Orgasmus, weiblicher   Baker und Bellis bestimmten, wieviel Sperma ein Mann im Verlauf einer Ejakulation produziert und was damit geschieht. Sie stellten fest, daß die Spermienmenge, die in der Vagina zurückbleibt, in einem Zusammenhang zur Orgasmusbereitschaft der Frau steht. Hat sie keinen Orgasmus oder erfolgt ihr Orgasmus mehr als eine Minute vor seiner Ejakulation, dann verbleibt in der Vagina nur sehr wenig Sperma. Erfolgt ihr Orgasmus unmittelbar vor seinem oder bis zu fünfundvierzig Minuten nach seinem, dann bleibt der größte Teil der Spermien in der Vagina. Schließlich hängt das Ganze noch davon ab, wieviel Zeit seit dem letzten Geschlechtsverkehr vergangen ist: Je länger der Zeitraum, um so mehr Sperma bleibt in der Vagina -es sei denn, die Frau hatte inzwischen, was die Wissenschaftler einen »nichtkopulatorischen Orgasmus« nennen. Die Empfängnisbereitschaft läßt sich also nur durch eines erhöhen: durch einen späten Orgasmus.

Bis hierher barg dies alles wenig Überraschungen; zwar war man dieser Tatsachen vor Bellis' und Bakers Arbeiten (die darin bestanden, ausgewählte Paare zu befragen und viertausend Personen einen Fragebogen in einer Zeitschrift bearbeiten zu lassen) nicht gewahr geworden, sie schienen aber auch nicht von übermäßiger Bedeutung zu sein. Doch Baker und Bellis taten darüber hinaus etwas ausgesprochen Mutiges. Sie befragten ihre Testpersonen auch nach eventuellen Seitensprüngen. Dabei stellten sie fest, daß bei treuen Frauen etwa fünfundfünfzig Prozent der Orgasmen vom späten (das heißt vom fruchtbaren) Typ waren. Bei untreuen Frauen waren es nur vierzig Prozent der Orgasmen mit dem eigentlichen Partner, aber siebzig Prozent der Orgasmen mit dem Uebhaber. Hinzu kam, daß die Frauen - ob bewußt oder unbewußt - an den Tagen des Zyklus mit ihren Liebhabern verkehrten, an denen sie am fruchtbarsten waren. Kombiniert man diese beiden Effekte, kommt man zu dem Schluß, daß selbst dann, wenn die untreuen Frauen mit ihrem Mann doppelt so häufig Geschlechtsverkehr haben wie mit ihrem Liebhaber, die Wahrscheinlichkeit dafür, ein Kind von letzterem zu empfangen, geringfügig größer ist als beim eigenen Mann. Baker und Bellis sehen ihre Ergebnisse als Beweis für ein evolutionsgeschichtliches Wettrüsten zwischen Männern und Frauen, einen Ro-te-Königin-Wettstreit, aber einen, bei dem das weibliche Geschlecht einen Schritt voraus ist. Der Mann versucht, seine Chancen auf eine Vaterschaft in jeder Weise zu erhöhen. Ein großer Teil seiner Spermien macht nicht einmal den Versuch, ein Ei zu befruchten, sondern greift statt dessen andere Spermien an oder blockiert deren Durchtritt. Das männliche Sexualverhalten ist durch diese und andere Mechanismen darauf angelegt, die Chancen für die Befruchtung eines Eies zu erhöhen.

Die Frauen aber haben ein ausgefeiltes System von Techniken entwickelt, eine Empfängnis zu verhüten, es sei denn sie geschieht zu ihren Bedingungen. Durch den klugen Einsatz ihres Orgasmus sind sie im Grunde in der Lage, zu bestimmen, von welchem ihrer Liebhaber sie ein Kind empfangen wollen. Natürlich wußten Frauen das bisher nicht und setzten dieses Mittel deshalb nicht bewußt ein. Das Erstaunliche aber ist, daß sie es Bellis' und Bakers Untersuchungen zufolge dennoch, wenn auch unbewußt, tun. - Matt Ridley, Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München 1995 (zuerst 1993)

Weiblichkeit Organmus

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