, steiles    Morgens gegen zehn Uhr läutete Léjal in der Slenzska-Straße an der Wohnungstür, die er in der vorvergangenen Nacht so nachdenklich verlassen hatte. Eine schmutzige aufgeschwemmte Vettel öffnete ihm und ließ ihn ohne weiteres in das Zimmer ihrer Pensionärin eintreten, die sich verschlafen die Augen rieb und, als sie Léjal erkannte, nach Sekunden währender ärgerlicher Ratlosigkeit darüber empört war, aus dem Schlaf gerissen worden zu sein. Lejal äußerte lax, er habe sich nicht eingebildet, der Einzige zu sein, riet ihr, ihm gegenüber nur auf die dringendsten Lügen sich zu beschränken, und streichelte ihr sehnsüchtig den Bauch. Worauf Pollys Ärger stracks dem rührendsten Eifer wich; ja sie bemühte sich sogar, die von Léjal während der ersten Nacht gerügte Liebesunkenntnis der Prager Weiblichkeit dadurch wett zu machen, daß sie allerlei Nennenswertes improvisierte. Da das Tageslicht Léjal eine Unzahl mehr oder weniger verharschter Wunden bemerken ließ, zweifellos verursacht von spezifischen Lüsten, erlitt sein Vergnügen eine weitere Steigerung. So daß er, als er Polly gegen Mittag verließ, in jeder Hinsicht zufriedengestellt war.

Eines erprobten Rezeptes sich erinnernd, schickte er tagsdarauf Polly Aretinos Meisterwerk, versehen mit einer überaus schlüpfrigen Widmung ›an das steile P‹, mit welcher Abbreviatur er sowohl gewissen angestrebten intimen Fähigkeiten schmeicheln, als auch der ganzen Dame einen unbestimmten Stich ins Bedeutsame geben wollte. Der Erfolg stellte sich rasch im weitesten Maße ein: Polly erwies sich nächtlicherweile von ihrer jüngsten Lektüre außerordentlich angeregt, was eine ganze Reihe neuer Ergötzlichkeiten schuf, zugleich aber auch von tiefster Genugtuung darüber erfüllt, Lejal so fest in ihrer Schlinge zu halten.

Der zögerte nicht, getreu seinem Plan, diese noch fester zuzuziehen: er begann eines Abends, als Polly ihn nach scheinbar langem Hin und Her in das einigermaßen obskure Café Spalena geführt hatte, von seinen niederträchtigen Schandtaten zu berichten, da er rasch erkannt hatte, daß die beiden Pärchen, die sich an den Tisch gesetzt hatten, zum Zuhören erschienen waren; hielt sich jedoch sonderlich bei seinen gemeinen Beziehungen zu der Gattin des schwerreichen Bankiers Fuchs auf, von der er, seitdem sie ihm sexuell verfallen sei, mit der Drohung, ihren Gatten zu verständigen, große Beträge erpresse; und schloß endlich seine verbrecherischen Emanationen mit der überlegen selbstgefälligen Mitteilung, daß er gar bald etwas noch nie Gewagtes vom Stapel gleiten lassen werde. Polly wurde sogar derart erregt, daß sie, die wohlgedrillte, sich vergaß und, vielleicht aber auch ein wenig im Hinblick auf die sanft buchenden Augen der Kollegen, die entsetzte Bemerkung sich entfahren ließ, ob er denn gar keine Moral hätte. Léjal sagte mit hinreißender Verve: »Fällt mir gar nicht ein!« Worauf die vier lauschenden Köpfe um einiges tiefer gingen. Der Pollys jedoch sieghaft höher. Léjal schwieg nun, wie von sich selber erschüttert, und ließ die schauerliche Stimmung sich auswirken. - Walter Serner, Das steile P. In: W.S.: Der Pfiff um die Ecke. Zweiundzwanzig Kriminalgeschichten. München 1982 (dtv 1741, zuerst 1925)
 

P

 

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