rt   Man hat Beispiele von Verletzungen, dadurch ein guter Teil des Gehirns verloren worden, ohne daß es dem Menschen das Leben oder die Gedanken gekostet hat. Nach der gemeinen Vorstellung, die ich hier anführe, würde ein Atomus desselben haben dürfen entführt, oder aus der Stelle gerückt werden, um in einem Augenblick den Menschen zu entseelen. Die herrschende Meinung: der Seele einen Platz im Gehirne anzuweisen, scheinet hauptsächlich ihren Ursprung darin zu haben, daß man bei starkem Nachsinnen deutlich fühlt, daß die Gehimnerven angestrengt werden. Allein wenn dieser Schluß richtig wäre, so würde er auch noch andere örter der Seele beweisen. In der Bangigkeit oder der Freude scheint die Empfindung ihren Sitz im Herzen zu haben. Viele Affekten, ja die mehresten, äußern ihre Hauptstärke im Zwerchfell. Das Mitleiden bewegt die Eingeweide und andre Instinkte äußern ihren Ursprung und Empfindsamkeit in andern Organen. Die Ursache, die da macht, daß man die nachdenkende Seele vornehmlich im Gehirne zu empfinden glaubt, ist vielleicht diese. Alles Nachsinnen erfordert die Vermittelung der Zeichen vor die zu erweckende Ideen, um in deren Begleitung und Unterstützung dessen den erforderlichen Grad Klarheit zu geben. Die Zeichen unserer Vorstellungen aber sind vornehmlich solche, die entweder durchs Gehör oder das Gesicht empfangen sind, welche beide Sinne durch die Eindrücke im Gehirne bewegt werden, indem ihre Organen auch diesem Teile am nächsten liegen. Wenn nun die Erweckung dieser Zeichen, welche Cartesius ideas materiales nennt, eigentlich eine Reizung der Nerven zu einer ähnlichen Bewegung mit derjenigen ist, welche die Empfindung ehedem hervorbrachte, so wird das Gewebe des Gehirns im Nachdenken vornehmlich genötiget werden, mit vormaligen Eindrücken harmonisch zu beben, und dadurch ermüdet werden. Denn wenn das Denken zugleich affektvoll ist, so empfindet man nicht allein Anstrengungen des Gehirnes, sondern zugleich Angriffe der reizbaren Teile, welche sonst mit den Vorstellungen der in Leidenschaft versetzten Seele in Sympathie stehen.  - Immanuel Kant, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766)

Ort (2)  Nantes: außer Paris vielleicht die einzige Stadt Frankreichs, wo ich den Eindruck habe, daß mir irgend etwas, was der Mühe wert ist, begegnen kann, wo sich bestimmte Blicke in zuviel Feuer verzehren — ich habe es noch letztes Jahr festgestellt, nur während ich Nantes im Auto durchquerte und eine Frau sah, eine Arbeiterin, glaube ich, begleitet von einem Mann, die die Augen hob: ich hätte anhalten müssen —, wo der Rhythmus des Lebens nicht derselbe ist wie anderswo, wo noch ein Abenteurergeist  jenseits aller Abenteuer in bestimmten Wesen wohnt, Nantes, von wo mir noch Freunde zukommen können, Nantes, wo ich einen Park geliebt habe: den Parc de Procé.  - (nad)

Ort (3)  Rings um diese - wechselvolle und grollsüchtige - Mitte bewegen sich die ORTE, wie wir sie nennen wollen. Die ORTE haben ganz andere Eigenschaften als die FEUER oder wie man sonst die königlichen Bewohner der Mitte nennen will; sie haben auch keinerlei Ähnlichkeit mit ihnen, nicht einmal eine der Macht entkleidete, dürftigere oder nur nachgeahmte ähnliche Gestalt. Ebenso verschieden sind die Orte untereinander, und es wäre nicht möglich, sie lückenlos und sinnvoll zu klassifizieren. Selbst ihre Bewegungen unterscheiden sich voneinander und haben nur dies eine gemeinsam: sie sind auf Bewegungen zurückzuführen, die auf dem Platz in der Mitte geschehen; also werden sie unregelmäßig sein; aber auch die Unregelmäßigkeit ist unregelmäßig, das heißt, daß jeder ORT anders auf die Unordnung des Platzes reagiert. Zu einem System gehören neun bis achtzehn Orte; da die Orte heterogen sind, gibt es keine Zusammenballungen; aber nicht selten erleiden die Orte Veränderungen durch das Handeln der Bewohner des Platzes.

Es wird nun ein System mit zwölf ORTEN beschrieben, das sich als vernünftig, bequem zugänglich und nicht dreist versteht. Wir geben zunächst eine durchaus belehrende Beschreibung dieses Systems, ohne auf den unterschiedlichen Gehorsam einzugehen, mit dem man auf die Bewohner der Mitte reagiert. Ein ORT ist die geöffnete HAND, die fünf ausgestreckten Finger, die flehend oder herzlich aussehen kann; die geöffnete HAND ist am Puls abgeschnitten; ihre Bewegung ist tendenziell elliptisch; sie trägt weder Zeichen noch Schmuck, und man kann nicht sagen, ob es eine Männer- oder eine Frauenhand ist; die Finger bewegen sich ein wenig, indem sie sich in aller Ruhe krümmen und wieder ausstrecken; bisweilen sind vier Finger zurückgebogen, und eine Zeitlang ragt, ein melancholischer und vergeblicher Imperativ, der Zeigefinger empor.  ...   - Giorgio Manganelli, System. In (irrt)

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