielleicht war sogar der Unterschied des Geschlechts bei ihnen verlorengegangen,
oder er bestand nur noch aus Gründen der Höflichkeit. Senora Olivia hatte ihre
Frische bewahrt, denn sie war von zweierlei Schnee bedeckt: der Jungfräulichkeit
und dem Alter. Sie konnte noch anmutig lächeln, und um den Charme vollkommen
zu machen, entsagte sie der Brille. Ihre Rede war flüssig und ihr Körper schlank.
Das Leben erdrückte sie nicht mit der Last voll gelebter Jahre; irn Gegenteil,
es ging von ihr, und so wurde sie durchsichtiger und leichter. In Wirklichkeit
konnte man gar nicht sagen, sie sei alt: Man bemerkte kaum ihr graues Haar.
Emilio hingegen sah alt aus, doch glich er nicht etwa einem Großvater. Er besaß
nicht jene ruhige Würde gut portraitierter Greise. Er war ein alter Gentleman,
der auch noch urn ein Mädchen werben konnte. Sein graues Haar, sein weißer Bart,
sein leicht arrogantes, doch männlich elegantes Aussehen, seine tadellosen Anzüge,
seine Handschuhe waren der Inbegriff der Korrektheit. Mit einem Kind an der
Hand hätte man geglaubt, er sei erst kürzlich Witwer geworden, als Verlobter
einer Fünfundzwanzigjährigen hätte man seine liebenswerte Klugheit loben müssen.
Seine Tante und er waren zwei glatt polierte Marmorstatuen.
In ihrem Innern waren sie Kinder, die eine verspätete Naivität hinter maßvoll
vorgetragenem Stolz verbargen. Die Grazie der alten Dame verdeckte kindliches
Erstaunen, die Kälte des Neffen verhüllte das Mißtrauen eines Halbwüchsigen.
- Leopoldo Lugones, Großmutter Julia. In: L.
L., Die Salzsäule. Stuttgart 1984 (Die Bibliothek von Babel 15, Hg. Jorge Luis
Borges)