aar, altes    Er hatte viel geliebt, dieser alte Gentleman; soweit er das beurteilen konnte, war kein Happy-End dabei herausgesprungen.

Mit einem leichten, anerkennenden Tätscheln legte er die Handschuhe auf einen großen Flügel, der sich im Schatten wie eines der weniger gemütlichen Monster einer prähistorischen Vergangenheit räkelte. Dann griff er nach einem unter seinen rechten Arm geklemmten Päckchen und legte es ordentlich neben die Handschuhe. Er tätschelte auch das Päckchen, allerdings mit leicht ironischer Geste. Nachdem er diese Kleinigkeiten mit angemessener Feierlichkeit und ganz offensichtlich zu seiner vollkommenen Zufriedenheit erledigt hatte, richtete er zwei bemerkenswert strahlende und durchdringende Augen auf die sitzende Frau, die ihn mit einem Ausdruck brütender Feindseligkeit auf ihrem etwas verwaschenen, aber immer noch gutaussehenden Gesicht betrachtete. Lautlos bewegte er sich über den schweren Teppich, beugte sich mit lässiger Galanterie hinab, hob eine der fleischigen Hände der Frau an und küßte sie so unpersönlich, als handle es sich dabei um einen Fisch. Wütend riß sie ihre Hand weg. Er bemühte sich nicht gerade, die Hand zurückzuholen.

»Wie geht es dir, meine antiquierte Dirne«, sagte er ungerührt und gutgelaunt.

Die antiquierte Dirne - eine Frau in den unversöhnlichen Fünfzigern, die sich tapfer gehalten hatte - entgegnete mit beherrschter Leidenschaft: »Nenn mich nicht Dirne, du zerfallende Ruine. Was glaubst du, was man in meinem Alter mit seinem Körper anfangen kann?«

»Meine Frage«, erklärte er mit nervtötender Geduld, »hatte keinerlei anatomische Bedeutung. Vergessen wir für den Augenblick deinen Körper und begeben uns auf eine etwas gehobenere Ebene, wenn du nichts dagegen hast.«

»Ich wollte, ich könnte meinen Körper völlig vergessen«, klagte die Frau. »Momentan kann ich das Ding kaum durch die Gegend schleppen.«

»Welch ein Jammer«, erwiderte der alte Gentleman unbewegt. »Das liegt an deinem Appetit, meine Liebe. Du ißt wie ein Wolf. Einfach erstaunlich. Aber wenn wir das für einen Moment beiseite lassen könnten, würde ich meinen, daß du eigentlich auch ein bißchen Verstand haben solltest, ganz zu schweigen, daß hinter deinem umfänglichen Äußeren die Andeutung einer Seele herumirren müßte.«

»Ich hab bloß Hühneraugen«, sagte die Frau und musterte düster ihre Füße. »Zehen voller Hühneraugen. Ich bin vollauf damit beschäftigt, an ihnen herumzuschnippeln.«

»Du widerst mich an«, entgegnete der alte Gentleman. »Ganz ehrlich — du widerst mich wirklich an.« - Thorne Smith, Der Jungbrunnen. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1937)

Paar, altes (2)   Das lauwarme Glück alter Paare wurde vielleicht nie sanfter beschrieben: »Jeanne und André kannten bald nur noch unschuldige Zärtlichkeiten, eine mütterliche Zufriedenheit, manchmal zusammen zu schlafen, sich einfach nebeneinander auszustrecken, um beieinander zu sein und sich zu unterhalten, ehe sie sich Rücken an Rücken zum Einschlafen hinlegten.« Das war schön, aber war es möglich? War so etwas heutzutage vorstellbar? In jedem Fall gab es einen Zusammenhang mit den kulinarischen Freuden: »Die Esslust hatte sich bei ihnen im Gefolge einer zunehmenden Gleichgültigkeit der Sinne wie ein neuer Reiz eingeschlichen, vergleichbar der Leidenschaft von Priestern, die, von der Fleischeslust ausgeschlossen, vor delikaten Gerichten und altem Wein wiehern.« In einer Zeit, in der die Frau selbst ihr Gemüse einkaufte und putzte, das Fleisch vorbereitete und das Ragout stundenlang köcheln ließ, konnte eine zärtliche, nährende Bindung entstehen. Die Entwicklungen in der Haltbarmachung von Nahrung hatten dieses Gefühl, das allerdings, wie Huysmans offen zugab, nur ein schwacher Trost für den Verlust der körperlichen Freuden war, verdrängt. Huysmans selbst hatte sein Leben nicht mit einer dieser »Kochtopf-Frauen« geteilt - laut Baudelaire die einzigen, die neben den »Dirnen« einem Literaten nach seinem Geschmack sein können.   - Michel Houellebecq, Die Unterwerfung. Köln 2015 (mit Joris Karl Huysmans, Trugbilder)
 
 

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