Orgel    Da liege ich, mit phantasierender Seele, der seltsamen Musik noch seltsamere Texte unterdichtend; dann und wann schweifen meine Blicke durch die dämmernden Bogengänge, und suchen die dunkeln Klangfiguren, die zu jenen Orgelmelodien gehören. Wer ist die Verschleierte, die dort kniet vor dem Bilde einer Madonna? Die Ampel, die davor hängt, beleuchtet grauenhaft süß die schöne Schmerzenmutter einer gekreuzigten Liebe, die Venus dolorosa; doch kupplerisch geheimnisvolle Lichter fallen zuweilen, wie verstohlen, auf die schönen Formen der verschleierten Beterin. Diese liegt zwar regungslos auf den steinernen Altarstufen, doch in der wechselnden Beleuchtung bewegt sich ihr Schatten, läuft manchmal zu mir heran, zieht sich wieder hastig zurück, wie ein stummer Mohr, der ängstliche Liebesbote in einem Harem - und ich verstehe ihn. Er verkündet mir die Gegenwart seiner Herrin, der Sultanin meines Herzens. Es wird aber allmählich immer dunkler im leeren Hause, hie und da huscht eine unbestimmte Gestalt den Pfeilern entlang, dann und wann steigt leises Murmeln aus einer Seitenkapelle, und ihre langen, langgezogenen Töne stöhnt die Orgel, wie ein seufzendes Riesenherz -

Es war aber als ob jene Orgeltöne niemals aufhören, als ob jene Sterbelaute, jener lebende Tod ewig dauern wollte, ich fühlte so unsägliche Beklommenheit, so namenlose Angst, als wäre ich scheintot begraben worden, ja als wäre ich, ein Längstverstorbener, aus dem Grabe gestiegen, und sei, mit unheimlichen Nachtgesellen, in die Gespensterkirche gegangen, um die Totengebete zu hören, und Leichensünden zu beichten. Manchmal war mir, als sähe ich sie wirklich neben mir sitzen, in geisterhaftem Dämmerlichte, die abgeschiedene Gemeinde, in verschollen altfloren-tinischen Trachten, mit langen, blassen Gesichtern, goldbeschlagene Gebetbücher in dünnen Händen, heimlich wispernd, und melancholisch einander zunickend. Der wimmernde Ton eines fernen Sterbeglöckchens mahnte midi wieder an den kranken Priester, den ich bei der Prozession gesehen, und ich sprach zu mir selber: »Der ist jetzt auch gestorben, und kommt hierher um die erste Nachtmesse zu lesen und da beginnt erst recht der traurige Spuk.«  - Heinrich Heine, Reisebilder: Italien, Die Stadt Lucca

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